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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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sich nicht bethören zu lassen. Nur auf eines will ich, wenn Sie es mir ge¬
statten, aufmerksam machen. Ihre heutigen Erfolge stammen nicht von dem,
was wirklich an Ihnen Dichter ist, sondern vielmehr von dem Loknlton, den
Sie so glücklich treffen, von alltäglichen Volkstümlichkeiten, die Sie mit der
den Leuten mundgerechter Schalkheit behandeln. Heute sind Sie Volksdichter
im landläufigen Sinne, den ich auch nicht unterschützen möchte; eines Tages
sollen Sie Volksdichter in edelm Sinne sein. Sie mögen im Lvkalton oder
im Hochdeutsch dichten, schwanke schreiben, Gelegenheitsverse machen, Dorf¬
geschichten erzählen, Romane verfassen, immer werden Sie einen sittlichen
Grundgedanken haben, immer auf ein Großes, Ewiges hinweisen und hinter
heiterm Lachen sich den ernsten Blick bewahren. Vielleicht wird man Sie
dann einmal nicht so brüderlich grüßen auf der Gasse wie heute, vielleicht gar
nicht. Denken Sie daran, daß der Poet nicht allzu gemein werden darf mit
den Philister". Die Philister haben allerhaud Schmerzen, für die sie Verse
haben möchten, ihr Trinken und Tanzen und Keilen und Balgen wollen sie
besungen wissen, und weiß Gott für jede Todsünde möchte" sie ihr Schnader-
hüpfl haben. Wenn der Dichter nicht nach dem wahren Meuschentume
weist, wer soll es dann thu"? Wir sind der Kompaß, der in der Welt den
Magnet des Göttlichen spürt, und stets nach dein ewig Guten und Schönen
zeigt. Also kenne ich Sie schon heute, mögen Sie sich nur darauf einrichten,
much einmal recht kühl gegrüßt zu werden." Solche Gespräche erklären die tiefe
Liebe Roseggers zu Hcunerling. Man liebt ja keinen Menschen mehr, als den,
der uns im geistigen Streben mit der Reife und Überlegenheit des ältern
Mannes unterstützt. Übrigens war Hamerliug als Lehrer und Kritiker immer
von feinstem Zartgefühl beseelt; er war ja ein Selbstguäler, und glaubte er,
der Empfindlichkeit des Freundes irgendwie zu nahe getreten zu sein, so folgte
alsbald ein entschuldigender Brief nach, der den Angegriffenen versöhnen sollte.
Solche Äußerungen fast krankhafter Schwäche teilt Nosegger einige mit, die
Mehrzahl hat er mit Recht unterdrückt. Er selbst hat sich vor dein Leiden
glücklich bewahrt und ist ein tapfrer Kämpe geblieben.

Die Häuslichkeit Hamerlings war auf dein bescheidensten Fuße gehalten.
Seine Kränklichkeit verbot ihm, an den irdischen Freuden einer guten Tafel
und eines guten Kellers teilzunehmen, er zechte nie, weil er nichts vertrug,
sondern in der peinlichsten Diät leben mußte. Seine Wohnung war so be¬
scheiden als möglich eingerichtet; die neuen Möbelstücke des Freundes betrachtete
Hamerling schon als Luxus. Nosegger bemerkt, daß er, obgleich er als
"Dichter der Schönheit" auftrat, doch keine starke Sinnlichkeit gehabt habe.
Um eine etwas künstlerische Ausschmückung der Wohnräume war er gar nicht
bemüht, obgleich ihm doch seine Wohnung mehr als irgend einem andern
Menschen wichtig sein mußte: er mußte ja meist das Zimmer oder gar das
Rede hüte". I" seiner Selbstbiographie hat Hamerling das Zeichentaleut


sich nicht bethören zu lassen. Nur auf eines will ich, wenn Sie es mir ge¬
statten, aufmerksam machen. Ihre heutigen Erfolge stammen nicht von dem,
was wirklich an Ihnen Dichter ist, sondern vielmehr von dem Loknlton, den
Sie so glücklich treffen, von alltäglichen Volkstümlichkeiten, die Sie mit der
den Leuten mundgerechter Schalkheit behandeln. Heute sind Sie Volksdichter
im landläufigen Sinne, den ich auch nicht unterschützen möchte; eines Tages
sollen Sie Volksdichter in edelm Sinne sein. Sie mögen im Lvkalton oder
im Hochdeutsch dichten, schwanke schreiben, Gelegenheitsverse machen, Dorf¬
geschichten erzählen, Romane verfassen, immer werden Sie einen sittlichen
Grundgedanken haben, immer auf ein Großes, Ewiges hinweisen und hinter
heiterm Lachen sich den ernsten Blick bewahren. Vielleicht wird man Sie
dann einmal nicht so brüderlich grüßen auf der Gasse wie heute, vielleicht gar
nicht. Denken Sie daran, daß der Poet nicht allzu gemein werden darf mit
den Philister». Die Philister haben allerhaud Schmerzen, für die sie Verse
haben möchten, ihr Trinken und Tanzen und Keilen und Balgen wollen sie
besungen wissen, und weiß Gott für jede Todsünde möchte» sie ihr Schnader-
hüpfl haben. Wenn der Dichter nicht nach dem wahren Meuschentume
weist, wer soll es dann thu»? Wir sind der Kompaß, der in der Welt den
Magnet des Göttlichen spürt, und stets nach dein ewig Guten und Schönen
zeigt. Also kenne ich Sie schon heute, mögen Sie sich nur darauf einrichten,
much einmal recht kühl gegrüßt zu werden." Solche Gespräche erklären die tiefe
Liebe Roseggers zu Hcunerling. Man liebt ja keinen Menschen mehr, als den,
der uns im geistigen Streben mit der Reife und Überlegenheit des ältern
Mannes unterstützt. Übrigens war Hamerliug als Lehrer und Kritiker immer
von feinstem Zartgefühl beseelt; er war ja ein Selbstguäler, und glaubte er,
der Empfindlichkeit des Freundes irgendwie zu nahe getreten zu sein, so folgte
alsbald ein entschuldigender Brief nach, der den Angegriffenen versöhnen sollte.
Solche Äußerungen fast krankhafter Schwäche teilt Nosegger einige mit, die
Mehrzahl hat er mit Recht unterdrückt. Er selbst hat sich vor dein Leiden
glücklich bewahrt und ist ein tapfrer Kämpe geblieben.

