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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Gymnasiallehrer und Gymnasialnovellen

edles warmes Herz, außer der Kunst der Selbstdarstellung, nußer Selbst¬
bewußtsein, außer aller Würde, und der daher trotz aller Versuche und un¬
zähliger Methoden niemals dazu gelangt ist, eine erträgliche Disziplin zu
halten, am wenigsten in seiner Tertia, "der Maienblüte aller Flegelhaftigkeit."
Roher wird endlich pensionirt und zieht sich auf ein stilles Dorf zurück, um
seine verdiente Ruhe zu genießen. Aber in seinem Herzen ist der Stachel
zurückgeblieben, nie seinen Lebensberuf ganz ausgefüllt zu haben. Ein unwider¬
stehlicher Hang treibt ihn nach der Dorfschule, wo er das große Rätsel der
Disziplin immer wieder anstaunt, wie "das kümmerliche Huhn von Dorfschul-
meister den wirr herwimmelnden Schwarm ungelecktcr germanischer Bärcnkiuder
unverzüglich in eine mild lagernde Lämmcrherde zu verwandeln" versteht.
Diesen Dorfschulmeister in seiner Haltung vor der Klasse hat Hoffmann dem
Leser trefflich vor Augen gezaubert: "Hoch aufgereckt pflegte er dazustehen,
freudigen Trotzes, von Würde gesättigt: das Stnudbciu starr, lotrecht, mächtig
wider deu Boden gestemmt, das Spielbein steif vorgestreckt, die rechte Hand
breit in den Vnsen geschoben, die linke ruhig, sieghaft sich hebend, als zauderte
sie sorglos nur noch einen Augenblick, den Dreizack zu zucken oder die Ägis
zu schütteln." Röbers ganzer pädagogischer Ehrgeiz flammt beim Anblick
dieses mimischen und plastischen Meisterstückes und seiner Wirkung auf
die Jugend noch einmal in Heller Glut auf. Der Schulmeister wird krank,
und der gelehrte Philologe übernimmt zum Erstaunen aller Welt den Unter¬
richt der Dorfjugend. Aber kaum erscheint er, so geht auch hier der Lärm,
die Flegelhaftigkeit, die Qual, der Ärger und ein hilfloser Kampf los. Der
Greis stirbt verzweifelt und tot geärgert in der Klasse, nachdem er am Dorf¬
schulmeister die Wahrheit erkannt hat: man muß selbst von Herzen glauben
an seine Würde und Hohe -- dann erst glauben darau auch die andern; mir
der vermag die Menschen zu täuschen, der sich zuvor selber täuscht! Halte du
dich für einen Propheten, und du bist einer; zweifle an dir und kein Zeichen
noch Wunder wird dir helfen, nicht einmal gläubige Kinder wird deine Predigt
finden.

Eine Gestalt, die an den unglücklichen Schulamtskandidaten in "Svdoms
Ende" erinnert, ist Christian Dinse in der Novelle "Die Handschrift ^."
Wer derartige Menschen noch nicht kennen gelernt hat, und sie sind ja
scheu wie die Nachteulen, der könnte glauben, Hoffmann habe bei dieser
Zeichnung zu starke Lichter aufgesetzt und den Charakter dieses "ewigen
Hilfslehrers" durch grotesk-komische Beimischungen zu stark verzerrt. Und
doch ist auch hier jeder Zug nach der Natur gezeichnet und paßt vor¬
trefflich zu dem närrischen Wesen des einseitigen Germanisten, der die ganze
,. Litteratur vom Nibelungenliede bis zum Kutschkelied philologisch studirt hat,
aber dafür auf dem Gymnasium keine rechte Verwendung findet, weil sich nach
seiner Ansicht auf einem ordentlichen Gymnasium niemand ums Deutsche


Gymnasiallehrer und Gymnasialnovellen

edles warmes Herz, außer der Kunst der Selbstdarstellung, nußer Selbst¬
bewußtsein, außer aller Würde, und der daher trotz aller Versuche und un¬
zähliger Methoden niemals dazu gelangt ist, eine erträgliche Disziplin zu
halten, am wenigsten in seiner Tertia, „der Maienblüte aller Flegelhaftigkeit."
Roher wird endlich pensionirt und zieht sich auf ein stilles Dorf zurück, um
seine verdiente Ruhe zu genießen. Aber in seinem Herzen ist der Stachel
zurückgeblieben, nie seinen Lebensberuf ganz ausgefüllt zu haben. Ein unwider¬
stehlicher Hang treibt ihn nach der Dorfschule, wo er das große Rätsel der
Disziplin immer wieder anstaunt, wie „das kümmerliche Huhn von Dorfschul-
meister den wirr herwimmelnden Schwarm ungelecktcr germanischer Bärcnkiuder
unverzüglich in eine mild lagernde Lämmcrherde zu verwandeln" versteht.
Diesen Dorfschulmeister in seiner Haltung vor der Klasse hat Hoffmann dem
Leser trefflich vor Augen gezaubert: „Hoch aufgereckt pflegte er dazustehen,
freudigen Trotzes, von Würde gesättigt: das Stnudbciu starr, lotrecht, mächtig
wider deu Boden gestemmt, das Spielbein steif vorgestreckt, die rechte Hand
breit in den Vnsen geschoben, die linke ruhig, sieghaft sich hebend, als zauderte
sie sorglos nur noch einen Augenblick, den Dreizack zu zucken oder die Ägis
zu schütteln." Röbers ganzer pädagogischer Ehrgeiz flammt beim Anblick
dieses mimischen und plastischen Meisterstückes und seiner Wirkung auf
die Jugend noch einmal in Heller Glut auf. Der Schulmeister wird krank,
und der gelehrte Philologe übernimmt zum Erstaunen aller Welt den Unter¬
richt der Dorfjugend. Aber kaum erscheint er, so geht auch hier der Lärm,
die Flegelhaftigkeit, die Qual, der Ärger und ein hilfloser Kampf los. Der
Greis stirbt verzweifelt und tot geärgert in der Klasse, nachdem er am Dorf¬
schulmeister die Wahrheit erkannt hat: man muß selbst von Herzen glauben
an seine Würde und Hohe — dann erst glauben darau auch die andern; mir
der vermag die Menschen zu täuschen, der sich zuvor selber täuscht! Halte du
dich für einen Propheten, und du bist einer; zweifle an dir und kein Zeichen
noch Wunder wird dir helfen, nicht einmal gläubige Kinder wird deine Predigt
finden.

