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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

Nach oben, unten und mitten
Euch daS Klavier zerschlug.
Die Zeit läßt nimmer sich halten:
Das Mädchen ward eine Braut,
Zum Jubelpaar die Alten,
Der Mann zum Bräutigam traut;
Und ich, der ins Gedränge
Der Welt kam -- am Altar
Bring heut ich wieder Klänge,
Die segnendsten, Euch dar.

Robert Schumann.

In den Sommerferien 1827 machte Schumann zum erstenmale als sein
eigner Herr eine große Reise nach Leipzig, Dresden und Prag. Zugleich
folgte er der Einladung des Dr. Carus zu einem Besuch in Cvlditz. Hoher
Eindrücke voll kehrte er nach Zwickau zurück, wo dann in: Nachklang der
Lieder Schuberts, Spvhrs und Wiedebeins, die ihn in Colditz entzückt hatten,
die ersten eignen Liederkompositionen (auf Texte von Ernst Schulze und Byron)
entstanden. Sein Trieb zu dichterischer Thätigkeit war jetzt entschieden zurück¬
getreten gegen die Neigung zinn Musiziren. Am .Klavier saß er täglich,
phantasirte und erging sich mit Vorliebe in Schuberts ^ nioll-Sonate, Bachs
O clur-Variationen und Mendelssohns nioll-Capriecio. Mit Begeisterung
gedenkt er in seinem Tagebuch des Meudelssvhnschen Werkes, worin er einen
ganz neuen Geist der Musik sprechen horte.

Kurz vor seinein Abgange nach der Universität Leipzig (Ostern 1828)
verfaßte er einen Auszug aus alten Tagebüchern unter dem Titel "ExtraHirte
Quintessenzen aus Jugendsünden oder richtige und verkehrte Meinungen des
armen Studiosus Jeremias." Eine Stelle aus dem Jahre 1826 lautete: "Es
giebt Stunden, wo alle Saiten unsers menschlichen Fühlens zu einem solchen
weichen Moll-Akkord gespannt, alle Gefühle bei allen verstockten und guten
Sündern -- denn das sind wir alle -- zu einer solchen Wehmut gestimmt
werden, daß die rinnende Thräne mehr die der Trauer als die der Freude
anzudeuten scheint. Sinne oft nach, welches der rührendste Moment, wo die
verschiedenartigsten Gruppen der Frende und der Trauer, wo die göttlichsten
Szenen des menschlichen Seins sich wahrhaft formen, wo alle mitfühlen müssen,
weil sie alle beteiligt sind, wo sich die ganze Menschheit, Freudenthränen im
Auge, umarmt, wo jeder jenes große "Seid umschlungen, Millionen" zu fühlen,
zu empfinden glaubt -- welches dieser Augenblick sei." Beim Abschreiben dieser
Stelle setzte er hinzu: "Klingt nach Jean Paul, aber er war mir da noch
verhüllt, vielleicht daß ich ihn schon ahnte."

Sein Neisetagebuch von 1827 überarbeitete er ebenfalls und nannte es
"Jünglingswallfahrt." Leider ist uns nur der Anfang davon erhalten, und


Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

Nach oben, unten und mitten
Euch daS Klavier zerschlug.
Die Zeit läßt nimmer sich halten:
Das Mädchen ward eine Braut,
Zum Jubelpaar die Alten,
Der Mann zum Bräutigam traut;
Und ich, der ins Gedränge
Der Welt kam — am Altar
Bring heut ich wieder Klänge,
Die segnendsten, Euch dar.

Robert Schumann.

In den Sommerferien 1827 machte Schumann zum erstenmale als sein
eigner Herr eine große Reise nach Leipzig, Dresden und Prag. Zugleich
folgte er der Einladung des Dr. Carus zu einem Besuch in Cvlditz. Hoher
Eindrücke voll kehrte er nach Zwickau zurück, wo dann in: Nachklang der
Lieder Schuberts, Spvhrs und Wiedebeins, die ihn in Colditz entzückt hatten,
die ersten eignen Liederkompositionen (auf Texte von Ernst Schulze und Byron)
entstanden. Sein Trieb zu dichterischer Thätigkeit war jetzt entschieden zurück¬
getreten gegen die Neigung zinn Musiziren. Am .Klavier saß er täglich,
phantasirte und erging sich mit Vorliebe in Schuberts ^ nioll-Sonate, Bachs
O clur-Variationen und Mendelssohns nioll-Capriecio. Mit Begeisterung
gedenkt er in seinem Tagebuch des Meudelssvhnschen Werkes, worin er einen
ganz neuen Geist der Musik sprechen horte.

Kurz vor seinein Abgange nach der Universität Leipzig (Ostern 1828)
verfaßte er einen Auszug aus alten Tagebüchern unter dem Titel „ExtraHirte
Quintessenzen aus Jugendsünden oder richtige und verkehrte Meinungen des
armen Studiosus Jeremias." Eine Stelle aus dem Jahre 1826 lautete: „Es
giebt Stunden, wo alle Saiten unsers menschlichen Fühlens zu einem solchen
weichen Moll-Akkord gespannt, alle Gefühle bei allen verstockten und guten
Sündern — denn das sind wir alle — zu einer solchen Wehmut gestimmt
werden, daß die rinnende Thräne mehr die der Trauer als die der Freude
anzudeuten scheint. Sinne oft nach, welches der rührendste Moment, wo die
verschiedenartigsten Gruppen der Frende und der Trauer, wo die göttlichsten
Szenen des menschlichen Seins sich wahrhaft formen, wo alle mitfühlen müssen,
weil sie alle beteiligt sind, wo sich die ganze Menschheit, Freudenthränen im
Auge, umarmt, wo jeder jenes große »Seid umschlungen, Millionen« zu fühlen,
zu empfinden glaubt — welches dieser Augenblick sei." Beim Abschreiben dieser
Stelle setzte er hinzu: „Klingt nach Jean Paul, aber er war mir da noch
verhüllt, vielleicht daß ich ihn schon ahnte."

Sein Neisetagebuch von 1827 überarbeitete er ebenfalls und nannte es
„Jünglingswallfahrt." Leider ist uns nur der Anfang davon erhalten, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/338>, abgerufen am 24.07.2024.