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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

der Höfe anriefen und sich zu der maßgebenden Gewalt einer fürstlich bestätigten
Akademie zu erhöhen strebten. Wie der Allgemeine deutsche Sprachverein
jene gesellschaftlichen Bemühungen um Hebung der deutschen Sprache in unsern
Tagen wieder aufgenommen hat, so hat sich auch im Zusammenhange mit
seiner Begründung das alte Streben nach einer Akademie der deutschen Sprache
neue Geltung zu schaffen gewußt und ist zu einer öffentlichen Angelegenheit
geworden, zu der man Stellung nehmen muß. Die Männer, die für eine
deutsche Akademie eingetreten sind, unter ihnen der Begründer und Leiter des
Sprachvereins selbst, sind ausgegangen von dem Standpunkte der Nützlichkeit,
von der Überzeugung, daß unsre Muttersprache uicht nur schwere Schaden,
wie etwa das Frcmdwörterwcsen, aufweise, soudern vor allem eines einheitlich
geregelten Sprachgebrauchs und einer einheitlich geregelten Rechtschreibung er¬
mangle, deren Schwankungen zu beseitigen am besten den Feststellungen einer
Akademie aufbehalten blei.be, die mit allen Vcrwaltnngs- und Berufszweigen
amtliche Fühlung hätte, den sprachlichen Ausdruck auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens überwachte und durch Herausgabe von Sprachlehren,
Wörterbüchern, litterarischen Denkmälern, durch Forschungen zur Geschichte der
Sprache und ihrer Mundarten u. s. w. der Fortbildung der Sprache neue
Quellen öffnete, ihre gründliche Kenntnis und Pflege zu einer staatlich aner¬
kannten Nationalsache erklärte und damit auch an ihrem Teil ein Stück
deutscher Einheit verkörperte. Nach der geschichtlichen Berechtigung eines solchen
Verlangens hat man dabei wenig gefragt; wenn wir den Gedanken einer
Akademie der deutschen Sprache in seiner geschichtlichen Entwicklung verfolgt
haben werden, wird sich auch die Frage, ob wir heute einer derartigen Anstalt
bedürfen oder nicht, vermutlich mit gewichtigeren Gründen, als denen der
scheinbaren Nützlichkeit, entscheiden lassen.

Gesellschaften zur Pflege der Sprache und Litteratur hat schon das Mittel¬
alter gekannt; man braucht mir an die gelehrte Vereinigung am Hofe Karls
des Großen zu erinnern, deren Mittelpunkt Alcuin war, um die deutschen
Säugergenossenschaften, aus denen sich die Meistersingerschulen entwickelten, an
die Dichterschule am sizilischen Hofe zu Palermo oder an das LiolIvM an
6Ä,y-8h!rv0ir, das im vierzehnten Jahrhundert zu Toulouse zusammentrat und
seit 1094 ^Lg.et"rils <l"ZL .jsux lien'-ax heißt. Der Name Akademie war jedoch
dem Mittelalter fremd, erst der Humanismus schuf ihm ein neues Ansehe",
und er ward fortan, wenigstens nach dem überwiegenden Sprachgebrauche, für
gelehrte Gesellschaften üblich, die im Gegensatz zu den Universitäten der Pflege
der Wissenschaft an sich, ohne die Absicht lehrmäßiger Übertragung, gewidmet
waren.

Die ersten gelehrten Gesellschaften, die sich mit dein klassischen Namen
schmückten, waren die in Neapel 1433 gestiftete ^oacloinm ?0reg,malen und die
von den Mediceern unterstützte ^eaäeinm ^lickonioa, die seit 1474 zu Florenz


Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

der Höfe anriefen und sich zu der maßgebenden Gewalt einer fürstlich bestätigten
Akademie zu erhöhen strebten. Wie der Allgemeine deutsche Sprachverein
jene gesellschaftlichen Bemühungen um Hebung der deutschen Sprache in unsern
Tagen wieder aufgenommen hat, so hat sich auch im Zusammenhange mit
seiner Begründung das alte Streben nach einer Akademie der deutschen Sprache
neue Geltung zu schaffen gewußt und ist zu einer öffentlichen Angelegenheit
geworden, zu der man Stellung nehmen muß. Die Männer, die für eine
deutsche Akademie eingetreten sind, unter ihnen der Begründer und Leiter des
Sprachvereins selbst, sind ausgegangen von dem Standpunkte der Nützlichkeit,
von der Überzeugung, daß unsre Muttersprache uicht nur schwere Schaden,
wie etwa das Frcmdwörterwcsen, aufweise, soudern vor allem eines einheitlich
geregelten Sprachgebrauchs und einer einheitlich geregelten Rechtschreibung er¬
mangle, deren Schwankungen zu beseitigen am besten den Feststellungen einer
Akademie aufbehalten blei.be, die mit allen Vcrwaltnngs- und Berufszweigen
amtliche Fühlung hätte, den sprachlichen Ausdruck auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens überwachte und durch Herausgabe von Sprachlehren,
Wörterbüchern, litterarischen Denkmälern, durch Forschungen zur Geschichte der
Sprache und ihrer Mundarten u. s. w. der Fortbildung der Sprache neue
Quellen öffnete, ihre gründliche Kenntnis und Pflege zu einer staatlich aner¬
kannten Nationalsache erklärte und damit auch an ihrem Teil ein Stück
deutscher Einheit verkörperte. Nach der geschichtlichen Berechtigung eines solchen
Verlangens hat man dabei wenig gefragt; wenn wir den Gedanken einer
Akademie der deutschen Sprache in seiner geschichtlichen Entwicklung verfolgt
haben werden, wird sich auch die Frage, ob wir heute einer derartigen Anstalt
bedürfen oder nicht, vermutlich mit gewichtigeren Gründen, als denen der
scheinbaren Nützlichkeit, entscheiden lassen.

