Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Robert hamerling blutarmen Menschen -- sein Vater war Diener, seine Mutter, die noch jetzt Robert hamerling blutarmen Menschen — sein Vater war Diener, seine Mutter, die noch jetzt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210157"/> <fw type="header" place="top"> Robert hamerling</fw><lb/> <p xml:id="ID_782" prev="#ID_781" next="#ID_783"> blutarmen Menschen — sein Vater war Diener, seine Mutter, die noch jetzt<lb/> hochbetagt lebt, Wäscherin; beide lebten beim Dichter, sobald es ihm die Geld¬<lb/> mittel erlaubten, sie zu beherberge». Der berühmte Mann schämte sich durchaus<lb/> nicht seiner Eltern. Freilich wurde seine Güte infolge seines durch und durch<lb/> reflektirenden Wesens öfter zur Weichheit, zur Unentschlossenheit. Hamerling,<lb/> — so sagte ihm Nvscgger einmal ins Gesicht — gehörte zu jenen Männern,<lb/> die geheiratet werden müssen. Er war ein Zauberer, und wenn man seine<lb/> gedruckten Liebesbriefe gelesen hat (in den „Lehrjahren der Liebe"), so begreift<lb/> man, warum seine Liebesverhältnisse zu keinem dauernden Abschluß, zu keinem<lb/> Ehebunde geführt haben. Er grübelte, er zersetzte seine Gefühle zu sehr, und<lb/> dieser Mangel an Natur konnte kein starkes Weib fesseln. Er war eine<lb/> richtige Gelehrtennatur, die sich empfindsam vor jeder Berührung mit der<lb/> thätigen Welt zurückzog. Als Gymnasiallehrer war er, wie wir von andrer<lb/> Seite wissen, nicht fähig gewesen, in der Schule Disziplin zu halten. Aus<lb/> dieser Empfindlichkeit, die sich schon frühzeitig zur Hypochondrie steigerte,<lb/> erklärt sich Hamerlings Ärger über die Rezensenten, die er, wie es scheint,<lb/> alle gleich wichtig nahm. Sie scheine»? denn auch instinktiv den reizbaren<lb/> Mann verfolgt zu haben, und sie haben allerdings oft genug erbärmlich über<lb/> ihn geschrieben. Es wird dies noch einmal ein interessantes Kapitel zur Ge¬<lb/> schichte des innerösterreichischen Geisteslebens geben, denn im Laufe der Zeit<lb/> hat sich zwischen Graz und Wien ein Gegensatz ausgebildet, der nun auch<lb/> politisch seinen Ausdruck gefunden hat. Die deutschen Abgeordneten 1)er Steier-<lb/> mark bilde» im österreichischen Parlament eine eigne Gruppe neben den Deutschen<lb/> der andern Kronlünder (Steinwender gegen Pierer); das ist mit andern<lb/> Motiven ans das Verhalten der Wiener Presse gegen Hamerling zurückzuführen!<lb/> Ein Zeichen seiner gnr nicht zu leugnenden Größe ist es, daß Hamerling sich<lb/> nicht in den Tageskampf der politischen Parteien hineinziehen ließ. Er machte<lb/> seinem starken Nationalgefühl gelegentlich dichterisch Luft und zündete dann<lb/> gerade mit solchen Versen, ans Straßbnrg z. B. 1884, als zu Paris vor dem<lb/> Standbilde der Stadt Straßburg die deutsche Fahne verbrannt wurde, oder<lb/> mit dein Gedichte: „Ich liebe mein Österreich," das das geflügelte Wort ent¬<lb/> hält: „Deutschland ist mein Vaterland und Österreich nceiu Mutterland."<lb/> Aber eine ausschließliche Verherrlichung als politischer Sänger war gar nicht<lb/> nach seinem Sinn; die Chauviuisteu, die aus der nationalen Begeisterung einen<lb/> einträglichen Beruf in der Litteratur und Politik machen, haßte er. Ihm stand<lb/> der Dichter über den Parteien, er fühlte sich als Träger des rein menschlichen<lb/> Ideals der Schönheit und Sittlichkeit. In diesem Geiste erzog er den jungen<lb/> Rosegger, dem er schon 1870 gelegentlich auf einem Spaziergange sagte: „Die<lb/> Achtung, die man mir zollt, bedeutet doch uur deu Achtungserfolg, den ich<lb/> errungen habe, während Sie bereits der Liebling der Leute geworden sind.<lb/> Ich beglückwünsche Sie von Herzen, sehe ich doch, daß Sie klug genug sind,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0290]
