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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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die Eröffnung neuer Quellen, an denen sich die Sprache verjüngen und Reich¬
tum und Fülle ohne die besonders bei deu deutscheu Übersetzungen hervor¬
tretende schwerfällige Weitschweifigkeit gewinnen könnte. Von der in Berlin
im Jahre 1700 eröffneten Akademie der Wissenschaften sollte auch diese nationale
Aufgabe übernommen werden, aber der Bericht über ihre Thätigkeit aus dem
Jahre 1702 rückte deren Verwirklichung nicht in nahe Aussicht. König
Friedrich I. und Sophie Charlotte schätzten die Akademie, sofern sie den Glanz
des jungen Königreichs und seiner Hauptstadt erhöhte; aber am Hofe zu Char¬
lottenburg verstand man wenig Deutsch, und so wurde gerade für die Sprache
von der neuen Akademie nicht viel geleistet. Die Sparsamkeit Friedrich Wil¬
helms I. hatte vollends für die Akademie nichts übrig, und Friedrich der
Große erneuerte zwar ihr Ansehen, aber nicht den Geist ihres Stifters, viel¬
mehr hatte sie sich in ihren Schriften seit 1744 der französischen Sprache zu
bedienen. Was Leibniz von der Akademie erwartet hatte, wurde in beschränk¬
terem Sinne dnrch sprachgelehrte wie Eckhart, Schilter, Scherz, Wächter,
Frisch und Haltaus geleistet. Friedrich Wilhelm I. hatte sich geschmeichelt,
in der Berliner Akademie ein weit umfassender entworfenes Gegenstück zu der
1635 gestifteten ^oÄävMiö I'rcmhaise zu besitzen, aber Leibniz verdankte eine
Anregung höchstens der seit 16K3 bestehenden, ebenfalls auf eine Vereinigung
der Wissenschaften gerichteten Londoner Akademie, während er die ^vaä<?,mi"z
1''ranyg,i86, ebenso wie die vrusoa, tadelte, weil sie nicht nur ihre Aufgabe allzu
eng begrenze, sondern auch ihre einzige Pflegebefohlene, die Sprache, geradezu
ärmer mache.

In der That hatte dieser Vorwurf Recht. Wie die Lru8ca, so schuf
auch die französische Akademie ein Wörterbuch nicht der lebenden Sprache,
sondern des sogenannten de-an er-whgis, das auch in seinen neuen Bearbeitungen
im wesentlichen ein Wörterbuch des siebzehnten Jahrhunderts geblieben ist
und kaum zwei Fünftel des französischen Sprachschatzes enthält. Noch übler
gelang ihr der Versuch, eine maßgebende Sprachlehre auszuarbeiten, die man,
ohne sich über ihre Grundsätze einigen zu können, schließlich Regnier-Desmarets
übergab, der sie uur zum Teil fertig brachte. Eine doktrinär nusgediftelte
französische Synonymik gab in ihrem Auftrage 1718 Girard heraus. Die
beabsichtigte Rhetorik und Poetik blieben unausgeführt, und somit waren die
wissenschaftlichen Leistungen der Akademie uur dürftig. Um so eingreifender
gestaltete sich ihre praktische Bedeutung. Als eine strenge Hüterin der von
Vaugelas eingeleiteten kritischen Erziehung des sprachlichen Ausdrucks hat sie
vor allein jene Vorzüge des Französischen ausbilden helfen, denen es einen
Teil seiner Weltgiltigkeit verdankt: die vornehme Gewähltheit, die klare Schärfe
und eindeutige Bestimmtheit, die Durchsichtigkeit des Satzbaues, den Wohl¬
klang des Tonfalles und die anregende rednerische Haltung. Es sind das
Tugenden, wie sie auf dem Boden der Gesellschaft erwachsen, die jeder frau-


die Eröffnung neuer Quellen, an denen sich die Sprache verjüngen und Reich¬
tum und Fülle ohne die besonders bei deu deutscheu Übersetzungen hervor¬
tretende schwerfällige Weitschweifigkeit gewinnen könnte. Von der in Berlin
im Jahre 1700 eröffneten Akademie der Wissenschaften sollte auch diese nationale
Aufgabe übernommen werden, aber der Bericht über ihre Thätigkeit aus dem
Jahre 1702 rückte deren Verwirklichung nicht in nahe Aussicht. König
Friedrich I. und Sophie Charlotte schätzten die Akademie, sofern sie den Glanz
des jungen Königreichs und seiner Hauptstadt erhöhte; aber am Hofe zu Char¬
lottenburg verstand man wenig Deutsch, und so wurde gerade für die Sprache
von der neuen Akademie nicht viel geleistet. Die Sparsamkeit Friedrich Wil¬
helms I. hatte vollends für die Akademie nichts übrig, und Friedrich der
Große erneuerte zwar ihr Ansehen, aber nicht den Geist ihres Stifters, viel¬
mehr hatte sie sich in ihren Schriften seit 1744 der französischen Sprache zu
bedienen. Was Leibniz von der Akademie erwartet hatte, wurde in beschränk¬
terem Sinne dnrch sprachgelehrte wie Eckhart, Schilter, Scherz, Wächter,
Frisch und Haltaus geleistet. Friedrich Wilhelm I. hatte sich geschmeichelt,
in der Berliner Akademie ein weit umfassender entworfenes Gegenstück zu der
1635 gestifteten ^oÄävMiö I'rcmhaise zu besitzen, aber Leibniz verdankte eine
Anregung höchstens der seit 16K3 bestehenden, ebenfalls auf eine Vereinigung
der Wissenschaften gerichteten Londoner Akademie, während er die ^vaä<?,mi«z
1''ranyg,i86, ebenso wie die vrusoa, tadelte, weil sie nicht nur ihre Aufgabe allzu
eng begrenze, sondern auch ihre einzige Pflegebefohlene, die Sprache, geradezu
ärmer mache.

