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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Gynlnasiallehrer und Gyinnasialnovellen

Hoffmann kennt die wenig rosigen Gymnnsialznstnndc, wenigstens in der
Gegend Dentschlands, die der Schauplatz seiner Geschichten ist, aus eigner
Erfahrung; er hat selbst diese Bürde, die die alten Griechen nur den Sklaven
-aufzulegen für richtig hielten und die sich heutzutage bei den meisten Lehrern
"aus Undankbarkeit, Enttäuschung und Sorgen zusammensetzt, ein paar Jahre
getragen und dann die ganze Schulmeistern in die Ecke geworfen. Er kennt
jene Orte, wo ein Stadtverordneter den andern auf die neuen Beinkleider
eines Gymnasiallehrers mit den Worten aufmerksam macht: "Die Kerls fressen
uns die Haare vom Kopf," und wo jene Sorte von Männern wohnt, die für
die höhern Schulen nicht eher etwas bewilligen, als bis -- nach dem welt¬
bekannten Ausspruch des Landrath vou Steinhöfel -- eine verhungerte Lehrers¬
witwe auf den Tisch des Hauses niedergelegt wird.

Hoffmann hat die Gestalten, die er uns aus dem Gymnasium zu Stolpen-
burg in Hinterpommern vorführt, alle mich dem Leben gezeichnet. Seine Vor¬
bilder sind echt: der Schulamtskandidat und ewige Hilfslehrer Christian Dinsc
mit seiner unglücklichen Liebe und seinem noch unglücklicher" Staatsexamen;
der Gymnasialoberlehrer Martin Löwe mit seinem niederschmetternder Wahl-
spruche: l'dilolvg'us fumi, llurrmna, omnia a, ins g-dössiz xuto; der alte Jung¬
geselle Kanold, um den seine drei habgierigen und selbstsüchtigen Schwestern
wie die Parzen sitzen; die beideu durchtriebenen jungeu Lehrer Hophui und
Pinehas (die Hofmann fo nach den verruchten Söhnen des Hohenpriesters Ell
benannt hat), und der alte Roher (für den wohl ein Danziger Original Modell
gesessen hat), der unglückliche Schulmeister, der erst bei seiner Pensionirung
merkt, daß er seineu Beruf wirklich verfehlt habe, weil er fünfundvierzig Jahre
lang umsonst nach der richtigen Erziehungsmethode gesucht habe. Es weht
ein köstlicher Humor durch alle diese Erzählungen; nicht jener plumpe, herz¬
lose, kindische Gymnasialnlk, den Ernst Ecksteins Phantasie mit kaninchenartiger
Fruchtbarkeit zum Entzücken und Verderben unsrer sekundärer und Primaner
jahrelang hervorgebrachthat, sondern ein heiterer, freundlicher, gemütvoller Geist,
der wiederholt an Dickens erinnert. Zuweilen merkt man aber doch in diesen
Lebensbildern einen bittern, ironischen Zug, so wenn Hoffmann den Direktor
eine schöne Ansprache an den scheidenden alten Roher halten läßt "mit jenen,
in jahrhundertlcmgcr Ausnutzung nie veralteten Kernworten von der Erhaben¬
heit des Lehrbernfes, der Schwere seiner Pflichten und der stärkenden Kraft
des innern Lohnes."

Die den alten Oberlehrer Roher behandelnde Novelle "Erfüllter Beruf"
ist geradezu ein psychologisches Meisterwerk und übertrifft an Feinheit der
Durchführung noch seine erste Erzählung "Die Handschrift ^." Mit
welchem tiefen Verständnis hat sich der Schriftsteller in die Seelenanalcn
dieses Mannes versenkt, der alle Gaben des Himmels besitzt, schlichte Kraft
der Beredsamkeit, mühelose Anmut des Witzes, tiefe Gelehrsamkeit und ein


Gynlnasiallehrer und Gyinnasialnovellen

Hoffmann kennt die wenig rosigen Gymnnsialznstnndc, wenigstens in der
Gegend Dentschlands, die der Schauplatz seiner Geschichten ist, aus eigner
Erfahrung; er hat selbst diese Bürde, die die alten Griechen nur den Sklaven
-aufzulegen für richtig hielten und die sich heutzutage bei den meisten Lehrern
»aus Undankbarkeit, Enttäuschung und Sorgen zusammensetzt, ein paar Jahre
getragen und dann die ganze Schulmeistern in die Ecke geworfen. Er kennt
jene Orte, wo ein Stadtverordneter den andern auf die neuen Beinkleider
eines Gymnasiallehrers mit den Worten aufmerksam macht: „Die Kerls fressen
uns die Haare vom Kopf," und wo jene Sorte von Männern wohnt, die für
die höhern Schulen nicht eher etwas bewilligen, als bis — nach dem welt¬
bekannten Ausspruch des Landrath vou Steinhöfel — eine verhungerte Lehrers¬
witwe auf den Tisch des Hauses niedergelegt wird.