Gesellschaften zur Pflege der Sprache und Litteratur hat schon das Mittel¬
alter gekannt; man braucht mir an die gelehrte Vereinigung am Hofe Karls
des Großen zu erinnern, deren Mittelpunkt Alcuin war, um die deutschen
Säugergenossenschaften, aus denen sich die Meistersingerschulen entwickelten, an
die Dichterschule am sizilischen Hofe zu Palermo oder an das LiolIvM an
6Ä,y-8h!rv0ir, das im vierzehnten Jahrhundert zu Toulouse zusammentrat und
seit 1094 ^Lg.et»rils <l«ZL .jsux lien'-ax heißt. Der Name Akademie war jedoch
dem Mittelalter fremd, erst der Humanismus schuf ihm ein neues Ansehe»,
und er ward fortan, wenigstens nach dem überwiegenden Sprachgebrauche, für
gelehrte Gesellschaften üblich, die im Gegensatz zu den Universitäten der Pflege
der Wissenschaft an sich, ohne die Absicht lehrmäßiger Übertragung, gewidmet
waren.

Die ersten gelehrten Gesellschaften, die sich mit dein klassischen Namen
schmückten, waren die in Neapel 1433 gestiftete ^oacloinm ?0reg,malen und die
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[0311] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie der Höfe anriefen und sich zu der maßgebenden Gewalt einer fürstlich bestätigten Akademie zu erhöhen strebten. Wie der Allgemeine deutsche Sprachverein jene gesellschaftlichen Bemühungen um Hebung der deutschen Sprache in unsern Tagen wieder aufgenommen hat, so hat sich auch im Zusammenhange mit seiner Begründung das alte Streben nach einer Akademie der deutschen Sprache neue Geltung zu schaffen gewußt und ist zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden, zu der man Stellung nehmen muß. Die Männer, die für eine deutsche Akademie eingetreten sind, unter ihnen der Begründer und Leiter des Sprachvereins selbst, sind ausgegangen von dem Standpunkte der Nützlichkeit, von der Überzeugung, daß unsre Muttersprache uicht nur schwere Schaden, wie etwa das Frcmdwörterwcsen, aufweise, soudern vor allem eines einheitlich geregelten Sprachgebrauchs und einer einheitlich geregelten Rechtschreibung er¬ mangle, deren Schwankungen zu beseitigen am besten den Feststellungen einer Akademie aufbehalten blei.be, die mit allen Vcrwaltnngs- und Berufszweigen amtliche Fühlung hätte, den sprachlichen Ausdruck auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens überwachte und durch Herausgabe von Sprachlehren, Wörterbüchern, litterarischen Denkmälern, durch Forschungen zur Geschichte der Sprache und ihrer Mundarten u. s. w. der Fortbildung der Sprache neue Quellen öffnete, ihre gründliche Kenntnis und Pflege zu einer staatlich aner¬ kannten Nationalsache erklärte und damit auch an ihrem Teil ein Stück deutscher Einheit verkörperte. Nach der geschichtlichen Berechtigung eines solchen Verlangens hat man dabei wenig gefragt; wenn wir den Gedanken einer Akademie der deutschen Sprache in seiner geschichtlichen Entwicklung verfolgt haben werden, wird sich auch die Frage, ob wir heute einer derartigen Anstalt bedürfen oder nicht, vermutlich mit gewichtigeren Gründen, als denen der scheinbaren Nützlichkeit, entscheiden lassen. Gesellschaften zur Pflege der Sprache und Litteratur hat schon das Mittel¬ alter gekannt; man braucht mir an die gelehrte Vereinigung am Hofe Karls des Großen zu erinnern, deren Mittelpunkt Alcuin war, um die deutschen Säugergenossenschaften, aus denen sich die Meistersingerschulen entwickelten, an die Dichterschule am sizilischen Hofe zu Palermo oder an das LiolIvM an 6Ä,y-8h!rv0ir, das im vierzehnten Jahrhundert zu Toulouse zusammentrat und seit 1094 ^Lg.et»rils <l«ZL .jsux lien'-ax heißt. Der Name Akademie war jedoch dem Mittelalter fremd, erst der Humanismus schuf ihm ein neues Ansehe», und er ward fortan, wenigstens nach dem überwiegenden Sprachgebrauche, für gelehrte Gesellschaften üblich, die im Gegensatz zu den Universitäten der Pflege der Wissenschaft an sich, ohne die Absicht lehrmäßiger Übertragung, gewidmet waren. Die ersten gelehrten Gesellschaften, die sich mit dein klassischen Namen schmückten, waren die in Neapel 1433 gestiftete ^oacloinm ?0reg,malen und die von den Mediceern unterstützte ^eaäeinm ^lickonioa, die seit 1474 zu Florenz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/311>, abgerufen am 24.07.2024.