Die Häuslichkeit Hamerlings war auf dein bescheidensten Fuße gehalten.
Seine Kränklichkeit verbot ihm, an den irdischen Freuden einer guten Tafel
und eines guten Kellers teilzunehmen, er zechte nie, weil er nichts vertrug,
sondern in der peinlichsten Diät leben mußte. Seine Wohnung war so be¬
scheiden als möglich eingerichtet; die neuen Möbelstücke des Freundes betrachtete
Hamerling schon als Luxus. Nosegger bemerkt, daß er, obgleich er als
„Dichter der Schönheit" auftrat, doch keine starke Sinnlichkeit gehabt habe.
Um eine etwas künstlerische Ausschmückung der Wohnräume war er gar nicht
bemüht, obgleich ihm doch seine Wohnung mehr als irgend einem andern
Menschen wichtig sein mußte: er mußte ja meist das Zimmer oder gar das
Rede hüte». I» seiner Selbstbiographie hat Hamerling das Zeichentaleut


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[0291] sich nicht bethören zu lassen. Nur auf eines will ich, wenn Sie es mir ge¬ statten, aufmerksam machen. Ihre heutigen Erfolge stammen nicht von dem, was wirklich an Ihnen Dichter ist, sondern vielmehr von dem Loknlton, den Sie so glücklich treffen, von alltäglichen Volkstümlichkeiten, die Sie mit der den Leuten mundgerechter Schalkheit behandeln. Heute sind Sie Volksdichter im landläufigen Sinne, den ich auch nicht unterschützen möchte; eines Tages sollen Sie Volksdichter in edelm Sinne sein. Sie mögen im Lvkalton oder im Hochdeutsch dichten, schwanke schreiben, Gelegenheitsverse machen, Dorf¬ geschichten erzählen, Romane verfassen, immer werden Sie einen sittlichen Grundgedanken haben, immer auf ein Großes, Ewiges hinweisen und hinter heiterm Lachen sich den ernsten Blick bewahren. Vielleicht wird man Sie dann einmal nicht so brüderlich grüßen auf der Gasse wie heute, vielleicht gar nicht. Denken Sie daran, daß der Poet nicht allzu gemein werden darf mit den Philister». Die Philister haben allerhaud Schmerzen, für die sie Verse haben möchten, ihr Trinken und Tanzen und Keilen und Balgen wollen sie besungen wissen, und weiß Gott für jede Todsünde möchte» sie ihr Schnader- hüpfl haben. Wenn der Dichter nicht nach dem wahren Meuschentume weist, wer soll es dann thu»? Wir sind der Kompaß, der in der Welt den Magnet des Göttlichen spürt, und stets nach dein ewig Guten und Schönen zeigt. Also kenne ich Sie schon heute, mögen Sie sich nur darauf einrichten, much einmal recht kühl gegrüßt zu werden." Solche Gespräche erklären die tiefe Liebe Roseggers zu Hcunerling. Man liebt ja keinen Menschen mehr, als den, der uns im geistigen Streben mit der Reife und Überlegenheit des ältern Mannes unterstützt. Übrigens war Hamerliug als Lehrer und Kritiker immer von feinstem Zartgefühl beseelt; er war ja ein Selbstguäler, und glaubte er, der Empfindlichkeit des Freundes irgendwie zu nahe getreten zu sein, so folgte alsbald ein entschuldigender Brief nach, der den Angegriffenen versöhnen sollte. Solche Äußerungen fast krankhafter Schwäche teilt Nosegger einige mit, die Mehrzahl hat er mit Recht unterdrückt. Er selbst hat sich vor dein Leiden glücklich bewahrt und ist ein tapfrer Kämpe geblieben. Die Häuslichkeit Hamerlings war auf dein bescheidensten Fuße gehalten. Seine Kränklichkeit verbot ihm, an den irdischen Freuden einer guten Tafel und eines guten Kellers teilzunehmen, er zechte nie, weil er nichts vertrug, sondern in der peinlichsten Diät leben mußte. Seine Wohnung war so be¬ scheiden als möglich eingerichtet; die neuen Möbelstücke des Freundes betrachtete Hamerling schon als Luxus. Nosegger bemerkt, daß er, obgleich er als „Dichter der Schönheit" auftrat, doch keine starke Sinnlichkeit gehabt habe. Um eine etwas künstlerische Ausschmückung der Wohnräume war er gar nicht bemüht, obgleich ihm doch seine Wohnung mehr als irgend einem andern Menschen wichtig sein mußte: er mußte ja meist das Zimmer oder gar das Rede hüte». I» seiner Selbstbiographie hat Hamerling das Zeichentaleut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/291>, abgerufen am 04.07.2024.