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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

Wort sprechen." Die Ernüchterung des jungen Schwärmers war vollständig,
als er die Geliebte ein paar Wochen später in Teplitz wiedersah. "Der Traum
ist aus! und das hohe Bild des Ideals verschwunden, wenn ich an die Reden
denke, die sie über Jean Paul führte. Lasset die Toten ruhen!"

Damit endete das Idyll. Vergessen hat es Schumann übrigens nicht.
Im Dezember 1840 legte er sich ein Oktavheft an, das er gewissermaßen zum
Aufgabenbuch der Zukunft bestimmte und Projekteubuch nannte. Darin findet
sich neben allerlei teils ausgeführten, theils unausgeführt gebliebenen Kom¬
positionsvorwürfen, litterarisch-musikalischen Plänen, Anregungen und Notizen
auch das Schema eines autobiographischen Abrisses mit dem Schlußvermerk:
"Schrieb's am 19. April 1843 in Leipzig." In dieser Skizze sind Nanni und
Liddy mit ihrem vollen Namen verewigt und dick unterstrichen -- eine Aus¬
zeichnung, die auf ihre besondre Bedeutung hinweist.

Die dichterische Produktion Schumanns bestand, wie die erhalten ge¬
bliebenen Jugendblätter zeigen, neben den schon erwähnten, zum Teil vortreff¬
lich gelungenen metrischen Übersetzungen aus lyrischen Gedichten, dramatischen
Anläufen und Prosafragmenten, deren Manuskripte hie und da mit dem
Pseudonym "Robert an der Mulde" und "Robert Alcmtus" versehen sind.
Im Jahre 1826 wandte sich Schumann mit dem sehr bescheiden vorgebrachten
Ansuchen an den Hofrath Winkler (Theodor Hell) um Aufnahme einiger Ge¬
dichte in die Dresdner "Abendzeitung." Die Bitte scheint nicht erfüllt worden
zu sein, wenigstens enthält der Jahrgang 1826 der Abendzeitung kein Gedicht
unter einem der genannten Pseudonyme.

Auch von größern poetischen Arbeiten aus dieser Zeit liegeu Bruchstücke
vor: von einem Drama mit Chören "Coriolnn" (uach dem Vorbilde der "Braut
von Messina") und von einer Tragödie "Die beiden Mvntalti." Beide Stücke
scheinen nicht weit über die ersten Szenen hinausgekommen zu sein; von dem
erstgenannten sind acht Seiten mit 114 Versen, von dem zweiten fünf Seiten
mit 220 Versen erhalten. Ein dritter dramatischer Versuch, der uuter un¬
mittelbarem Einfluß von Z. Werners "Bierundzwanzigstem Februar" und
Müllners "Schuld" steht und eine überaus gräßliche Begebenheit behandelt
- "Die Brüder Landendvrfer" --, ist nur im ersten Entwurf vorhanden.

Wie Schumann damals über seine dichterische Begabung dachte, sagt sein
Tagebuch an einer Stelle, wo er sich und einige seiner Freunde kurz schildert
und zunächst auf ihre poetischen Fähigkeiten hin prüft, die ihm für die Wert¬
bestimmung in erster Linie in Betracht zu kommen schienen. "Was ich
eigentlich bin, weiß ich selbst noch nicht klar. Phantasie, glaub ich, habe ich,
und sie wird mir auch von keinem abgesprochen. Tiefer Denker bin ich nicht;
ich kann niemals logisch an dem Faden fortgehen, den ich vielleicht gut an¬
geknüpft habe. Ob ich Dichter bin -- denn werden kann mau es nie --,
soll die Nachwelt entscheiden." Bei der folgenden Tngebnchstelle denkt man


Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

Wort sprechen." Die Ernüchterung des jungen Schwärmers war vollständig,
als er die Geliebte ein paar Wochen später in Teplitz wiedersah. „Der Traum
ist aus! und das hohe Bild des Ideals verschwunden, wenn ich an die Reden
denke, die sie über Jean Paul führte. Lasset die Toten ruhen!"

Damit endete das Idyll. Vergessen hat es Schumann übrigens nicht.
Im Dezember 1840 legte er sich ein Oktavheft an, das er gewissermaßen zum
Aufgabenbuch der Zukunft bestimmte und Projekteubuch nannte. Darin findet
sich neben allerlei teils ausgeführten, theils unausgeführt gebliebenen Kom¬
positionsvorwürfen, litterarisch-musikalischen Plänen, Anregungen und Notizen
auch das Schema eines autobiographischen Abrisses mit dem Schlußvermerk:
„Schrieb's am 19. April 1843 in Leipzig." In dieser Skizze sind Nanni und
Liddy mit ihrem vollen Namen verewigt und dick unterstrichen — eine Aus¬
zeichnung, die auf ihre besondre Bedeutung hinweist.

Die dichterische Produktion Schumanns bestand, wie die erhalten ge¬
bliebenen Jugendblätter zeigen, neben den schon erwähnten, zum Teil vortreff¬
lich gelungenen metrischen Übersetzungen aus lyrischen Gedichten, dramatischen
Anläufen und Prosafragmenten, deren Manuskripte hie und da mit dem
Pseudonym „Robert an der Mulde" und „Robert Alcmtus" versehen sind.
Im Jahre 1826 wandte sich Schumann mit dem sehr bescheiden vorgebrachten
Ansuchen an den Hofrath Winkler (Theodor Hell) um Aufnahme einiger Ge¬
dichte in die Dresdner „Abendzeitung." Die Bitte scheint nicht erfüllt worden
zu sein, wenigstens enthält der Jahrgang 1826 der Abendzeitung kein Gedicht
unter einem der genannten Pseudonyme.

