Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Gedanke einer deutschen Sprcichakademie

meinen, sich mit jenem nur notdürftig deckt? Es ist jedenfalls bequemer,
etwas von seinen Gedanken zu opfern, als sich zu bemühen, der Sprache eine
neue Färbung abzugewinnen. So verarmt mit der Sprache das Denken zu¬
gleich, und dnrch die Fremdwörter ganz besonders, weil diese, ohne sichere
Stütze in unserm Sprachbewußtem, Denkträgheit und Denkfehler vor allem
andern begünstigen. Die Aufgabe der Schule muß es sein, dem Denken jene
Anschaulichkeit des Inhalts zu geben, die der schattenhaften, unsinnlichen Be¬
griffe und des daran klebenden Phrasenwerkes, dieser bloßen Hülsen ohne Kern,
entraten kann, die, ganz Erlebnis und unmittelbares Gefühl von den Dingen,
damit auch die sprachbildende Kraft hat, durch die uus zuweilen ein Kind in
Erstannen setzt, und die deu Mundarten noch unverloren ist. Der Schul¬
unterricht muß von der Mundart aufsteigen zur Schriftsprache; man muß erst
der Sprache fürs Ohr mächtig werden, ehe man sich derer bedienen lernt, die
zunächst fürs Auge gemacht ist. Wer das lebendige Bild der Welt in sich
aufgenommen hat, wie es in den Mundarten gefaßt liegt, der hat gleichsam
am Quell der Sprachschöpfung gesessen, und dem wird auch die Schriftsprache
zum künstlerischen Stoffe, worin er solche Bilder nachprägt, ohne der längst
verblichenen Prägungen zu achten, unter denen die gemeine Sprachmünze von
Hand zu Hemd geht. Der Schulunterricht Hütte somit nur im Kleinen und verkürzt
jenen großen und mühsamen Gang nachzubilden, auf dem sich Goethe und andre
unsrer größten Schriftsteller ihre bewunderte Sprachgewalt erworben haben.

An einer solchen Pflege des schöpferischen Sprnchsiuns ist aber heute
auch der Allgemeine deutsche Sprachverein mitzuarbeiten berufen. Wer möchte
die unvermeidlichen Ausschreitungen einzelner verteidigen oder nicht zugeben,
daß er manches anders wünschte? Aber kleinlich ist es wahrlich, über der¬
gleichen die Achseln zu zucken und sich durch vergängliche Nichtigkeiten den
freien Blick sperren zu lassen auf deu großen, gefunden Grundzug einer Be¬
wegung, in der wir doch alle helfend mitten innen stehen, wir mögen wollen
oder uicht, nnter dem Zwange der Geschichte. Der Allgemeine deutsche
Sprachverein ist in wenigen Jahren zu einer Macht erwachsen. Mau mag
ihm angehören oder uicht, gleichviel: er stellt heute doch die öffentliche Mei¬
nung in Sprachsachen vor, das gleichsam Person gewordene Sprachgewissen
der Nation, dessen Stimme sich nicht mehr überhören läßt, sich vielmehr
geltend macht bei allem, was wir reden, lesen und schreibe:,. Sein Dasein
sei uns eine fortdauernde Mahnung, nicht nur Hüter, sondern auch Mehrer
der Muttersprache zu sein, uicht nur von ihrer Oberfläche zu schöpfen, sondern
in ihre Tiefen zu tauche" und das echte Sprachgvld herauszuholen, dessen
noch viel in ihr zu heben ist. Dazu kann uns aber keine Akademie helfen,
sondern nur der in jedem Einzelnen lebendige, lernende und nachschaffende
Sinn, der sich im Wesen der Muttersprache eingewohnt und sich ans ihren
reinsten Quellen Gesundheit, Fülle der Jugend und Bildkraft getrunken hat.




