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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

war, so stand er auch schon als Fünfzehnjähriger an der Spitze eines litte¬
rarischen Vereins. Daß zu dieser Zeit seine dichterische Thätigkeit vor der
musikalische" die Oberhand gewonnen hatte, bestätigt der Umstand, daß
von den ersten Kompositionen nichts erhalten ist (Schumann selbst weiß
nicht einmal genau die Zeit ihres Entstehens anzugeben), während eine be¬
trächtliche Sammlung poetischer Versuche vorliegt mit einem sorgfältig ge¬
führten Protokoll und einem Verzeichnis der Mitglieder des litterarischen
Vereins.

Dieser Verein bestand drei Jahre hindurch und hielt dreißig Sitzungen
ub, von denen die erste am 12. Dezember 1825, die letzte im Februar 1828,
also kurz vor Schumanns Abgange nach der Universität, stattfand. In den
von Schumann entworfenen Vereinssatzungen heißt es: "Ist es jedes gebildeten
Menschen Pflicht, die Litteratur seines Vaterlandes zu kennen, so ist es ebenso
die unsrige, die wir doch schon auf höhere Bildung Ansprüche macheu wollen
und müssen, die deutsche nicht zu vernachlässigen und mit allem Eifer zu
streben, sie kennen zu lernen. Der Zweck dieses Vereins soll daher sein eine
Einweihung in die deutsche Litteratur." Diesen Zweck zu erreichen, werden,
wie es weiter heißt, "nach der Reihe die Meisterstücke unsrer Dichter und
Prosaiker vorgelesen, in jeder Sitzung eine Biographie von irgend einem berühmten
Manne beigefügt, die Meinungen darüber gesagt, die Ausdrücke, die man nicht
versteht, erklärt, auch wohl eigne Gedichte den Mitgliedern zur Kritik übergeben."
Was der eifrigen Schar und vor allem ihrem ehrgeizigen Anführer als Ideal
vorschwebte, erklärt die in die Satzungen eingeschobene verheißungsvolle Be¬
merkung: "Aus eben solchen Vereinen sproßten Uz, Cramer, Kleist, Hagedorn
und andre große Männer, die in der deutschen Litteratur ewig mit goldnen
Schriftzügen aufgezeichnet werden, hervor." Also nicht Mozart oder Beethoven,
sondern einer der Hainbüudler oder Auakreontiker war das Vorbild des fünf¬
zehnjährigen Schumann. Bezeichnend ist die Auswahl der zum Vortrage ge¬
brachten Stücke. Von Schiller wurden sämtliche Dramen mit verteilten Rollen
gelesen -- der Vorsitzende behielt dabei natürlich die besten für sich --, und
Größen zweiten und dritten Ranges wie Weiße, Kosegarten, Niemeyer, Hou-
wald, Meißner, Collin, Gleim, Raupach, Schulze u. a. standen auf jeder Tages¬
ordnung. Dagegen fehlt der Name Goethe ganz. "Goethe versteh ich noch
nicht," bekannte Schumann im März 1828; erst in spätern Jahren wurde er
ein begeisterter Verehrer Goethes. Jean Paul kommt erst im letzten Jahr¬
gange mit zwei Phantasiestücken vor und streitet mit den Paränesen des Philo¬
logen F. W. Thiersch um den Borrang, nahm freilich nach kurzer Zeit den
"ersten Platz" bei Schumann ein und wurde "selbst über Schiller" gestellt.

Entfernten diese vielfältige", mit Ernst und Eifer getriebenen Neben¬
beschäftigungen den Knaben von den Schulwissenschaften, so brachten ihn seine
dem Lehrplan vorauseilenden Studien der klassischen Sprachen wieder dahin


Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

war, so stand er auch schon als Fünfzehnjähriger an der Spitze eines litte¬
rarischen Vereins. Daß zu dieser Zeit seine dichterische Thätigkeit vor der
musikalische» die Oberhand gewonnen hatte, bestätigt der Umstand, daß
von den ersten Kompositionen nichts erhalten ist (Schumann selbst weiß
nicht einmal genau die Zeit ihres Entstehens anzugeben), während eine be¬
trächtliche Sammlung poetischer Versuche vorliegt mit einem sorgfältig ge¬
führten Protokoll und einem Verzeichnis der Mitglieder des litterarischen
Vereins.

Dieser Verein bestand drei Jahre hindurch und hielt dreißig Sitzungen
ub, von denen die erste am 12. Dezember 1825, die letzte im Februar 1828,
also kurz vor Schumanns Abgange nach der Universität, stattfand. In den
von Schumann entworfenen Vereinssatzungen heißt es: „Ist es jedes gebildeten
Menschen Pflicht, die Litteratur seines Vaterlandes zu kennen, so ist es ebenso
die unsrige, die wir doch schon auf höhere Bildung Ansprüche macheu wollen
und müssen, die deutsche nicht zu vernachlässigen und mit allem Eifer zu
streben, sie kennen zu lernen. Der Zweck dieses Vereins soll daher sein eine
Einweihung in die deutsche Litteratur." Diesen Zweck zu erreichen, werden,
wie es weiter heißt, „nach der Reihe die Meisterstücke unsrer Dichter und
Prosaiker vorgelesen, in jeder Sitzung eine Biographie von irgend einem berühmten
Manne beigefügt, die Meinungen darüber gesagt, die Ausdrücke, die man nicht
versteht, erklärt, auch wohl eigne Gedichte den Mitgliedern zur Kritik übergeben."
Was der eifrigen Schar und vor allem ihrem ehrgeizigen Anführer als Ideal
vorschwebte, erklärt die in die Satzungen eingeschobene verheißungsvolle Be¬
merkung: „Aus eben solchen Vereinen sproßten Uz, Cramer, Kleist, Hagedorn
und andre große Männer, die in der deutschen Litteratur ewig mit goldnen
Schriftzügen aufgezeichnet werden, hervor." Also nicht Mozart oder Beethoven,
sondern einer der Hainbüudler oder Auakreontiker war das Vorbild des fünf¬
zehnjährigen Schumann. Bezeichnend ist die Auswahl der zum Vortrage ge¬
brachten Stücke. Von Schiller wurden sämtliche Dramen mit verteilten Rollen
gelesen — der Vorsitzende behielt dabei natürlich die besten für sich —, und
Größen zweiten und dritten Ranges wie Weiße, Kosegarten, Niemeyer, Hou-
wald, Meißner, Collin, Gleim, Raupach, Schulze u. a. standen auf jeder Tages¬
ordnung. Dagegen fehlt der Name Goethe ganz. „Goethe versteh ich noch
nicht," bekannte Schumann im März 1828; erst in spätern Jahren wurde er
ein begeisterter Verehrer Goethes. Jean Paul kommt erst im letzten Jahr¬
gange mit zwei Phantasiestücken vor und streitet mit den Paränesen des Philo¬
logen F. W. Thiersch um den Borrang, nahm freilich nach kurzer Zeit den
„ersten Platz" bei Schumann ein und wurde „selbst über Schiller" gestellt.

Entfernten diese vielfältige», mit Ernst und Eifer getriebenen Neben¬
beschäftigungen den Knaben von den Schulwissenschaften, so brachten ihn seine
dem Lehrplan vorauseilenden Studien der klassischen Sprachen wieder dahin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/332>, abgerufen am 04.07.2024.