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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

losen Buntscheckigkeit des Ausdrucks. Dus erste deutsche Fremdwörterbuch von
Simon Nöthe (1572) enthielt bereits gegen 3000 Fremdwörter. Und der
Kampf gegen diese Eindringlinge wurde jetzt zu einer nationalen Sache.

Wenn es noch heute viele Leute giebt, die den Kampf gegen die Fremd¬
wörter nach der Weise des siebzehnten Jahrhunderts nicht für eine ästhetische,
sondern für eine nationale Notwendigkeit erklären möchten, so muß denen wohl
entgegengehalten werden, welchen Ursachen der leidenschaftliche Kampf von
damals eigentlich entsprang. An der Sprache hing eben damals allein die
große Frage der Einigung Deutschlands: die unselige Zersplitterung und das
fremde Joch, die aus dem öffentlichen Leben nicht wegzuschaffen waren, sollten
wenigstens in der Sprache der Einheit und Selbstherrlichkeit weichen. Man
schlug auf die Fremdwörter los, aber man meinte die fremden Unterdrücker,
die am deutsche" Marke zehrten, die mit dem Auslande Kühlenden Höfe nud
alles, was sich einem ans der Tiefe des Volkes zornig sich aufringenden
Nationalbewußtsein in den Weg zu stellen schien. Nur daraus ist es zu ver¬
stehen, wenn nun in den Fremdwörtern geradezu die Ursache des Unglücks
der Nation suchen möchte, indem Haß und Feindschaft durch sie gefördert
würden, wenn man die deutsche Sprache als eine keusche und mächtige Königin
feiert, die niemand zu gehorchen habe, wenn man sie in patriotischer Über-
hebung sogar für älter erklärt als das Griechische und Lateinische, die aus
ihr entlehnt hätten, und vollends als die romanischen Bastardsprachen, die
doch nichts als Mischungen vou Latein und Deutsch seien, wenn man mit
gehobener Stimme zurückweist auf die von dem Römer Tacitus gepriesene
Hoheit der ehrwürdigen "teutschen Haupt- und Heldensprache," und wenn man
sich an dem Studium mittelalterlicher Sprachdenkmäler die Erinnerung einer
ruhmreichen Vergangenheit wehmütig zurückzurufen sucht. Wie gerade die
Fruchtbringende Gesellschaft die Sprache als ein Panier der deutschen Einheit
angesehen Nüssen wollte, lehrt deutlich die Thatsache, daß die Kirchenspaltung
in ihrer Mitte aufgehoben war: für sie gab es keine Katholiken, keine Lutheraner,
keine Calvinisten, nur gute Christen und gute Deutsche. Die Gesellschaft
zählte im Todesjahre des Fürsten Ludwig (1650) 527 Mitglieder; sie bestand
noch bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein, lange im Wachsen begriffen,
aber ihre Bedeutung ließ seit dem Jahre 1650 uach. Nicht uur hervorragende
Schriftsteller wie Opitz, Rist, Moscherosch, Logan, Neumark und Andreas
Gryphius haben ihr angehört, sondern auch treffliche sprachgelehrte wie
Gueinz, Büchner, Harsdörffer, Schottel und Kaspar Stieler; wichtiger war
aber die große Menge begeisterter und thätiger Laien. Man begann zunächst
durch zahlreiche Übersetzungen die Ausdrucksfähigkeit der Sprache nachzuweisen
und den Sinn für ihre Eigenart zu schärfen. Allen voran ging hier Fürst
Ludwig selbst, der durch seine rege Übersetzerthätigkeit, durch die Sorgfalt,
mit der er die schriftstellerischen Arbeiten nud deu brieflichen Verkehr seiner


Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

losen Buntscheckigkeit des Ausdrucks. Dus erste deutsche Fremdwörterbuch von
Simon Nöthe (1572) enthielt bereits gegen 3000 Fremdwörter. Und der
Kampf gegen diese Eindringlinge wurde jetzt zu einer nationalen Sache.

