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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

getreten/'') der bei der Gründung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins
einen kräftigen Wiederhall weckte. Unbewußt sprach dabei etwas von den
Gleichmachergelüsteu des sogenannten Berlinertnms mit: jene bekannte Neigung,
unsre Reichshauptstadt nach Art der französischen zum ausschließlich ma߬
gebenden Mittelpunkte unsers Lebens zu macheu, auch in sprachlichen Dingen.
Wie sehr das unsrer Geschichte zuwiderläuft, muß immer wieder betont werden.
Auch die Geschichte unsrer Sprachgesellschafteu -- um diese weitere Lehre aus
ihr zu entnehmen -- hat uns ja ein Bild entrollt von jener Mannichfaltigkeit
des Eingreifens, in der die deutschen Stämme von jeher gewetteifert haben.

Die Aufgabe der Sprachakademie soll nach dem Wunsche ihrer Fürsprecher
eine doppelte sein. Einmal: wissenschaftliche Erforschung der Sprache und ihrer
Geschichte. Darauf ist zu antworten, daß für eine solche Akademie keinerlei
Bedürfnis vorliegt. Wir haben an den vorhandenen Akademien der Wissen¬
schaften, an zahlreichen Zeitschriften und periodischen Unternehmungen Sammel¬
punkte der Forschung genug. Die Zeiten, wo sich der Fortschritt der Wissen¬
schaften beinahe allein durch Akademien vollzog, sind längst vorbei, ein großer,
ja der größere Teil der wissenschaftlichen Arbeit wird außerhalb der Akademien
geleistet. Die Akademien sind notwendig, weil dnrch ihr Dasein vor allem
der Staat Zeugnis ablegt, welche Stellung er der Wissenschaft in der Be¬
wegung des Ganzen zuerkennt, und weil weiterhin durch den in gemeinsamen
Sitzungen hergestellten Austausch die einzelnen Fachgelehrten in der beständig
erhaltenen Fühlung mit den Nachbargebieteu vor der Gefahr der Vereinseiti¬
gung bewahrt bleiben. Eine Akademie, die lediglich der Erforschung der deut¬
schen Sprache diente, würde sogar des zuletzt genannten Vorteils verlustig gehen.

Die zweite Aufgabe einer solchen Anstalt soll praktischer Art sein: Fest¬
stellung des schwankenden Sprachgebrauchs und der Rechtschreibung, sowie
Pflege des reinen und guten Deutsch überhaupt. Die Akademie soll schlie߬
lich als eine Art sprachlichen Gerichtshofs dienen, bei dem sich alle öffentlichen
Behörden, Verwaltungen u. tgi. Rath zu erholen hätten, was in sprachlichen
Dingen Rechtens sei; angehören müßten ihr die bewährtesten Kenner der
Sprache, Schriftsteller und Forscher, ihnen zur Seite müßten Geschäftskundige
stehen, die zwischen der akademischen Körperschaft und den einzelnen von ihr
sprachlich beaufsichtigten Berufszweigen die Veruüttlnng herstellten.

Dem allem gegenüber ist zunächst die Frage berechtigt: Ist denn ein der¬
artiges Eingreifen Einzelner in den Gang der Sprache mit dem Ansprüche der
Gemeinverbindlichkeit erlaubt?



Die königlich preußische Regierung erklärte damals ihre Bereitwilligkeit, den Vor¬
schlag zu prüfen, aber das von der Berliner Akademie geforderte Gutachten fiel in ablehnendem
Sinne aus. Daß ähnliche Verhandlungen schon früher zu keinem Ziele geführt hatten, lehrt
jetzt Leopold von Rankes Aufsatz "Idee einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache"
(Sämtliche Werke Bd. 54, S. 696 ff.).
Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

getreten/'') der bei der Gründung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins
einen kräftigen Wiederhall weckte. Unbewußt sprach dabei etwas von den
Gleichmachergelüsteu des sogenannten Berlinertnms mit: jene bekannte Neigung,
unsre Reichshauptstadt nach Art der französischen zum ausschließlich ma߬
gebenden Mittelpunkte unsers Lebens zu macheu, auch in sprachlichen Dingen.
Wie sehr das unsrer Geschichte zuwiderläuft, muß immer wieder betont werden.
Auch die Geschichte unsrer Sprachgesellschafteu — um diese weitere Lehre aus
ihr zu entnehmen — hat uns ja ein Bild entrollt von jener Mannichfaltigkeit
des Eingreifens, in der die deutschen Stämme von jeher gewetteifert haben.

Die Aufgabe der Sprachakademie soll nach dem Wunsche ihrer Fürsprecher
eine doppelte sein. Einmal: wissenschaftliche Erforschung der Sprache und ihrer
Geschichte. Darauf ist zu antworten, daß für eine solche Akademie keinerlei
Bedürfnis vorliegt. Wir haben an den vorhandenen Akademien der Wissen¬
schaften, an zahlreichen Zeitschriften und periodischen Unternehmungen Sammel¬
punkte der Forschung genug. Die Zeiten, wo sich der Fortschritt der Wissen¬
schaften beinahe allein durch Akademien vollzog, sind längst vorbei, ein großer,
ja der größere Teil der wissenschaftlichen Arbeit wird außerhalb der Akademien
geleistet. Die Akademien sind notwendig, weil dnrch ihr Dasein vor allem
der Staat Zeugnis ablegt, welche Stellung er der Wissenschaft in der Be¬
wegung des Ganzen zuerkennt, und weil weiterhin durch den in gemeinsamen
Sitzungen hergestellten Austausch die einzelnen Fachgelehrten in der beständig
erhaltenen Fühlung mit den Nachbargebieteu vor der Gefahr der Vereinseiti¬
gung bewahrt bleiben. Eine Akademie, die lediglich der Erforschung der deut¬
schen Sprache diente, würde sogar des zuletzt genannten Vorteils verlustig gehen.