Robert hamerling
blutarmen Menschen — sein Vater war Diener, seine Mutter, die noch jetzt
hochbetagt lebt, Wäscherin; beide lebten beim Dichter, sobald es ihm die Geld¬
mittel erlaubten, sie zu beherberge». Der berühmte Mann schämte sich durchaus
nicht seiner Eltern. Freilich wurde seine Güte infolge seines durch und durch
reflektirenden Wesens öfter zur Weichheit, zur Unentschlossenheit. Hamerling,
— so sagte ihm Nvscgger einmal ins Gesicht — gehörte zu jenen Männern,
die geheiratet werden müssen. Er war ein Zauberer, und wenn man seine
gedruckten Liebesbriefe gelesen hat (in den „Lehrjahren der Liebe"), so begreift
man, warum seine Liebesverhältnisse zu keinem dauernden Abschluß, zu keinem
Ehebunde geführt haben. Er grübelte, er zersetzte seine Gefühle zu sehr, und
dieser Mangel an Natur konnte kein starkes Weib fesseln. Er war eine
richtige Gelehrtennatur, die sich empfindsam vor jeder Berührung mit der
thätigen Welt zurückzog. Als Gymnasiallehrer war er, wie wir von andrer
Seite wissen, nicht fähig gewesen, in der Schule Disziplin zu halten. Aus
dieser Empfindlichkeit, die sich schon frühzeitig zur Hypochondrie steigerte,
erklärt sich Hamerlings Ärger über die Rezensenten, die er, wie es scheint,
alle gleich wichtig nahm. Sie scheine»? denn auch instinktiv den reizbaren
Mann verfolgt zu haben, und sie haben allerdings oft genug erbärmlich über
ihn geschrieben. Es wird dies noch einmal ein interessantes Kapitel zur Ge¬
schichte des innerösterreichischen Geisteslebens geben, denn im Laufe der Zeit
hat sich zwischen Graz und Wien ein Gegensatz ausgebildet, der nun auch
politisch seinen Ausdruck gefunden hat. Die deutschen Abgeordneten 1)er Steier-
mark bilde» im österreichischen Parlament eine eigne Gruppe neben den Deutschen
der andern Kronlünder (Steinwender gegen Pierer); das ist mit andern
Motiven ans das Verhalten der Wiener Presse gegen Hamerling zurückzuführen!
Ein Zeichen seiner gnr nicht zu leugnenden Größe ist es, daß Hamerling sich
nicht in den Tageskampf der politischen Parteien hineinziehen ließ. Er machte
seinem starken Nationalgefühl gelegentlich dichterisch Luft und zündete dann
gerade mit solchen Versen, ans Straßbnrg z. B. 1884, als zu Paris vor dem
Standbilde der Stadt Straßburg die deutsche Fahne verbrannt wurde, oder
mit dein Gedichte: „Ich liebe mein Österreich," das das geflügelte Wort ent¬
hält: „Deutschland ist mein Vaterland und Österreich nceiu Mutterland."
Aber eine ausschließliche Verherrlichung als politischer Sänger war gar nicht
nach seinem Sinn; die Chauviuisteu, die aus der nationalen Begeisterung einen
einträglichen Beruf in der Litteratur und Politik machen, haßte er. Ihm stand
der Dichter über den Parteien, er fühlte sich als Träger des rein menschlichen
Ideals der Schönheit und Sittlichkeit. In diesem Geiste erzog er den jungen
Rosegger, dem er schon 1870 gelegentlich auf einem Spaziergange sagte: „Die
Achtung, die man mir zollt, bedeutet doch uur deu Achtungserfolg, den ich
errungen habe, während Sie bereits der Liebling der Leute geworden sind.
Ich beglückwünsche Sie von Herzen, sehe ich doch, daß Sie klug genug sind,
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