Auch von größern poetischen Arbeiten aus dieser Zeit liegeu Bruchstücke
vor: von einem Drama mit Chören „Coriolnn" (uach dem Vorbilde der „Braut
von Messina") und von einer Tragödie „Die beiden Mvntalti." Beide Stücke
scheinen nicht weit über die ersten Szenen hinausgekommen zu sein; von dem
erstgenannten sind acht Seiten mit 114 Versen, von dem zweiten fünf Seiten
mit 220 Versen erhalten. Ein dritter dramatischer Versuch, der uuter un¬
mittelbarem Einfluß von Z. Werners „Bierundzwanzigstem Februar" und
Müllners „Schuld" steht und eine überaus gräßliche Begebenheit behandelt
- „Die Brüder Landendvrfer" —, ist nur im ersten Entwurf vorhanden.

Wie Schumann damals über seine dichterische Begabung dachte, sagt sein
Tagebuch an einer Stelle, wo er sich und einige seiner Freunde kurz schildert
und zunächst auf ihre poetischen Fähigkeiten hin prüft, die ihm für die Wert¬
bestimmung in erster Linie in Betracht zu kommen schienen. „Was ich
eigentlich bin, weiß ich selbst noch nicht klar. Phantasie, glaub ich, habe ich,
und sie wird mir auch von keinem abgesprochen. Tiefer Denker bin ich nicht;
ich kann niemals logisch an dem Faden fortgehen, den ich vielleicht gut an¬
geknüpft habe. Ob ich Dichter bin — denn werden kann mau es nie —,
soll die Nachwelt entscheiden." Bei der folgenden Tngebnchstelle denkt man


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[0335] Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit Wort sprechen." Die Ernüchterung des jungen Schwärmers war vollständig, als er die Geliebte ein paar Wochen später in Teplitz wiedersah. „Der Traum ist aus! und das hohe Bild des Ideals verschwunden, wenn ich an die Reden denke, die sie über Jean Paul führte. Lasset die Toten ruhen!" Damit endete das Idyll. Vergessen hat es Schumann übrigens nicht. Im Dezember 1840 legte er sich ein Oktavheft an, das er gewissermaßen zum Aufgabenbuch der Zukunft bestimmte und Projekteubuch nannte. Darin findet sich neben allerlei teils ausgeführten, theils unausgeführt gebliebenen Kom¬ positionsvorwürfen, litterarisch-musikalischen Plänen, Anregungen und Notizen auch das Schema eines autobiographischen Abrisses mit dem Schlußvermerk: „Schrieb's am 19. April 1843 in Leipzig." In dieser Skizze sind Nanni und Liddy mit ihrem vollen Namen verewigt und dick unterstrichen — eine Aus¬ zeichnung, die auf ihre besondre Bedeutung hinweist. Die dichterische Produktion Schumanns bestand, wie die erhalten ge¬ bliebenen Jugendblätter zeigen, neben den schon erwähnten, zum Teil vortreff¬ lich gelungenen metrischen Übersetzungen aus lyrischen Gedichten, dramatischen Anläufen und Prosafragmenten, deren Manuskripte hie und da mit dem Pseudonym „Robert an der Mulde" und „Robert Alcmtus" versehen sind. Im Jahre 1826 wandte sich Schumann mit dem sehr bescheiden vorgebrachten Ansuchen an den Hofrath Winkler (Theodor Hell) um Aufnahme einiger Ge¬ dichte in die Dresdner „Abendzeitung." Die Bitte scheint nicht erfüllt worden zu sein, wenigstens enthält der Jahrgang 1826 der Abendzeitung kein Gedicht unter einem der genannten Pseudonyme. Auch von größern poetischen Arbeiten aus dieser Zeit liegeu Bruchstücke vor: von einem Drama mit Chören „Coriolnn" (uach dem Vorbilde der „Braut von Messina") und von einer Tragödie „Die beiden Mvntalti." Beide Stücke scheinen nicht weit über die ersten Szenen hinausgekommen zu sein; von dem erstgenannten sind acht Seiten mit 114 Versen, von dem zweiten fünf Seiten mit 220 Versen erhalten. Ein dritter dramatischer Versuch, der uuter un¬ mittelbarem Einfluß von Z. Werners „Bierundzwanzigstem Februar" und Müllners „Schuld" steht und eine überaus gräßliche Begebenheit behandelt - „Die Brüder Landendvrfer" —, ist nur im ersten Entwurf vorhanden. Wie Schumann damals über seine dichterische Begabung dachte, sagt sein Tagebuch an einer Stelle, wo er sich und einige seiner Freunde kurz schildert und zunächst auf ihre poetischen Fähigkeiten hin prüft, die ihm für die Wert¬ bestimmung in erster Linie in Betracht zu kommen schienen. „Was ich eigentlich bin, weiß ich selbst noch nicht klar. Phantasie, glaub ich, habe ich, und sie wird mir auch von keinem abgesprochen. Tiefer Denker bin ich nicht; ich kann niemals logisch an dem Faden fortgehen, den ich vielleicht gut an¬ geknüpft habe. Ob ich Dichter bin — denn werden kann mau es nie —, soll die Nachwelt entscheiden." Bei der folgenden Tngebnchstelle denkt man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/335>, abgerufen am 24.07.2024.