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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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nennr spricht zu ihnen, sie aber schweigen und sehen einander nur verständ¬
nisinnig und selig in die Augen. In der Einleitung zu diesen Stimmungs¬
bildern glaubt man Eusebius reden zu hören: "Es giebt eine Zeit im Jünglings¬
leben, wo das Herz nicht finden kann, was es will, weil es vor Sehnsucht
und Freudenthränen nicht weiß, was es sucht. Es ist jenes heilig hohe,
stumme Etwas, welches die Seele vor ihrem Glück ahnt, wenn das Auge des
Jünglings träumerisch in die Sterne blickt und die lächelnden anweint, aber
freudig, und wenn er stockend und sinnend am Wasser geht, unter Blumen
ruht, Rosen sucht und Gänseblumen auszupft. Wo er lächelnd nachsinnt und
entzückt sagt: Ach, warum gab mir denn noch kein Mensch eine solche Blume?
warum liebt mich denn kein Mensch? Jeder muß ja einmal eine Zeit gehabt
haben, wo er inniger an den Blumen und Sternen hängt, und wo alles um
ihn von einem milden rosigen Morgenzwielichte beleuchtet wird, das eine Sonne
verbürgt, die bald aufgeht."

Zuerst hatte es ihm Nanni angethan. Als er wenige Wochen nachher
von der schönen und stolzen Liddy bezaubert war, schrieb er in sein Tagebuch:
"Muß ich hier schwärmen, so kann es nur rein platonisch sein. Die seligsten
Träume schaffen mir oft das göttliche Mädchen herbei. Wenn die Wahrheit
traurig ist, warum sollte man nicht heiter in den Träumen, die uns lieblich
das Ideal unsrer Herzen hervvrgaukeln, die Göttlichkeit glücklicherer Tage vor-
empfinden?" Er fühlt das Bedürfnis, zu sprechen, ein Tagebuch zu führen,
will aber nicht Tag für Tag die Nichtigkeiten seines unbedeutenden Lebens
eintragen, sondern dem frohgenosfenen Augenblicke Dauer verleihen und über
sein Inneres nachdenken. "Und so will ich in den Minuten meiner nächtlichen
Muße mein Leben aufzeichnen, um einst in späteren Jahren, mag ich glücklich
oder unglücklich fein -- und leider fagt mir das letztere eine bange Ahndung
vor -- meine Ansichten und Gefühle mit den vergangenen und sonstige" zu ver¬
gleichen und zu sehen, ob ich mir, meinen Gefühlen und meinem Charakter
treu geblieben bin." Der schwermütigen Grundstimmung seiner Natur, die
schon hier zuweilen zum Ausbruche kommt, entsprechen die Wode: "In traurigen
Zeiten werde ich meines Glückes gern gedenken, ich habe schon gelebt, und
glücklich kann man nicht immer sein."

Die zarte Neigung zu der hübschen Liddy war von kurzer Dauer. Sein
getrenntes Ideal fand Schumann nicht in ihr. "Liddy ist eine engherzige
Seele schrieb er an Flechsig --, ein einfältiges Mägdlein aus dem unschuldigen
Utopien: keinen großen Gedanken kann sie fassen; dies sag ich nicht als ein
Fuchs, der die Rede nicht erschnappen kann und deshalb die Traube schlecht
nannte, weil sie für seinen Schnabel zu hoch gewachsen war; wenn man sie
im Karlsbader Sprudel zu einer weißen karrarisch-marmornen Anadyomene
versteinern könnte, so müßte sie jeder wahre und feine Kunstkenner für eine
weibliche Schönheit erklären; aber wie steinern müßte sie sein und -- kein


nennr spricht zu ihnen, sie aber schweigen und sehen einander nur verständ¬
nisinnig und selig in die Augen. In der Einleitung zu diesen Stimmungs¬
bildern glaubt man Eusebius reden zu hören: „Es giebt eine Zeit im Jünglings¬
leben, wo das Herz nicht finden kann, was es will, weil es vor Sehnsucht
und Freudenthränen nicht weiß, was es sucht. Es ist jenes heilig hohe,
stumme Etwas, welches die Seele vor ihrem Glück ahnt, wenn das Auge des
Jünglings träumerisch in die Sterne blickt und die lächelnden anweint, aber
freudig, und wenn er stockend und sinnend am Wasser geht, unter Blumen
ruht, Rosen sucht und Gänseblumen auszupft. Wo er lächelnd nachsinnt und
entzückt sagt: Ach, warum gab mir denn noch kein Mensch eine solche Blume?
warum liebt mich denn kein Mensch? Jeder muß ja einmal eine Zeit gehabt
haben, wo er inniger an den Blumen und Sternen hängt, und wo alles um
ihn von einem milden rosigen Morgenzwielichte beleuchtet wird, das eine Sonne
verbürgt, die bald aufgeht."

Zuerst hatte es ihm Nanni angethan. Als er wenige Wochen nachher
von der schönen und stolzen Liddy bezaubert war, schrieb er in sein Tagebuch:
„Muß ich hier schwärmen, so kann es nur rein platonisch sein. Die seligsten
Träume schaffen mir oft das göttliche Mädchen herbei. Wenn die Wahrheit
traurig ist, warum sollte man nicht heiter in den Träumen, die uns lieblich
das Ideal unsrer Herzen hervvrgaukeln, die Göttlichkeit glücklicherer Tage vor-
empfinden?" Er fühlt das Bedürfnis, zu sprechen, ein Tagebuch zu führen,
will aber nicht Tag für Tag die Nichtigkeiten seines unbedeutenden Lebens
eintragen, sondern dem frohgenosfenen Augenblicke Dauer verleihen und über
sein Inneres nachdenken. „Und so will ich in den Minuten meiner nächtlichen
Muße mein Leben aufzeichnen, um einst in späteren Jahren, mag ich glücklich
oder unglücklich fein — und leider fagt mir das letztere eine bange Ahndung
vor — meine Ansichten und Gefühle mit den vergangenen und sonstige» zu ver¬
gleichen und zu sehen, ob ich mir, meinen Gefühlen und meinem Charakter
treu geblieben bin." Der schwermütigen Grundstimmung seiner Natur, die
schon hier zuweilen zum Ausbruche kommt, entsprechen die Wode: „In traurigen
Zeiten werde ich meines Glückes gern gedenken, ich habe schon gelebt, und
glücklich kann man nicht immer sein."

Die zarte Neigung zu der hübschen Liddy war von kurzer Dauer. Sein
getrenntes Ideal fand Schumann nicht in ihr. „Liddy ist eine engherzige
Seele schrieb er an Flechsig —, ein einfältiges Mägdlein aus dem unschuldigen
Utopien: keinen großen Gedanken kann sie fassen; dies sag ich nicht als ein
Fuchs, der die Rede nicht erschnappen kann und deshalb die Traube schlecht
nannte, weil sie für seinen Schnabel zu hoch gewachsen war; wenn man sie
im Karlsbader Sprudel zu einer weißen karrarisch-marmornen Anadyomene
versteinern könnte, so müßte sie jeder wahre und feine Kunstkenner für eine
weibliche Schönheit erklären; aber wie steinern müßte sie sein und — kein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/334>, abgerufen am 25.07.2024.