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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakadeinie

stadt, Frankfurt, Strnßburg, Zürich, Mannheim (seit 1775 die Kurfürstliche
Deutsche Gesellschaft), Mainz, Karlsruhe, Dessau, Bückeburg, Braunschweig,
Gotha, Weimar, Erfurt, Göttingen, Halberstadt, Düsseldorf, Hamburg und
Königsberg. Der demokratische Zug der Geniezeit will weder von einem
regierenden Hof- und Akademiegeschmack noch von fürstlichen! Mäzenatentum
wissen; uicht von oben und von außen, sondern von innen heraus hofft man
eine Verjüngung des geistigen Lebens, durch herzliche Einkehr in deutsches
Wesen. Das merkwürdigste Denkmal dieser von dem erstarkten Selbstgefühl
des bürgerlichen Geistes geleiteten Einheitsbewegung ist Klopstocks "Deutsche
Gelehrtenrepublik" (1774), ein Buch, dessen wunderlich altfränkische Form
den großen Grundgedanken birgt, daß eine nationale Wiedergeburt Deutsch¬
lands ausgehen müsse von einem idealen Bund unabhängiger Gelehrten,
die die Pflege des deutscheu Geistes auf allen Gebieten der Wissenschaft
zur Aufgabe ihres Lebeus machten. Neben der Geschichte und der Natur-
Wissenschaft soll diesem Bunde unsre herrliche Muttersprache obenan stehen.
Klopstock fordert eine Geschichte der deutschen Sprache und ein Wörterbuch;
er denkt hoch von der grammatischen Forschung, er verlangt Feststellung des
Sprachgebrauchs und der Wortbedeutung, aber auch metrische, prvsodische und
rhythmische Untersuchungen. Als das Werkzeug, womit Klopstock seine patrio¬
tischen Pläne auszurichten dachte, bot sich ihm der Göttinger Dichterbund,
der unter seiner Leitung über ganz Deutschland sich ausbreitend die hervor¬
ragendsten Vertreter des geistigen Fortschritts in einer Art idealen Gemein¬
wesens unter selbstgegebenen Gesetzen vereinigen, in dem Bundesbuche ein
Sinnbild seiner Gemeinschaft besitzen und als Reformator des Geschmackes und
Verbanner des französischen Geistes dem Vaterlande die Einheit schaffen sollte.
Ein solcher Bund konnte unmöglich auf die Genialsten unter der damaligen
Jugend verzichten: es galt vor allem, Goethe und seinen Kreis zu gewinnen,
Klopstocks Stolz ging mit Widerstreben daran, aber er ließ es sich nicht nehmen,
Goethe selbst seinen Besuch zu macheu, auch andre Mitglieder des Bundes
fanden sich bei Goethe ein. Zu einer klaren Aussprache kam es zwar nicht,
aber man gab die Hoffnung ans Goethe nicht auf. Da wandte sich dieser nach
Weimar, er einigte sich nicht nur herzlich mit dein verhaßten, undeutschen
Wieland, er zog auch Herder, Stolberg u. a. nach sich. Aufs neue schien sich
ein Hof der Litteraturbewegung zu bemächtigen, und empörende Gerüchte ver¬
breiteten sich über eine tolle Geniewirtschaft, der sich Goethe mit seinem jungen
Herzog zügellos ergeben haben sollte. Klopstock als das Haupt des künftigen
"Deutschen Bundes" entschloß sich, gegen diese vermeintliche Ehrvergessenheit
eines hervorragenden deutschen Schriftstellers, der damit die Würde seines
ganzen Standes herabsetze, einzuschreiten. Auf sein halb drohendes halb
liebevoll mahnendes Schreiben antwortete Goethe ehrerbietig, aber kurz und
scharf zurückweisend. Klopstock blieb nichts übrig, als mit Goethe förmlich zu.