Wenn es noch heute viele Leute giebt, die den Kampf gegen die Fremd¬
wörter nach der Weise des siebzehnten Jahrhunderts nicht für eine ästhetische,
sondern für eine nationale Notwendigkeit erklären möchten, so muß denen wohl
entgegengehalten werden, welchen Ursachen der leidenschaftliche Kampf von
damals eigentlich entsprang. An der Sprache hing eben damals allein die
große Frage der Einigung Deutschlands: die unselige Zersplitterung und das
fremde Joch, die aus dem öffentlichen Leben nicht wegzuschaffen waren, sollten
wenigstens in der Sprache der Einheit und Selbstherrlichkeit weichen. Man
schlug auf die Fremdwörter los, aber man meinte die fremden Unterdrücker,
die am deutsche» Marke zehrten, die mit dem Auslande Kühlenden Höfe nud
alles, was sich einem ans der Tiefe des Volkes zornig sich aufringenden
Nationalbewußtsein in den Weg zu stellen schien. Nur daraus ist es zu ver¬
stehen, wenn nun in den Fremdwörtern geradezu die Ursache des Unglücks
der Nation suchen möchte, indem Haß und Feindschaft durch sie gefördert
würden, wenn man die deutsche Sprache als eine keusche und mächtige Königin
feiert, die niemand zu gehorchen habe, wenn man sie in patriotischer Über-
hebung sogar für älter erklärt als das Griechische und Lateinische, die aus
ihr entlehnt hätten, und vollends als die romanischen Bastardsprachen, die
doch nichts als Mischungen vou Latein und Deutsch seien, wenn man mit
gehobener Stimme zurückweist auf die von dem Römer Tacitus gepriesene
Hoheit der ehrwürdigen „teutschen Haupt- und Heldensprache," und wenn man
sich an dem Studium mittelalterlicher Sprachdenkmäler die Erinnerung einer
ruhmreichen Vergangenheit wehmütig zurückzurufen sucht. Wie gerade die
Fruchtbringende Gesellschaft die Sprache als ein Panier der deutschen Einheit
angesehen Nüssen wollte, lehrt deutlich die Thatsache, daß die Kirchenspaltung
in ihrer Mitte aufgehoben war: für sie gab es keine Katholiken, keine Lutheraner,
keine Calvinisten, nur gute Christen und gute Deutsche. Die Gesellschaft
zählte im Todesjahre des Fürsten Ludwig (1650) 527 Mitglieder; sie bestand
noch bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein, lange im Wachsen begriffen,
aber ihre Bedeutung ließ seit dem Jahre 1650 uach. Nicht uur hervorragende
Schriftsteller wie Opitz, Rist, Moscherosch, Logan, Neumark und Andreas
Gryphius haben ihr angehört, sondern auch treffliche sprachgelehrte wie
Gueinz, Büchner, Harsdörffer, Schottel und Kaspar Stieler; wichtiger war
aber die große Menge begeisterter und thätiger Laien. Man begann zunächst
durch zahlreiche Übersetzungen die Ausdrucksfähigkeit der Sprache nachzuweisen
und den Sinn für ihre Eigenart zu schärfen. Allen voran ging hier Fürst
Ludwig selbst, der durch seine rege Übersetzerthätigkeit, durch die Sorgfalt,
mit der er die schriftstellerischen Arbeiten nud deu brieflichen Verkehr seiner


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[0314] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie losen Buntscheckigkeit des Ausdrucks. Dus erste deutsche Fremdwörterbuch von Simon Nöthe (1572) enthielt bereits gegen 3000 Fremdwörter. Und der Kampf gegen diese Eindringlinge wurde jetzt zu einer nationalen Sache. Wenn es noch heute viele Leute giebt, die den Kampf gegen die Fremd¬ wörter nach der Weise des siebzehnten Jahrhunderts nicht für eine ästhetische, sondern für eine nationale Notwendigkeit erklären möchten, so muß denen wohl entgegengehalten werden, welchen Ursachen der leidenschaftliche Kampf von damals eigentlich entsprang. An der Sprache hing eben damals allein die große Frage der Einigung Deutschlands: die unselige Zersplitterung und das fremde Joch, die aus dem öffentlichen Leben nicht wegzuschaffen waren, sollten wenigstens in der Sprache der Einheit und Selbstherrlichkeit weichen. Man schlug auf die Fremdwörter los, aber man meinte die fremden Unterdrücker, die am deutsche» Marke zehrten, die mit dem Auslande Kühlenden Höfe nud alles, was sich einem ans der Tiefe des Volkes zornig sich aufringenden Nationalbewußtsein in den Weg zu stellen schien. Nur daraus ist es zu ver¬ stehen, wenn nun in den Fremdwörtern geradezu die Ursache des Unglücks der Nation suchen möchte, indem Haß und Feindschaft durch sie gefördert würden, wenn man die deutsche Sprache als eine keusche und mächtige Königin feiert, die niemand zu gehorchen habe, wenn man sie in patriotischer Über- hebung sogar für älter erklärt als das Griechische und Lateinische, die aus ihr entlehnt hätten, und vollends als die romanischen Bastardsprachen, die doch nichts als Mischungen vou Latein und Deutsch seien, wenn man mit gehobener Stimme zurückweist auf die von dem Römer Tacitus gepriesene Hoheit der ehrwürdigen „teutschen Haupt- und Heldensprache," und wenn man sich an dem Studium mittelalterlicher Sprachdenkmäler die Erinnerung einer ruhmreichen Vergangenheit wehmütig zurückzurufen sucht. Wie gerade die Fruchtbringende Gesellschaft die Sprache als ein Panier der deutschen Einheit angesehen Nüssen wollte, lehrt deutlich die Thatsache, daß die Kirchenspaltung in ihrer Mitte aufgehoben war: für sie gab es keine Katholiken, keine Lutheraner, keine Calvinisten, nur gute Christen und gute Deutsche. Die Gesellschaft zählte im Todesjahre des Fürsten Ludwig (1650) 527 Mitglieder; sie bestand noch bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein, lange im Wachsen begriffen, aber ihre Bedeutung ließ seit dem Jahre 1650 uach. Nicht uur hervorragende Schriftsteller wie Opitz, Rist, Moscherosch, Logan, Neumark und Andreas Gryphius haben ihr angehört, sondern auch treffliche sprachgelehrte wie Gueinz, Büchner, Harsdörffer, Schottel und Kaspar Stieler; wichtiger war aber die große Menge begeisterter und thätiger Laien. Man begann zunächst durch zahlreiche Übersetzungen die Ausdrucksfähigkeit der Sprache nachzuweisen und den Sinn für ihre Eigenart zu schärfen. Allen voran ging hier Fürst Ludwig selbst, der durch seine rege Übersetzerthätigkeit, durch die Sorgfalt, mit der er die schriftstellerischen Arbeiten nud deu brieflichen Verkehr seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/314>, abgerufen am 24.07.2024.