Der Gedanke einer deutschen Sprcichakademie

meinen, sich mit jenem nur notdürftig deckt? Es ist jedenfalls bequemer,
etwas von seinen Gedanken zu opfern, als sich zu bemühen, der Sprache eine
neue Färbung abzugewinnen. So verarmt mit der Sprache das Denken zu¬
gleich, und dnrch die Fremdwörter ganz besonders, weil diese, ohne sichere
Stütze in unserm Sprachbewußtem, Denkträgheit und Denkfehler vor allem
andern begünstigen. Die Aufgabe der Schule muß es sein, dem Denken jene
Anschaulichkeit des Inhalts zu geben, die der schattenhaften, unsinnlichen Be¬
griffe und des daran klebenden Phrasenwerkes, dieser bloßen Hülsen ohne Kern,
entraten kann, die, ganz Erlebnis und unmittelbares Gefühl von den Dingen,
damit auch die sprachbildende Kraft hat, durch die uus zuweilen ein Kind in
Erstannen setzt, und die deu Mundarten noch unverloren ist. Der Schul¬
unterricht muß von der Mundart aufsteigen zur Schriftsprache; man muß erst
der Sprache fürs Ohr mächtig werden, ehe man sich derer bedienen lernt, die
zunächst fürs Auge gemacht ist. Wer das lebendige Bild der Welt in sich
aufgenommen hat, wie es in den Mundarten gefaßt liegt, der hat gleichsam
am Quell der Sprachschöpfung gesessen, und dem wird auch die Schriftsprache
zum künstlerischen Stoffe, worin er solche Bilder nachprägt, ohne der längst
verblichenen Prägungen zu achten, unter denen die gemeine Sprachmünze von
Hand zu Hemd geht. Der Schulunterricht Hütte somit nur im Kleinen und verkürzt
jenen großen und mühsamen Gang nachzubilden, auf dem sich Goethe und andre
unsrer größten Schriftsteller ihre bewunderte Sprachgewalt erworben haben.

An einer solchen Pflege des schöpferischen Sprnchsiuns ist aber heute
auch der Allgemeine deutsche Sprachverein mitzuarbeiten berufen. Wer möchte
die unvermeidlichen Ausschreitungen einzelner verteidigen oder nicht zugeben,
daß er manches anders wünschte? Aber kleinlich ist es wahrlich, über der¬
gleichen die Achseln zu zucken und sich durch vergängliche Nichtigkeiten den
freien Blick sperren zu lassen auf deu großen, gefunden Grundzug einer Be¬
wegung, in der wir doch alle helfend mitten innen stehen, wir mögen wollen
oder uicht, nnter dem Zwange der Geschichte. Der Allgemeine deutsche
Sprachverein ist in wenigen Jahren zu einer Macht erwachsen. Mau mag
ihm angehören oder uicht, gleichviel: er stellt heute doch die öffentliche Mei¬
nung in Sprachsachen vor, das gleichsam Person gewordene Sprachgewissen
der Nation, dessen Stimme sich nicht mehr überhören läßt, sich vielmehr
geltend macht bei allem, was wir reden, lesen und schreibe:,. Sein Dasein
sei uns eine fortdauernde Mahnung, nicht nur Hüter, sondern auch Mehrer
der Muttersprache zu sein, uicht nur von ihrer Oberfläche zu schöpfen, sondern
in ihre Tiefen zu tauche» und das echte Sprachgvld herauszuholen, dessen
noch viel in ihr zu heben ist. Dazu kann uns aber keine Akademie helfen,
sondern nur der in jedem Einzelnen lebendige, lernende und nachschaffende
Sinn, der sich im Wesen der Muttersprache eingewohnt und sich ans ihren
reinsten Quellen Gesundheit, Fülle der Jugend und Bildkraft getrunken hat.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210196"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Gedanke einer deutschen Sprcichakademie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_893" prev="#ID_892"> meinen, sich mit jenem nur notdürftig deckt? Es ist jedenfalls bequemer,<lb/>
