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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Gymnasiallehrer und Gymnasialncwelleil

Uneinigkeit, Gespreiztheit, Wichtigthuerei und kleinliche Gesinnung, als unter
ihnen: der königliche Gymnasiallehrer dünkt sich höher, besser als der im stüdtischeu
Dienste stehende; der Gymnasiallehrer wieder macht keine gemeinsame Sache
mit dem Amtsgenossen am Realgymnasium und an der Realschule, und so
geht es weiter, des wunderlichen, oft hochmütigen Verhaltens mancher Schul-
räte und Direktoren ihren Untergebenen gegenüber gar nicht zu gedenken.
Von einem einheitlichen Zusammenhalten und natürlichem Korpsgeist ist bei
dem demoralisirenden Warten auf den Tod oder Abgang des ältern Kollegen
und bei dem widerwärtigen Personenkultus, der mit gewissen Schulräten
und Direktoren getrieben wird, gar keine Rede. Deshalb haben sie seit
dem deutsch-französischen Kriege nichts erreicht und werden mich unter
solchen Umständen nichts erreichen. Statt vereint ihre gemeinsamen Ziele
zu verfolge", haben sie einander im Gegenteil um Hirngespinste, pädagogische
Schnurrpfeifereien und akademische Fragen angegriffen, heruntergerissen und
zerfleischt und so ihr bischen überschüssige Kraft nutzlos verpufft. Die Volks¬
schullehrer sind klüger gewesen; sie haben durch ihr geschlossenes Vorgehen,
durch ihr selbstbewußtes Auftreten und durch ihre hartnäckige Ausdauer alle
ihre Ziele erreicht, oft mehr, als sie wollten. Sie haben es wirklich dahin
gebracht, daß sie, selbst wenn sie uur im Singen und Schreiben Unterricht
zu geben vermögen, in den "Metropolen des geistigen Lebens" oft besser
gestellt sind, als die akademisch gebildeten Lehrer. Diese Thatsache ist ein
Skandal, denn sie ist ebenso bezeichnend für die -- gelinde gesagt -- maßlose
Gutmütigkeit der Zurückgesetzte", wie für die Willkür und Ungerechtigkeit der
Gemeinden; daß sich die akademisch gebildeten Lehrer eine derartige Behand-
lung bieten lassen, ohne immer wieder dagegen laut und öffentlich Einspruch
zu erheben, ist ein Zeichen ganz trostloser Schwäche. Es ist wirklich rührend,
wie der Regierungsvertreter bei der Berliner Schulkouferenz die Mitglieder
freundlich ernährt: "Die pessimistische Stimmung der Lehrer einigermaßen (!)
zu mildern und zu zerstreuen und deren Freudigkeit im Berufe durch die
Hoffnung (!) auf eine bessere Zukunft (im Jenseits?) zu erhalten."

Es ist denn auch durch diese kindliche Zukunftsmusik in allen Gauen
Deutschlands eine gührende Unzufriedenheit entstanden; Unzufriedenheit der
Lehrer aber ist schleichendes Gift für die Jugend, und Ungerechtigkeit treibt
sie alle mit einander in das Lager der Sozialdemokratin -- und es wäre
wunderbar, wen" es uicht geschähe --, zum mindesten in das der Antisemiten
oder in das der begeisterungslosen Pessimisten.

Wenn solche unerhörten Zustände, wie die vorhin erwähnten, in großen
und reichen Städten herrschen, wie mag es dann erst in den armen und
kleinen Gemeinden aussehen, in die uus Hans Hoffmann mit seiner soeben
erschienenen, Moritz Necker gewidmeten Novellensammlung Das Gymnasium
zu Stolpenburg°(Berlin, Gebrüder Paetel, 1801) einführt?


Gymnasiallehrer und Gymnasialncwelleil

Uneinigkeit, Gespreiztheit, Wichtigthuerei und kleinliche Gesinnung, als unter
ihnen: der königliche Gymnasiallehrer dünkt sich höher, besser als der im stüdtischeu
Dienste stehende; der Gymnasiallehrer wieder macht keine gemeinsame Sache
mit dem Amtsgenossen am Realgymnasium und an der Realschule, und so
geht es weiter, des wunderlichen, oft hochmütigen Verhaltens mancher Schul-
räte und Direktoren ihren Untergebenen gegenüber gar nicht zu gedenken.
Von einem einheitlichen Zusammenhalten und natürlichem Korpsgeist ist bei
dem demoralisirenden Warten auf den Tod oder Abgang des ältern Kollegen
und bei dem widerwärtigen Personenkultus, der mit gewissen Schulräten
und Direktoren getrieben wird, gar keine Rede. Deshalb haben sie seit
dem deutsch-französischen Kriege nichts erreicht und werden mich unter
solchen Umständen nichts erreichen. Statt vereint ihre gemeinsamen Ziele
zu verfolge», haben sie einander im Gegenteil um Hirngespinste, pädagogische
Schnurrpfeifereien und akademische Fragen angegriffen, heruntergerissen und
zerfleischt und so ihr bischen überschüssige Kraft nutzlos verpufft. Die Volks¬
schullehrer sind klüger gewesen; sie haben durch ihr geschlossenes Vorgehen,
durch ihr selbstbewußtes Auftreten und durch ihre hartnäckige Ausdauer alle
ihre Ziele erreicht, oft mehr, als sie wollten. Sie haben es wirklich dahin
gebracht, daß sie, selbst wenn sie uur im Singen und Schreiben Unterricht
zu geben vermögen, in den „Metropolen des geistigen Lebens" oft besser
gestellt sind, als die akademisch gebildeten Lehrer. Diese Thatsache ist ein
Skandal, denn sie ist ebenso bezeichnend für die — gelinde gesagt — maßlose
Gutmütigkeit der Zurückgesetzte», wie für die Willkür und Ungerechtigkeit der
Gemeinden; daß sich die akademisch gebildeten Lehrer eine derartige Behand-
lung bieten lassen, ohne immer wieder dagegen laut und öffentlich Einspruch
zu erheben, ist ein Zeichen ganz trostloser Schwäche. Es ist wirklich rührend,
wie der Regierungsvertreter bei der Berliner Schulkouferenz die Mitglieder
freundlich ernährt: „Die pessimistische Stimmung der Lehrer einigermaßen (!)
zu mildern und zu zerstreuen und deren Freudigkeit im Berufe durch die
Hoffnung (!) auf eine bessere Zukunft (im Jenseits?) zu erhalten."

