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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Man kann sagen, daß heutzutage alle Bernfsständc ihre Vertreter in der
epischen Dichtung gefunden haben; nur ein Beruf scheint aus dein Kreise der
Nomnnhelden ausgeschlossen zu sein, das ist der der Gymnasiallehrer. Es ist
ausfallend, rin welcher Scheu und Hast die Schriftsteller an dieser Gesellschafts¬
klasse vorübergehen. Mit dein nomadisirenden Hauslehrer, an dem man die
Schulstubenluft, den "lupor Kvliol-Mieu" uoch nicht zu spüren glaubt, war noch
etwas anzufangen, und Spielhagens "Problematische Naturen" haben mehr
als einen rätselhaften und interessanten Hauslehrerroman gezeitigt; aber mit
dem wohlbestallten "ordentlichen" Lehrer, der sein trocknes Amt und sein
trocknes Brot hat, mochte sich kein Dichter, schon wegen der unpoetischen und
wenig genialen Ordentlichkeit abgeben. Und wenn es trotzdem geschah und in
Erznhluugeu und Bühnenstücken noch weiter geschieht, so pflegt man ihn
lediglich als dunkle Folie für andre, in der höhern Gunst der Leser stehende
Persönlichkeiten zu gebrauchen und ihn, wenn er jung ist, als den schwer¬
fälligen, ungehobelten, von der ganzen Unterordnung seiner Thätigkeit über¬
zeugten, gutmütigen Gesellen darzustellen, der mit dem Augenaufschlag eines
sterbenden Huhns zu dem Helden der Geschichte emporblickt; ist er aber be¬
jahrt, so macht man aus ihm einen alten, griesgrämiger, nnter dem Pantoffel
eines kinderreiche" Hansdracheus stehenden Narren. Daß sich ein Gymnasial¬
lehrer mit einem andern Wesen als einem Schneidermädchen verheiraten könnte,
liegt, nach unsern Romanen zu urteilen, völlig außerhalb aller gesellschaftlichen
Anschauung und Gepflogenheit, höchstens gönnt man ihnen noch eine arme
Mavierlehrerin oder eine elternlose Erzieherin. So ist die Auffassung von
der gesellschaftliche" Stellung der Gymnasiallehrer nicht allein in den Familien¬
blättern; man findet sie auch bei deu sogenaunten Trägern unsrer Litteratur,
bei Ernst Wichert, bei Paul Lindau, Ernst Eckstein, Sudermann und andern;
und wer die litterarischen Erzeugnisse der letztem Jahre aufmerksam verfolgt
hat, der wird für das gesagte Beispiele in Hülle und Fülle sinden. Ist es
durch den Gaug der Geschichte geboten, irgend einem akademisch gebildeten Lehrer
doch einmal eine ernsthafte Rolle zuzuerteilen oder ihn in höhere Gesellschaftskreise
als Gleichberechtigten zu versetze", so wisse" die Dichter keinen andern Ausweg,
als daß sie ih" schnell zum Reserveoffizier macheu; dann haben sie ihn mit
einem Schlage in eine "Sphäre" gehoben, wo die untergeordnete Stellung
des Schulmeisters nicht mehr zu wittern ist und nur uoch der Gentleman gilt.

Man fragt sich unwillkürlich nach deu Gründen dieser seltsamen Erschei¬
nung, dieser unverkennbaren Antipathie, die der Stand der Gymnasiallehrer
trotz aller schönen Redensarten nicht nur in deu höchste" Kreise", sonder"
auch in allen Schichten des deutschen Volkes findet. Und da müssen wir doch
sagen, daß die akademisch gebildeten Lehrer an diesen unerquicklichen Verhält¬
nissen zum größten Teil selbst schuld siud; denn nirgends herrscht ein solcher
Mangel an echtem Standesbewußtsein, eine solche, oben nicht ungern gesehene


Man kann sagen, daß heutzutage alle Bernfsständc ihre Vertreter in der
epischen Dichtung gefunden haben; nur ein Beruf scheint aus dein Kreise der
Nomnnhelden ausgeschlossen zu sein, das ist der der Gymnasiallehrer. Es ist
ausfallend, rin welcher Scheu und Hast die Schriftsteller an dieser Gesellschafts¬
klasse vorübergehen. Mit dein nomadisirenden Hauslehrer, an dem man die
Schulstubenluft, den »lupor Kvliol-Mieu« uoch nicht zu spüren glaubt, war noch
etwas anzufangen, und Spielhagens „Problematische Naturen" haben mehr
als einen rätselhaften und interessanten Hauslehrerroman gezeitigt; aber mit
dem wohlbestallten „ordentlichen" Lehrer, der sein trocknes Amt und sein
trocknes Brot hat, mochte sich kein Dichter, schon wegen der unpoetischen und
wenig genialen Ordentlichkeit abgeben. Und wenn es trotzdem geschah und in
Erznhluugeu und Bühnenstücken noch weiter geschieht, so pflegt man ihn
lediglich als dunkle Folie für andre, in der höhern Gunst der Leser stehende
Persönlichkeiten zu gebrauchen und ihn, wenn er jung ist, als den schwer¬
fälligen, ungehobelten, von der ganzen Unterordnung seiner Thätigkeit über¬
zeugten, gutmütigen Gesellen darzustellen, der mit dem Augenaufschlag eines
sterbenden Huhns zu dem Helden der Geschichte emporblickt; ist er aber be¬
jahrt, so macht man aus ihm einen alten, griesgrämiger, nnter dem Pantoffel
eines kinderreiche» Hansdracheus stehenden Narren. Daß sich ein Gymnasial¬
lehrer mit einem andern Wesen als einem Schneidermädchen verheiraten könnte,
liegt, nach unsern Romanen zu urteilen, völlig außerhalb aller gesellschaftlichen
Anschauung und Gepflogenheit, höchstens gönnt man ihnen noch eine arme
Mavierlehrerin oder eine elternlose Erzieherin. So ist die Auffassung von
der gesellschaftliche» Stellung der Gymnasiallehrer nicht allein in den Familien¬
blättern; man findet sie auch bei deu sogenaunten Trägern unsrer Litteratur,
bei Ernst Wichert, bei Paul Lindau, Ernst Eckstein, Sudermann und andern;
und wer die litterarischen Erzeugnisse der letztem Jahre aufmerksam verfolgt
hat, der wird für das gesagte Beispiele in Hülle und Fülle sinden. Ist es
durch den Gaug der Geschichte geboten, irgend einem akademisch gebildeten Lehrer
doch einmal eine ernsthafte Rolle zuzuerteilen oder ihn in höhere Gesellschaftskreise
als Gleichberechtigten zu versetze», so wisse» die Dichter keinen andern Ausweg,
als daß sie ih» schnell zum Reserveoffizier macheu; dann haben sie ihn mit
einem Schlage in eine „Sphäre" gehoben, wo die untergeordnete Stellung
des Schulmeisters nicht mehr zu wittern ist und nur uoch der Gentleman gilt.