Die zweite Aufgabe einer solchen Anstalt soll praktischer Art sein: Fest¬
stellung des schwankenden Sprachgebrauchs und der Rechtschreibung, sowie
Pflege des reinen und guten Deutsch überhaupt. Die Akademie soll schlie߬
lich als eine Art sprachlichen Gerichtshofs dienen, bei dem sich alle öffentlichen
Behörden, Verwaltungen u. tgi. Rath zu erholen hätten, was in sprachlichen
Dingen Rechtens sei; angehören müßten ihr die bewährtesten Kenner der
Sprache, Schriftsteller und Forscher, ihnen zur Seite müßten Geschäftskundige
stehen, die zwischen der akademischen Körperschaft und den einzelnen von ihr
sprachlich beaufsichtigten Berufszweigen die Veruüttlnng herstellten.

Dem allem gegenüber ist zunächst die Frage berechtigt: Ist denn ein der¬
artiges Eingreifen Einzelner in den Gang der Sprache mit dem Ansprüche der
Gemeinverbindlichkeit erlaubt?



Die königlich preußische Regierung erklärte damals ihre Bereitwilligkeit, den Vor¬
schlag zu prüfen, aber das von der Berliner Akademie geforderte Gutachten fiel in ablehnendem
Sinne aus. Daß ähnliche Verhandlungen schon früher zu keinem Ziele geführt hatten, lehrt
jetzt Leopold von Rankes Aufsatz „Idee einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache"
(Sämtliche Werke Bd. 54, S. 696 ff.).
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[0326] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie getreten/'') der bei der Gründung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins einen kräftigen Wiederhall weckte. Unbewußt sprach dabei etwas von den Gleichmachergelüsteu des sogenannten Berlinertnms mit: jene bekannte Neigung, unsre Reichshauptstadt nach Art der französischen zum ausschließlich ma߬ gebenden Mittelpunkte unsers Lebens zu macheu, auch in sprachlichen Dingen. Wie sehr das unsrer Geschichte zuwiderläuft, muß immer wieder betont werden. Auch die Geschichte unsrer Sprachgesellschafteu — um diese weitere Lehre aus ihr zu entnehmen — hat uns ja ein Bild entrollt von jener Mannichfaltigkeit des Eingreifens, in der die deutschen Stämme von jeher gewetteifert haben. Die Aufgabe der Sprachakademie soll nach dem Wunsche ihrer Fürsprecher eine doppelte sein. Einmal: wissenschaftliche Erforschung der Sprache und ihrer Geschichte. Darauf ist zu antworten, daß für eine solche Akademie keinerlei Bedürfnis vorliegt. Wir haben an den vorhandenen Akademien der Wissen¬ schaften, an zahlreichen Zeitschriften und periodischen Unternehmungen Sammel¬ punkte der Forschung genug. Die Zeiten, wo sich der Fortschritt der Wissen¬ schaften beinahe allein durch Akademien vollzog, sind längst vorbei, ein großer, ja der größere Teil der wissenschaftlichen Arbeit wird außerhalb der Akademien geleistet. Die Akademien sind notwendig, weil dnrch ihr Dasein vor allem der Staat Zeugnis ablegt, welche Stellung er der Wissenschaft in der Be¬ wegung des Ganzen zuerkennt, und weil weiterhin durch den in gemeinsamen Sitzungen hergestellten Austausch die einzelnen Fachgelehrten in der beständig erhaltenen Fühlung mit den Nachbargebieteu vor der Gefahr der Vereinseiti¬ gung bewahrt bleiben. Eine Akademie, die lediglich der Erforschung der deut¬ schen Sprache diente, würde sogar des zuletzt genannten Vorteils verlustig gehen. Die zweite Aufgabe einer solchen Anstalt soll praktischer Art sein: Fest¬ stellung des schwankenden Sprachgebrauchs und der Rechtschreibung, sowie Pflege des reinen und guten Deutsch überhaupt. Die Akademie soll schlie߬ lich als eine Art sprachlichen Gerichtshofs dienen, bei dem sich alle öffentlichen Behörden, Verwaltungen u. tgi. Rath zu erholen hätten, was in sprachlichen Dingen Rechtens sei; angehören müßten ihr die bewährtesten Kenner der Sprache, Schriftsteller und Forscher, ihnen zur Seite müßten Geschäftskundige stehen, die zwischen der akademischen Körperschaft und den einzelnen von ihr sprachlich beaufsichtigten Berufszweigen die Veruüttlnng herstellten. Dem allem gegenüber ist zunächst die Frage berechtigt: Ist denn ein der¬ artiges Eingreifen Einzelner in den Gang der Sprache mit dem Ansprüche der Gemeinverbindlichkeit erlaubt? Die königlich preußische Regierung erklärte damals ihre Bereitwilligkeit, den Vor¬ schlag zu prüfen, aber das von der Berliner Akademie geforderte Gutachten fiel in ablehnendem Sinne aus. Daß ähnliche Verhandlungen schon früher zu keinem Ziele geführt hatten, lehrt jetzt Leopold von Rankes Aufsatz „Idee einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache" (Sämtliche Werke Bd. 54, S. 696 ff.).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/326>, abgerufen am 24.07.2024.