Es ist denn auch durch diese kindliche Zukunftsmusik in allen Gauen
Deutschlands eine gührende Unzufriedenheit entstanden; Unzufriedenheit der
Lehrer aber ist schleichendes Gift für die Jugend, und Ungerechtigkeit treibt
sie alle mit einander in das Lager der Sozialdemokratin — und es wäre
wunderbar, wen« es uicht geschähe —, zum mindesten in das der Antisemiten
oder in das der begeisterungslosen Pessimisten.

Wenn solche unerhörten Zustände, wie die vorhin erwähnten, in großen
und reichen Städten herrschen, wie mag es dann erst in den armen und
kleinen Gemeinden aussehen, in die uus Hans Hoffmann mit seiner soeben
erschienenen, Moritz Necker gewidmeten Novellensammlung Das Gymnasium
zu Stolpenburg°(Berlin, Gebrüder Paetel, 1801) einführt?


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[0295] Gymnasiallehrer und Gymnasialncwelleil Uneinigkeit, Gespreiztheit, Wichtigthuerei und kleinliche Gesinnung, als unter ihnen: der königliche Gymnasiallehrer dünkt sich höher, besser als der im stüdtischeu Dienste stehende; der Gymnasiallehrer wieder macht keine gemeinsame Sache mit dem Amtsgenossen am Realgymnasium und an der Realschule, und so geht es weiter, des wunderlichen, oft hochmütigen Verhaltens mancher Schul- räte und Direktoren ihren Untergebenen gegenüber gar nicht zu gedenken. Von einem einheitlichen Zusammenhalten und natürlichem Korpsgeist ist bei dem demoralisirenden Warten auf den Tod oder Abgang des ältern Kollegen und bei dem widerwärtigen Personenkultus, der mit gewissen Schulräten und Direktoren getrieben wird, gar keine Rede. Deshalb haben sie seit dem deutsch-französischen Kriege nichts erreicht und werden mich unter solchen Umständen nichts erreichen. Statt vereint ihre gemeinsamen Ziele zu verfolge», haben sie einander im Gegenteil um Hirngespinste, pädagogische Schnurrpfeifereien und akademische Fragen angegriffen, heruntergerissen und zerfleischt und so ihr bischen überschüssige Kraft nutzlos verpufft. Die Volks¬ schullehrer sind klüger gewesen; sie haben durch ihr geschlossenes Vorgehen, durch ihr selbstbewußtes Auftreten und durch ihre hartnäckige Ausdauer alle ihre Ziele erreicht, oft mehr, als sie wollten. Sie haben es wirklich dahin gebracht, daß sie, selbst wenn sie uur im Singen und Schreiben Unterricht zu geben vermögen, in den „Metropolen des geistigen Lebens" oft besser gestellt sind, als die akademisch gebildeten Lehrer. Diese Thatsache ist ein Skandal, denn sie ist ebenso bezeichnend für die — gelinde gesagt — maßlose Gutmütigkeit der Zurückgesetzte», wie für die Willkür und Ungerechtigkeit der Gemeinden; daß sich die akademisch gebildeten Lehrer eine derartige Behand- lung bieten lassen, ohne immer wieder dagegen laut und öffentlich Einspruch zu erheben, ist ein Zeichen ganz trostloser Schwäche. Es ist wirklich rührend, wie der Regierungsvertreter bei der Berliner Schulkouferenz die Mitglieder freundlich ernährt: „Die pessimistische Stimmung der Lehrer einigermaßen (!) zu mildern und zu zerstreuen und deren Freudigkeit im Berufe durch die Hoffnung (!) auf eine bessere Zukunft (im Jenseits?) zu erhalten." Es ist denn auch durch diese kindliche Zukunftsmusik in allen Gauen Deutschlands eine gührende Unzufriedenheit entstanden; Unzufriedenheit der Lehrer aber ist schleichendes Gift für die Jugend, und Ungerechtigkeit treibt sie alle mit einander in das Lager der Sozialdemokratin — und es wäre wunderbar, wen« es uicht geschähe —, zum mindesten in das der Antisemiten oder in das der begeisterungslosen Pessimisten. Wenn solche unerhörten Zustände, wie die vorhin erwähnten, in großen und reichen Städten herrschen, wie mag es dann erst in den armen und kleinen Gemeinden aussehen, in die uus Hans Hoffmann mit seiner soeben erschienenen, Moritz Necker gewidmeten Novellensammlung Das Gymnasium zu Stolpenburg°(Berlin, Gebrüder Paetel, 1801) einführt?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/295>, abgerufen am 04.07.2024.