Hoffmann hat die Gestalten, die er uns aus dem Gymnasium zu Stolpen-
burg in Hinterpommern vorführt, alle mich dem Leben gezeichnet. Seine Vor¬
bilder sind echt: der Schulamtskandidat und ewige Hilfslehrer Christian Dinsc
mit seiner unglücklichen Liebe und seinem noch unglücklicher» Staatsexamen;
der Gymnasialoberlehrer Martin Löwe mit seinem niederschmetternder Wahl-
spruche: l'dilolvg'us fumi, llurrmna, omnia a, ins g-dössiz xuto; der alte Jung¬
geselle Kanold, um den seine drei habgierigen und selbstsüchtigen Schwestern
wie die Parzen sitzen; die beideu durchtriebenen jungeu Lehrer Hophui und
Pinehas (die Hofmann fo nach den verruchten Söhnen des Hohenpriesters Ell
benannt hat), und der alte Roher (für den wohl ein Danziger Original Modell
gesessen hat), der unglückliche Schulmeister, der erst bei seiner Pensionirung
merkt, daß er seineu Beruf wirklich verfehlt habe, weil er fünfundvierzig Jahre
lang umsonst nach der richtigen Erziehungsmethode gesucht habe. Es weht
ein köstlicher Humor durch alle diese Erzählungen; nicht jener plumpe, herz¬
lose, kindische Gymnasialnlk, den Ernst Ecksteins Phantasie mit kaninchenartiger
Fruchtbarkeit zum Entzücken und Verderben unsrer sekundärer und Primaner
jahrelang hervorgebrachthat, sondern ein heiterer, freundlicher, gemütvoller Geist,
der wiederholt an Dickens erinnert. Zuweilen merkt man aber doch in diesen
Lebensbildern einen bittern, ironischen Zug, so wenn Hoffmann den Direktor
eine schöne Ansprache an den scheidenden alten Roher halten läßt „mit jenen,
in jahrhundertlcmgcr Ausnutzung nie veralteten Kernworten von der Erhaben¬
heit des Lehrbernfes, der Schwere seiner Pflichten und der stärkenden Kraft
des innern Lohnes."

Die den alten Oberlehrer Roher behandelnde Novelle „Erfüllter Beruf"
ist geradezu ein psychologisches Meisterwerk und übertrifft an Feinheit der
Durchführung noch seine erste Erzählung „Die Handschrift ^." Mit
welchem tiefen Verständnis hat sich der Schriftsteller in die Seelenanalcn
dieses Mannes versenkt, der alle Gaben des Himmels besitzt, schlichte Kraft
der Beredsamkeit, mühelose Anmut des Witzes, tiefe Gelehrsamkeit und ein


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[0296] Gynlnasiallehrer und Gyinnasialnovellen Hoffmann kennt die wenig rosigen Gymnnsialznstnndc, wenigstens in der Gegend Dentschlands, die der Schauplatz seiner Geschichten ist, aus eigner Erfahrung; er hat selbst diese Bürde, die die alten Griechen nur den Sklaven -aufzulegen für richtig hielten und die sich heutzutage bei den meisten Lehrern »aus Undankbarkeit, Enttäuschung und Sorgen zusammensetzt, ein paar Jahre getragen und dann die ganze Schulmeistern in die Ecke geworfen. Er kennt jene Orte, wo ein Stadtverordneter den andern auf die neuen Beinkleider eines Gymnasiallehrers mit den Worten aufmerksam macht: „Die Kerls fressen uns die Haare vom Kopf," und wo jene Sorte von Männern wohnt, die für die höhern Schulen nicht eher etwas bewilligen, als bis — nach dem welt¬ bekannten Ausspruch des Landrath vou Steinhöfel — eine verhungerte Lehrers¬ witwe auf den Tisch des Hauses niedergelegt wird. Hoffmann hat die Gestalten, die er uns aus dem Gymnasium zu Stolpen- burg in Hinterpommern vorführt, alle mich dem Leben gezeichnet. Seine Vor¬ bilder sind echt: der Schulamtskandidat und ewige Hilfslehrer Christian Dinsc mit seiner unglücklichen Liebe und seinem noch unglücklicher» Staatsexamen; der Gymnasialoberlehrer Martin Löwe mit seinem niederschmetternder Wahl- spruche: l'dilolvg'us fumi, llurrmna, omnia a, ins g-dössiz xuto; der alte Jung¬ geselle Kanold, um den seine drei habgierigen und selbstsüchtigen Schwestern wie die Parzen sitzen; die beideu durchtriebenen jungeu Lehrer Hophui und Pinehas (die Hofmann fo nach den verruchten Söhnen des Hohenpriesters Ell benannt hat), und der alte Roher (für den wohl ein Danziger Original Modell gesessen hat), der unglückliche Schulmeister, der erst bei seiner Pensionirung merkt, daß er seineu Beruf wirklich verfehlt habe, weil er fünfundvierzig Jahre lang umsonst nach der richtigen Erziehungsmethode gesucht habe. Es weht ein köstlicher Humor durch alle diese Erzählungen; nicht jener plumpe, herz¬ lose, kindische Gymnasialnlk, den Ernst Ecksteins Phantasie mit kaninchenartiger Fruchtbarkeit zum Entzücken und Verderben unsrer sekundärer und Primaner jahrelang hervorgebrachthat, sondern ein heiterer, freundlicher, gemütvoller Geist, der wiederholt an Dickens erinnert. Zuweilen merkt man aber doch in diesen Lebensbildern einen bittern, ironischen Zug, so wenn Hoffmann den Direktor eine schöne Ansprache an den scheidenden alten Roher halten läßt „mit jenen, in jahrhundertlcmgcr Ausnutzung nie veralteten Kernworten von der Erhaben¬ heit des Lehrbernfes, der Schwere seiner Pflichten und der stärkenden Kraft des innern Lohnes." Die den alten Oberlehrer Roher behandelnde Novelle „Erfüllter Beruf" ist geradezu ein psychologisches Meisterwerk und übertrifft an Feinheit der Durchführung noch seine erste Erzählung „Die Handschrift ^." Mit welchem tiefen Verständnis hat sich der Schriftsteller in die Seelenanalcn dieses Mannes versenkt, der alle Gaben des Himmels besitzt, schlichte Kraft der Beredsamkeit, mühelose Anmut des Witzes, tiefe Gelehrsamkeit und ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/296>, abgerufen am 04.07.2024.