Eine Gestalt, die an den unglücklichen Schulamtskandidaten in „Svdoms
Ende" erinnert, ist Christian Dinse in der Novelle „Die Handschrift ^."
Wer derartige Menschen noch nicht kennen gelernt hat, und sie sind ja
scheu wie die Nachteulen, der könnte glauben, Hoffmann habe bei dieser
Zeichnung zu starke Lichter aufgesetzt und den Charakter dieses „ewigen
Hilfslehrers" durch grotesk-komische Beimischungen zu stark verzerrt. Und
doch ist auch hier jeder Zug nach der Natur gezeichnet und paßt vor¬
trefflich zu dem närrischen Wesen des einseitigen Germanisten, der die ganze
,. Litteratur vom Nibelungenliede bis zum Kutschkelied philologisch studirt hat,
aber dafür auf dem Gymnasium keine rechte Verwendung findet, weil sich nach
seiner Ansicht auf einem ordentlichen Gymnasium niemand ums Deutsche


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[0297] Gymnasiallehrer und Gymnasialnovellen edles warmes Herz, außer der Kunst der Selbstdarstellung, nußer Selbst¬ bewußtsein, außer aller Würde, und der daher trotz aller Versuche und un¬ zähliger Methoden niemals dazu gelangt ist, eine erträgliche Disziplin zu halten, am wenigsten in seiner Tertia, „der Maienblüte aller Flegelhaftigkeit." Roher wird endlich pensionirt und zieht sich auf ein stilles Dorf zurück, um seine verdiente Ruhe zu genießen. Aber in seinem Herzen ist der Stachel zurückgeblieben, nie seinen Lebensberuf ganz ausgefüllt zu haben. Ein unwider¬ stehlicher Hang treibt ihn nach der Dorfschule, wo er das große Rätsel der Disziplin immer wieder anstaunt, wie „das kümmerliche Huhn von Dorfschul- meister den wirr herwimmelnden Schwarm ungelecktcr germanischer Bärcnkiuder unverzüglich in eine mild lagernde Lämmcrherde zu verwandeln" versteht. Diesen Dorfschulmeister in seiner Haltung vor der Klasse hat Hoffmann dem Leser trefflich vor Augen gezaubert: „Hoch aufgereckt pflegte er dazustehen, freudigen Trotzes, von Würde gesättigt: das Stnudbciu starr, lotrecht, mächtig wider deu Boden gestemmt, das Spielbein steif vorgestreckt, die rechte Hand breit in den Vnsen geschoben, die linke ruhig, sieghaft sich hebend, als zauderte sie sorglos nur noch einen Augenblick, den Dreizack zu zucken oder die Ägis zu schütteln." Röbers ganzer pädagogischer Ehrgeiz flammt beim Anblick dieses mimischen und plastischen Meisterstückes und seiner Wirkung auf die Jugend noch einmal in Heller Glut auf. Der Schulmeister wird krank, und der gelehrte Philologe übernimmt zum Erstaunen aller Welt den Unter¬ richt der Dorfjugend. Aber kaum erscheint er, so geht auch hier der Lärm, die Flegelhaftigkeit, die Qual, der Ärger und ein hilfloser Kampf los. Der Greis stirbt verzweifelt und tot geärgert in der Klasse, nachdem er am Dorf¬ schulmeister die Wahrheit erkannt hat: man muß selbst von Herzen glauben an seine Würde und Hohe — dann erst glauben darau auch die andern; mir der vermag die Menschen zu täuschen, der sich zuvor selber täuscht! Halte du dich für einen Propheten, und du bist einer; zweifle an dir und kein Zeichen noch Wunder wird dir helfen, nicht einmal gläubige Kinder wird deine Predigt finden. Eine Gestalt, die an den unglücklichen Schulamtskandidaten in „Svdoms Ende" erinnert, ist Christian Dinse in der Novelle „Die Handschrift ^." Wer derartige Menschen noch nicht kennen gelernt hat, und sie sind ja scheu wie die Nachteulen, der könnte glauben, Hoffmann habe bei dieser Zeichnung zu starke Lichter aufgesetzt und den Charakter dieses „ewigen Hilfslehrers" durch grotesk-komische Beimischungen zu stark verzerrt. Und doch ist auch hier jeder Zug nach der Natur gezeichnet und paßt vor¬ trefflich zu dem närrischen Wesen des einseitigen Germanisten, der die ganze ,. Litteratur vom Nibelungenliede bis zum Kutschkelied philologisch studirt hat, aber dafür auf dem Gymnasium keine rechte Verwendung findet, weil sich nach seiner Ansicht auf einem ordentlichen Gymnasium niemand ums Deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/297>, abgerufen am 25.07.2024.