Der Gedanke einer deutschen Sprachakadeinie

stadt, Frankfurt, Strnßburg, Zürich, Mannheim (seit 1775 die Kurfürstliche
Deutsche Gesellschaft), Mainz, Karlsruhe, Dessau, Bückeburg, Braunschweig,
Gotha, Weimar, Erfurt, Göttingen, Halberstadt, Düsseldorf, Hamburg und
Königsberg. Der demokratische Zug der Geniezeit will weder von einem
regierenden Hof- und Akademiegeschmack noch von fürstlichen! Mäzenatentum
wissen; uicht von oben und von außen, sondern von innen heraus hofft man
eine Verjüngung des geistigen Lebens, durch herzliche Einkehr in deutsches
Wesen. Das merkwürdigste Denkmal dieser von dem erstarkten Selbstgefühl
des bürgerlichen Geistes geleiteten Einheitsbewegung ist Klopstocks „Deutsche
Gelehrtenrepublik" (1774), ein Buch, dessen wunderlich altfränkische Form
den großen Grundgedanken birgt, daß eine nationale Wiedergeburt Deutsch¬
lands ausgehen müsse von einem idealen Bund unabhängiger Gelehrten,
die die Pflege des deutscheu Geistes auf allen Gebieten der Wissenschaft
zur Aufgabe ihres Lebeus machten. Neben der Geschichte und der Natur-
Wissenschaft soll diesem Bunde unsre herrliche Muttersprache obenan stehen.
Klopstock fordert eine Geschichte der deutschen Sprache und ein Wörterbuch;
er denkt hoch von der grammatischen Forschung, er verlangt Feststellung des
Sprachgebrauchs und der Wortbedeutung, aber auch metrische, prvsodische und
rhythmische Untersuchungen. Als das Werkzeug, womit Klopstock seine patrio¬
tischen Pläne auszurichten dachte, bot sich ihm der Göttinger Dichterbund,
der unter seiner Leitung über ganz Deutschland sich ausbreitend die hervor¬
ragendsten Vertreter des geistigen Fortschritts in einer Art idealen Gemein¬
wesens unter selbstgegebenen Gesetzen vereinigen, in dem Bundesbuche ein
Sinnbild seiner Gemeinschaft besitzen und als Reformator des Geschmackes und
Verbanner des französischen Geistes dem Vaterlande die Einheit schaffen sollte.
Ein solcher Bund konnte unmöglich auf die Genialsten unter der damaligen
Jugend verzichten: es galt vor allem, Goethe und seinen Kreis zu gewinnen,
Klopstocks Stolz ging mit Widerstreben daran, aber er ließ es sich nicht nehmen,
Goethe selbst seinen Besuch zu macheu, auch andre Mitglieder des Bundes
fanden sich bei Goethe ein. Zu einer klaren Aussprache kam es zwar nicht,
aber man gab die Hoffnung ans Goethe nicht auf. Da wandte sich dieser nach
Weimar, er einigte sich nicht nur herzlich mit dein verhaßten, undeutschen
Wieland, er zog auch Herder, Stolberg u. a. nach sich. Aufs neue schien sich
ein Hof der Litteraturbewegung zu bemächtigen, und empörende Gerüchte ver¬
breiteten sich über eine tolle Geniewirtschaft, der sich Goethe mit seinem jungen
Herzog zügellos ergeben haben sollte. Klopstock als das Haupt des künftigen
„Deutschen Bundes" entschloß sich, gegen diese vermeintliche Ehrvergessenheit
eines hervorragenden deutschen Schriftstellers, der damit die Würde seines
ganzen Standes herabsetze, einzuschreiten. Auf sein halb drohendes halb
liebevoll mahnendes Schreiben antwortete Goethe ehrerbietig, aber kurz und
scharf zurückweisend. Klopstock blieb nichts übrig, als mit Goethe förmlich zu.


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[0322] Der Gedanke einer deutschen Sprachakadeinie stadt, Frankfurt, Strnßburg, Zürich, Mannheim (seit 1775 die Kurfürstliche Deutsche Gesellschaft), Mainz, Karlsruhe, Dessau, Bückeburg, Braunschweig, Gotha, Weimar, Erfurt, Göttingen, Halberstadt, Düsseldorf, Hamburg und Königsberg. Der demokratische Zug der Geniezeit will weder von einem regierenden Hof- und Akademiegeschmack noch von fürstlichen! Mäzenatentum wissen; uicht von oben und von außen, sondern von innen heraus hofft man eine Verjüngung des geistigen Lebens, durch herzliche Einkehr in deutsches Wesen. Das merkwürdigste Denkmal dieser von dem erstarkten Selbstgefühl des bürgerlichen Geistes geleiteten Einheitsbewegung ist Klopstocks „Deutsche Gelehrtenrepublik" (1774), ein Buch, dessen wunderlich altfränkische Form den großen Grundgedanken birgt, daß eine nationale Wiedergeburt Deutsch¬ lands ausgehen müsse von einem idealen Bund unabhängiger Gelehrten, die die Pflege des deutscheu Geistes auf allen Gebieten der Wissenschaft zur Aufgabe ihres Lebeus machten. Neben der Geschichte und der Natur- Wissenschaft soll diesem Bunde unsre herrliche Muttersprache obenan stehen. Klopstock fordert eine Geschichte der deutschen Sprache und ein Wörterbuch; er denkt hoch von der grammatischen Forschung, er verlangt Feststellung des Sprachgebrauchs und der Wortbedeutung, aber auch metrische, prvsodische und rhythmische Untersuchungen. Als das Werkzeug, womit Klopstock seine patrio¬ tischen Pläne auszurichten dachte, bot sich ihm der Göttinger Dichterbund, der unter seiner Leitung über ganz Deutschland sich ausbreitend die hervor¬ ragendsten Vertreter des geistigen Fortschritts in einer Art idealen Gemein¬ wesens unter selbstgegebenen Gesetzen vereinigen, in dem Bundesbuche ein Sinnbild seiner Gemeinschaft besitzen und als Reformator des Geschmackes und Verbanner des französischen Geistes dem Vaterlande die Einheit schaffen sollte. Ein solcher Bund konnte unmöglich auf die Genialsten unter der damaligen Jugend verzichten: es galt vor allem, Goethe und seinen Kreis zu gewinnen, Klopstocks Stolz ging mit Widerstreben daran, aber er ließ es sich nicht nehmen, Goethe selbst seinen Besuch zu macheu, auch andre Mitglieder des Bundes fanden sich bei Goethe ein. Zu einer klaren Aussprache kam es zwar nicht, aber man gab die Hoffnung ans Goethe nicht auf. Da wandte sich dieser nach Weimar, er einigte sich nicht nur herzlich mit dein verhaßten, undeutschen Wieland, er zog auch Herder, Stolberg u. a. nach sich. Aufs neue schien sich ein Hof der Litteraturbewegung zu bemächtigen, und empörende Gerüchte ver¬ breiteten sich über eine tolle Geniewirtschaft, der sich Goethe mit seinem jungen Herzog zügellos ergeben haben sollte. Klopstock als das Haupt des künftigen „Deutschen Bundes" entschloß sich, gegen diese vermeintliche Ehrvergessenheit eines hervorragenden deutschen Schriftstellers, der damit die Würde seines ganzen Standes herabsetze, einzuschreiten. Auf sein halb drohendes halb liebevoll mahnendes Schreiben antwortete Goethe ehrerbietig, aber kurz und scharf zurückweisend. Klopstock blieb nichts übrig, als mit Goethe förmlich zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/322>, abgerufen am 24.07.2024.