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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

der er angehörte, und deren Grundsätzen er verpflichtet war, sondern daß
dadurch auch innerhalb dieser Gemeinschaft die Standesschrcmken für aufgehoben
erklärt wurden und der Fürst mit dem bürgerlichen Gelehrten von gleich zu
gleich verkehren durfte. In der That wollten auch die Bestrebungen der
Gesellschaft ernster genommen sein, als ihre spielenden Formen zunächst ver¬
muten lassen. Ihre Hauptsatzung lautete, daß die hochdeutsche Sprache in ihrem
angestammten Wesen, ohne Einmischung ausländischer Wörter, sowohl im Reden
wie im Schreiben rein, zierlich und deutlich zu erhalten und auszuüben sei.

Die Sprache als ein Nationalgut zu verehren war dem Mittelalter fremd
gewesen. Wie das Rittertum stolz auf seine französische Bildung gewesen war,
so auch die höfische Dichtung auf die welsche Färbung ihrer Sprache; und
wenn sich Thomasin von Zirclaria gelegentlich gegen die Sprachmengerei
wendet, wenn sich der Tannhäuser in einigen parvdistischen Versen über das
Schönthun mit Fremdwörtern lustig macht, oder Niklas von Whle für die
Reinhaltung der Dichtersprache eintritt, so kommt dabei der nationale Gesichts¬
punkt gar nicht in Frage, nur der des äußern Wohlstands; bei Niklas von
Wyle (1478) klingt allerdings schon eine Ehrfurcht vor unsern Altvordern
durch, die allen modischen Neuerungen abhold ist. Der nationale Gesichts¬
punkt erlangte aber mit dem sechzehnten Jahrhundert fast ausschließliche
Geltung. Die Kirchenspaltung zwang den katholischen Süden, mit Italien
und Spanien Fühlung zu suchen, die Cnlviuisten suchten Verbindungen mit
ihren Glaubensgenossen in Frankreich und den Niederlanden; vertriebene Huge¬
notten, die sich massenhaft nach Deutschland wandten, Eheverbindungeu regie¬
render Fürsten mit ausländischen Prinzessinnen, der vermehrte Besuch fran¬
zösischer Universitäten, besonders dnrch junge Nechtsbeflisfcne, die immer mehr
aufkommenden Reisen ins Ausland, das stetig wachsende Lesebedürfnis, das
sich am liebsten an den Übersetzungen ausländischer Unterhaltungsschriften
befriedigte, alles das beförderte mehr nud mehr das Eindringen fremder Be¬
standteile in die deutsche Sprache. War die Sprache der Gebildeten vor¬
wiegend dnrch französisches Flickwerk entstellt, so wurde die Sprache des Rechts,
so weit sie nicht selbst lateinisch war, doch über die lateinische Drehbank ge¬
zogen, die Kanzleisprache hatte sich aus diesen beiden ein widerwärtiges Ge¬
misch zurechtgemacht, über das schon Aventin und Tschudi ihren Unwillen
laut werden ließen. Die Schuljugend erhielt nicht nur keinen deutschen Unter¬
richt, sondern durste sich sogar im Gespräch nur des Lateinischen bedienen;
erst am Anfang des siebzehnte" Jahrhunderts gelang es dem entschiedenen
Vorgehen Wolfgang Ratkes, deu deutscheu Sprachunterricht in die Schule ein¬
zuführen. Ungefähr gleichzeitig erschienen die ersten regelmäßigen Zeitungen,
die der Sprachmengerei neuen Vorschub leisteten. Die Sprache des Handels
und der Musik strotzte von italienischen Wörtern, die des Kriegshandwerks
von französischen, und die gelehrten Dichter prunkten mit einer Nationalität-


Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

der er angehörte, und deren Grundsätzen er verpflichtet war, sondern daß
dadurch auch innerhalb dieser Gemeinschaft die Standesschrcmken für aufgehoben
erklärt wurden und der Fürst mit dem bürgerlichen Gelehrten von gleich zu
gleich verkehren durfte. In der That wollten auch die Bestrebungen der
Gesellschaft ernster genommen sein, als ihre spielenden Formen zunächst ver¬
muten lassen. Ihre Hauptsatzung lautete, daß die hochdeutsche Sprache in ihrem
angestammten Wesen, ohne Einmischung ausländischer Wörter, sowohl im Reden
wie im Schreiben rein, zierlich und deutlich zu erhalten und auszuüben sei.