In der That hatte dieser Vorwurf Recht. Wie die Lru8ca, so schuf
auch die französische Akademie ein Wörterbuch nicht der lebenden Sprache,
sondern des sogenannten de-an er-whgis, das auch in seinen neuen Bearbeitungen
im wesentlichen ein Wörterbuch des siebzehnten Jahrhunderts geblieben ist
und kaum zwei Fünftel des französischen Sprachschatzes enthält. Noch übler
gelang ihr der Versuch, eine maßgebende Sprachlehre auszuarbeiten, die man,
ohne sich über ihre Grundsätze einigen zu können, schließlich Regnier-Desmarets
übergab, der sie uur zum Teil fertig brachte. Eine doktrinär nusgediftelte
französische Synonymik gab in ihrem Auftrage 1718 Girard heraus. Die
beabsichtigte Rhetorik und Poetik blieben unausgeführt, und somit waren die
wissenschaftlichen Leistungen der Akademie uur dürftig. Um so eingreifender
gestaltete sich ihre praktische Bedeutung. Als eine strenge Hüterin der von
Vaugelas eingeleiteten kritischen Erziehung des sprachlichen Ausdrucks hat sie
vor allein jene Vorzüge des Französischen ausbilden helfen, denen es einen
Teil seiner Weltgiltigkeit verdankt: die vornehme Gewähltheit, die klare Schärfe
und eindeutige Bestimmtheit, die Durchsichtigkeit des Satzbaues, den Wohl¬
klang des Tonfalles und die anregende rednerische Haltung. Es sind das
Tugenden, wie sie auf dem Boden der Gesellschaft erwachsen, die jeder frau-


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[0318] die Eröffnung neuer Quellen, an denen sich die Sprache verjüngen und Reich¬ tum und Fülle ohne die besonders bei deu deutscheu Übersetzungen hervor¬ tretende schwerfällige Weitschweifigkeit gewinnen könnte. Von der in Berlin im Jahre 1700 eröffneten Akademie der Wissenschaften sollte auch diese nationale Aufgabe übernommen werden, aber der Bericht über ihre Thätigkeit aus dem Jahre 1702 rückte deren Verwirklichung nicht in nahe Aussicht. König Friedrich I. und Sophie Charlotte schätzten die Akademie, sofern sie den Glanz des jungen Königreichs und seiner Hauptstadt erhöhte; aber am Hofe zu Char¬ lottenburg verstand man wenig Deutsch, und so wurde gerade für die Sprache von der neuen Akademie nicht viel geleistet. Die Sparsamkeit Friedrich Wil¬ helms I. hatte vollends für die Akademie nichts übrig, und Friedrich der Große erneuerte zwar ihr Ansehen, aber nicht den Geist ihres Stifters, viel¬ mehr hatte sie sich in ihren Schriften seit 1744 der französischen Sprache zu bedienen. Was Leibniz von der Akademie erwartet hatte, wurde in beschränk¬ terem Sinne dnrch sprachgelehrte wie Eckhart, Schilter, Scherz, Wächter, Frisch und Haltaus geleistet. Friedrich Wilhelm I. hatte sich geschmeichelt, in der Berliner Akademie ein weit umfassender entworfenes Gegenstück zu der 1635 gestifteten ^oÄävMiö I'rcmhaise zu besitzen, aber Leibniz verdankte eine Anregung höchstens der seit 16K3 bestehenden, ebenfalls auf eine Vereinigung der Wissenschaften gerichteten Londoner Akademie, während er die ^vaä<?,mi«z 1''ranyg,i86, ebenso wie die vrusoa, tadelte, weil sie nicht nur ihre Aufgabe allzu eng begrenze, sondern auch ihre einzige Pflegebefohlene, die Sprache, geradezu ärmer mache. In der That hatte dieser Vorwurf Recht. Wie die Lru8ca, so schuf auch die französische Akademie ein Wörterbuch nicht der lebenden Sprache, sondern des sogenannten de-an er-whgis, das auch in seinen neuen Bearbeitungen im wesentlichen ein Wörterbuch des siebzehnten Jahrhunderts geblieben ist und kaum zwei Fünftel des französischen Sprachschatzes enthält. Noch übler gelang ihr der Versuch, eine maßgebende Sprachlehre auszuarbeiten, die man, ohne sich über ihre Grundsätze einigen zu können, schließlich Regnier-Desmarets übergab, der sie uur zum Teil fertig brachte. Eine doktrinär nusgediftelte französische Synonymik gab in ihrem Auftrage 1718 Girard heraus. Die beabsichtigte Rhetorik und Poetik blieben unausgeführt, und somit waren die wissenschaftlichen Leistungen der Akademie uur dürftig. Um so eingreifender gestaltete sich ihre praktische Bedeutung. Als eine strenge Hüterin der von Vaugelas eingeleiteten kritischen Erziehung des sprachlichen Ausdrucks hat sie vor allein jene Vorzüge des Französischen ausbilden helfen, denen es einen Teil seiner Weltgiltigkeit verdankt: die vornehme Gewähltheit, die klare Schärfe und eindeutige Bestimmtheit, die Durchsichtigkeit des Satzbaues, den Wohl¬ klang des Tonfalles und die anregende rednerische Haltung. Es sind das Tugenden, wie sie auf dem Boden der Gesellschaft erwachsen, die jeder frau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/318>, abgerufen am 24.07.2024.