Man fragt sich unwillkürlich nach deu Gründen dieser seltsamen Erschei¬
nung, dieser unverkennbaren Antipathie, die der Stand der Gymnasiallehrer
trotz aller schönen Redensarten nicht nur in deu höchste« Kreise», sonder»
auch in allen Schichten des deutschen Volkes findet. Und da müssen wir doch
sagen, daß die akademisch gebildeten Lehrer an diesen unerquicklichen Verhält¬
nissen zum größten Teil selbst schuld siud; denn nirgends herrscht ein solcher
Mangel an echtem Standesbewußtsein, eine solche, oben nicht ungern gesehene


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[0294] Man kann sagen, daß heutzutage alle Bernfsständc ihre Vertreter in der epischen Dichtung gefunden haben; nur ein Beruf scheint aus dein Kreise der Nomnnhelden ausgeschlossen zu sein, das ist der der Gymnasiallehrer. Es ist ausfallend, rin welcher Scheu und Hast die Schriftsteller an dieser Gesellschafts¬ klasse vorübergehen. Mit dein nomadisirenden Hauslehrer, an dem man die Schulstubenluft, den »lupor Kvliol-Mieu« uoch nicht zu spüren glaubt, war noch etwas anzufangen, und Spielhagens „Problematische Naturen" haben mehr als einen rätselhaften und interessanten Hauslehrerroman gezeitigt; aber mit dem wohlbestallten „ordentlichen" Lehrer, der sein trocknes Amt und sein trocknes Brot hat, mochte sich kein Dichter, schon wegen der unpoetischen und wenig genialen Ordentlichkeit abgeben. Und wenn es trotzdem geschah und in Erznhluugeu und Bühnenstücken noch weiter geschieht, so pflegt man ihn lediglich als dunkle Folie für andre, in der höhern Gunst der Leser stehende Persönlichkeiten zu gebrauchen und ihn, wenn er jung ist, als den schwer¬ fälligen, ungehobelten, von der ganzen Unterordnung seiner Thätigkeit über¬ zeugten, gutmütigen Gesellen darzustellen, der mit dem Augenaufschlag eines sterbenden Huhns zu dem Helden der Geschichte emporblickt; ist er aber be¬ jahrt, so macht man aus ihm einen alten, griesgrämiger, nnter dem Pantoffel eines kinderreiche» Hansdracheus stehenden Narren. Daß sich ein Gymnasial¬ lehrer mit einem andern Wesen als einem Schneidermädchen verheiraten könnte, liegt, nach unsern Romanen zu urteilen, völlig außerhalb aller gesellschaftlichen Anschauung und Gepflogenheit, höchstens gönnt man ihnen noch eine arme Mavierlehrerin oder eine elternlose Erzieherin. So ist die Auffassung von der gesellschaftliche» Stellung der Gymnasiallehrer nicht allein in den Familien¬ blättern; man findet sie auch bei deu sogenaunten Trägern unsrer Litteratur, bei Ernst Wichert, bei Paul Lindau, Ernst Eckstein, Sudermann und andern; und wer die litterarischen Erzeugnisse der letztem Jahre aufmerksam verfolgt hat, der wird für das gesagte Beispiele in Hülle und Fülle sinden. Ist es durch den Gaug der Geschichte geboten, irgend einem akademisch gebildeten Lehrer doch einmal eine ernsthafte Rolle zuzuerteilen oder ihn in höhere Gesellschaftskreise als Gleichberechtigten zu versetze», so wisse» die Dichter keinen andern Ausweg, als daß sie ih» schnell zum Reserveoffizier macheu; dann haben sie ihn mit einem Schlage in eine „Sphäre" gehoben, wo die untergeordnete Stellung des Schulmeisters nicht mehr zu wittern ist und nur uoch der Gentleman gilt. Man fragt sich unwillkürlich nach deu Gründen dieser seltsamen Erschei¬ nung, dieser unverkennbaren Antipathie, die der Stand der Gymnasiallehrer trotz aller schönen Redensarten nicht nur in deu höchste« Kreise», sonder» auch in allen Schichten des deutschen Volkes findet. Und da müssen wir doch sagen, daß die akademisch gebildeten Lehrer an diesen unerquicklichen Verhält¬ nissen zum größten Teil selbst schuld siud; denn nirgends herrscht ein solcher Mangel an echtem Standesbewußtsein, eine solche, oben nicht ungern gesehene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/294>, abgerufen am 04.07.2024.