Die Sprache als ein Nationalgut zu verehren war dem Mittelalter fremd
gewesen. Wie das Rittertum stolz auf seine französische Bildung gewesen war,
so auch die höfische Dichtung auf die welsche Färbung ihrer Sprache; und
wenn sich Thomasin von Zirclaria gelegentlich gegen die Sprachmengerei
wendet, wenn sich der Tannhäuser in einigen parvdistischen Versen über das
Schönthun mit Fremdwörtern lustig macht, oder Niklas von Whle für die
Reinhaltung der Dichtersprache eintritt, so kommt dabei der nationale Gesichts¬
punkt gar nicht in Frage, nur der des äußern Wohlstands; bei Niklas von
Wyle (1478) klingt allerdings schon eine Ehrfurcht vor unsern Altvordern
durch, die allen modischen Neuerungen abhold ist. Der nationale Gesichts¬
punkt erlangte aber mit dem sechzehnten Jahrhundert fast ausschließliche
Geltung. Die Kirchenspaltung zwang den katholischen Süden, mit Italien
und Spanien Fühlung zu suchen, die Cnlviuisten suchten Verbindungen mit
ihren Glaubensgenossen in Frankreich und den Niederlanden; vertriebene Huge¬
notten, die sich massenhaft nach Deutschland wandten, Eheverbindungeu regie¬
render Fürsten mit ausländischen Prinzessinnen, der vermehrte Besuch fran¬
zösischer Universitäten, besonders dnrch junge Nechtsbeflisfcne, die immer mehr
aufkommenden Reisen ins Ausland, das stetig wachsende Lesebedürfnis, das
sich am liebsten an den Übersetzungen ausländischer Unterhaltungsschriften
befriedigte, alles das beförderte mehr nud mehr das Eindringen fremder Be¬
standteile in die deutsche Sprache. War die Sprache der Gebildeten vor¬
wiegend dnrch französisches Flickwerk entstellt, so wurde die Sprache des Rechts,
so weit sie nicht selbst lateinisch war, doch über die lateinische Drehbank ge¬
zogen, die Kanzleisprache hatte sich aus diesen beiden ein widerwärtiges Ge¬
misch zurechtgemacht, über das schon Aventin und Tschudi ihren Unwillen
laut werden ließen. Die Schuljugend erhielt nicht nur keinen deutschen Unter¬
richt, sondern durste sich sogar im Gespräch nur des Lateinischen bedienen;
erst am Anfang des siebzehnte» Jahrhunderts gelang es dem entschiedenen
Vorgehen Wolfgang Ratkes, deu deutscheu Sprachunterricht in die Schule ein¬
zuführen. Ungefähr gleichzeitig erschienen die ersten regelmäßigen Zeitungen,
die der Sprachmengerei neuen Vorschub leisteten. Die Sprache des Handels
und der Musik strotzte von italienischen Wörtern, die des Kriegshandwerks
von französischen, und die gelehrten Dichter prunkten mit einer Nationalität-


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[0313] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie der er angehörte, und deren Grundsätzen er verpflichtet war, sondern daß dadurch auch innerhalb dieser Gemeinschaft die Standesschrcmken für aufgehoben erklärt wurden und der Fürst mit dem bürgerlichen Gelehrten von gleich zu gleich verkehren durfte. In der That wollten auch die Bestrebungen der Gesellschaft ernster genommen sein, als ihre spielenden Formen zunächst ver¬ muten lassen. Ihre Hauptsatzung lautete, daß die hochdeutsche Sprache in ihrem angestammten Wesen, ohne Einmischung ausländischer Wörter, sowohl im Reden wie im Schreiben rein, zierlich und deutlich zu erhalten und auszuüben sei. Die Sprache als ein Nationalgut zu verehren war dem Mittelalter fremd gewesen. Wie das Rittertum stolz auf seine französische Bildung gewesen war, so auch die höfische Dichtung auf die welsche Färbung ihrer Sprache; und wenn sich Thomasin von Zirclaria gelegentlich gegen die Sprachmengerei wendet, wenn sich der Tannhäuser in einigen parvdistischen Versen über das Schönthun mit Fremdwörtern lustig macht, oder Niklas von Whle für die Reinhaltung der Dichtersprache eintritt, so kommt dabei der nationale Gesichts¬ punkt gar nicht in Frage, nur der des äußern Wohlstands; bei Niklas von Wyle (1478) klingt allerdings schon eine Ehrfurcht vor unsern Altvordern durch, die allen modischen Neuerungen abhold ist. Der nationale Gesichts¬ punkt erlangte aber mit dem sechzehnten Jahrhundert fast ausschließliche Geltung. Die Kirchenspaltung zwang den katholischen Süden, mit Italien und Spanien Fühlung zu suchen, die Cnlviuisten suchten Verbindungen mit ihren Glaubensgenossen in Frankreich und den Niederlanden; vertriebene Huge¬ notten, die sich massenhaft nach Deutschland wandten, Eheverbindungeu regie¬ render Fürsten mit ausländischen Prinzessinnen, der vermehrte Besuch fran¬ zösischer Universitäten, besonders dnrch junge Nechtsbeflisfcne, die immer mehr aufkommenden Reisen ins Ausland, das stetig wachsende Lesebedürfnis, das sich am liebsten an den Übersetzungen ausländischer Unterhaltungsschriften befriedigte, alles das beförderte mehr nud mehr das Eindringen fremder Be¬ standteile in die deutsche Sprache. War die Sprache der Gebildeten vor¬ wiegend dnrch französisches Flickwerk entstellt, so wurde die Sprache des Rechts, so weit sie nicht selbst lateinisch war, doch über die lateinische Drehbank ge¬ zogen, die Kanzleisprache hatte sich aus diesen beiden ein widerwärtiges Ge¬ misch zurechtgemacht, über das schon Aventin und Tschudi ihren Unwillen laut werden ließen. Die Schuljugend erhielt nicht nur keinen deutschen Unter¬ richt, sondern durste sich sogar im Gespräch nur des Lateinischen bedienen; erst am Anfang des siebzehnte» Jahrhunderts gelang es dem entschiedenen Vorgehen Wolfgang Ratkes, deu deutscheu Sprachunterricht in die Schule ein¬ zuführen. Ungefähr gleichzeitig erschienen die ersten regelmäßigen Zeitungen, die der Sprachmengerei neuen Vorschub leisteten. Die Sprache des Handels und der Musik strotzte von italienischen Wörtern, die des Kriegshandwerks von französischen, und die gelehrten Dichter prunkten mit einer Nationalität-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/313>, abgerufen am 24.07.2024.