etwas von seinen Gedanken zu opfern, als sich zu bemühen, der Sprache eine<lb/>
neue Färbung abzugewinnen. So verarmt mit der Sprache das Denken zu¬<lb/>
gleich, und dnrch die Fremdwörter ganz besonders, weil diese, ohne sichere<lb/>
Stütze in unserm Sprachbewußtem, Denkträgheit und Denkfehler vor allem<lb/>
andern begünstigen. Die Aufgabe der Schule muß es sein, dem Denken jene<lb/>
Anschaulichkeit des Inhalts zu geben, die der schattenhaften, unsinnlichen Be¬<lb/>
griffe und des daran klebenden Phrasenwerkes, dieser bloßen Hülsen ohne Kern,<lb/>
entraten kann, die, ganz Erlebnis und unmittelbares Gefühl von den Dingen,<lb/>
damit auch die sprachbildende Kraft hat, durch die uus zuweilen ein Kind in<lb/>
Erstannen setzt, und die deu Mundarten noch unverloren ist. Der Schul¬<lb/>
unterricht muß von der Mundart aufsteigen zur Schriftsprache; man muß erst<lb/>
der Sprache fürs Ohr mächtig werden, ehe man sich derer bedienen lernt, die<lb/>
zunächst fürs Auge gemacht ist. Wer das lebendige Bild der Welt in sich<lb/>
aufgenommen hat, wie es in den Mundarten gefaßt liegt, der hat gleichsam<lb/>
am Quell der Sprachschöpfung gesessen, und dem wird auch die Schriftsprache<lb/>
zum künstlerischen Stoffe, worin er solche Bilder nachprägt, ohne der längst<lb/>
verblichenen Prägungen zu achten, unter denen die gemeine Sprachmünze von<lb/>
Hand zu Hemd geht. Der Schulunterricht Hütte somit nur im Kleinen und verkürzt<lb/>
jenen großen und mühsamen Gang nachzubilden, auf dem sich Goethe und andre<lb/>
unsrer größten Schriftsteller ihre bewunderte Sprachgewalt erworben haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_894"> An einer solchen Pflege des schöpferischen Sprnchsiuns ist aber heute<lb/>
auch der Allgemeine deutsche Sprachverein mitzuarbeiten berufen. Wer möchte<lb/>
die unvermeidlichen Ausschreitungen einzelner verteidigen oder nicht zugeben,<lb/>
daß er manches anders wünschte? Aber kleinlich ist es wahrlich, über der¬<lb/>
gleichen die Achseln zu zucken und sich durch vergängliche Nichtigkeiten den<lb/>
freien Blick sperren zu lassen auf deu großen, gefunden Grundzug einer Be¬<lb/>
wegung, in der wir doch alle helfend mitten innen stehen, wir mögen wollen<lb/>
oder uicht, nnter dem Zwange der Geschichte. Der Allgemeine deutsche<lb/>
Sprachverein ist in wenigen Jahren zu einer Macht erwachsen. Mau mag<lb/>
ihm angehören oder uicht, gleichviel: er stellt heute doch die öffentliche Mei¬<lb/>
nung in Sprachsachen vor, das gleichsam Person gewordene Sprachgewissen<lb/>
der Nation, dessen Stimme sich nicht mehr überhören läßt, sich vielmehr<lb/>
geltend macht bei allem, was wir reden, lesen und schreibe:,. Sein Dasein<lb/>
sei uns eine fortdauernde Mahnung, nicht nur Hüter, sondern auch Mehrer<lb/>
der Muttersprache zu sein, uicht nur von ihrer Oberfläche zu schöpfen, sondern<lb/>
in ihre Tiefen zu tauche» und das echte Sprachgvld herauszuholen, dessen<lb/>
noch viel in ihr zu heben ist. Dazu kann uns aber keine Akademie helfen,<lb/>
sondern nur der in jedem Einzelnen lebendige, lernende und nachschaffende<lb/>
Sinn, der sich im Wesen der Muttersprache eingewohnt und sich ans ihren<lb/>
reinsten Quellen Gesundheit, Fülle der Jugend und Bildkraft getrunken hat.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] Der Gedanke einer deutschen Sprcichakademie meinen, sich mit jenem nur notdürftig deckt? Es ist jedenfalls bequemer, etwas von seinen Gedanken zu opfern, als sich zu bemühen, der Sprache eine neue Färbung abzugewinnen. So verarmt mit der Sprache das Denken zu¬ gleich, und dnrch die Fremdwörter ganz besonders, weil diese, ohne sichere Stütze in unserm Sprachbewußtem, Denkträgheit und Denkfehler vor allem andern begünstigen. Die Aufgabe der Schule muß es sein, dem Denken jene Anschaulichkeit des Inhalts zu geben, die der schattenhaften, unsinnlichen Be¬ griffe und des daran klebenden Phrasenwerkes, dieser bloßen Hülsen ohne Kern, entraten kann, die, ganz Erlebnis und unmittelbares Gefühl von den Dingen, damit auch die sprachbildende Kraft hat, durch die uus zuweilen ein Kind in Erstannen setzt, und die deu Mundarten noch unverloren ist. Der Schul¬ unterricht muß von der Mundart aufsteigen zur Schriftsprache; man muß erst der Sprache fürs Ohr mächtig werden, ehe man sich derer bedienen lernt, die zunächst fürs Auge gemacht ist. Wer das lebendige Bild der Welt in sich aufgenommen hat, wie es in den Mundarten gefaßt liegt, der hat gleichsam am Quell der Sprachschöpfung gesessen, und dem wird auch die Schriftsprache zum künstlerischen Stoffe, worin er solche Bilder nachprägt, ohne der längst verblichenen Prägungen zu achten, unter denen die gemeine Sprachmünze von Hand zu Hemd geht. Der Schulunterricht Hütte somit nur im Kleinen und verkürzt jenen großen und mühsamen Gang nachzubilden, auf dem sich Goethe und andre unsrer größten Schriftsteller ihre bewunderte Sprachgewalt erworben haben. An einer solchen Pflege des schöpferischen Sprnchsiuns ist aber heute auch der Allgemeine deutsche Sprachverein mitzuarbeiten berufen. Wer möchte die unvermeidlichen Ausschreitungen einzelner verteidigen oder nicht zugeben, daß er manches anders wünschte? Aber kleinlich ist es wahrlich, über der¬ gleichen die Achseln zu zucken und sich durch vergängliche Nichtigkeiten den freien Blick sperren zu lassen auf deu großen, gefunden Grundzug einer Be¬ wegung, in der wir doch alle helfend mitten innen stehen, wir mögen wollen oder uicht, nnter dem Zwange der Geschichte. Der Allgemeine deutsche Sprachverein ist in wenigen Jahren zu einer Macht erwachsen. Mau mag ihm angehören oder uicht, gleichviel: er stellt heute doch die öffentliche Mei¬ nung in Sprachsachen vor, das gleichsam Person gewordene Sprachgewissen der Nation, dessen Stimme sich nicht mehr überhören läßt, sich vielmehr geltend macht bei allem, was wir reden, lesen und schreibe:,. Sein Dasein sei uns eine fortdauernde Mahnung, nicht nur Hüter, sondern auch Mehrer der Muttersprache zu sein, uicht nur von ihrer Oberfläche zu schöpfen, sondern in ihre Tiefen zu tauche» und das echte Sprachgvld herauszuholen, dessen noch viel in ihr zu heben ist. Dazu kann uns aber keine Akademie helfen, sondern nur der in jedem Einzelnen lebendige, lernende und nachschaffende Sinn, der sich im Wesen der Muttersprache eingewohnt und sich ans ihren reinsten Quellen Gesundheit, Fülle der Jugend und Bildkraft getrunken hat.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/329>, abgerufen am 24.07.2024.