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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Robert Hamerling

und diese Erinnerungen sind umso interessanter, als Rosegger eine von
Hamerling gruudverschiedue Dichternatur ist, die ganz anders sieht "ud schreibt
und bei aller Gemeinsamkeit der Ideale und der Gesinnung eine andre Art, das
Leben zu nehmen, besitzt. Von diesem Gesichtspunkte sind Noseggers "Er¬
innerungen" sogar ein merkwürdiges Buch. Indem Noseggcr die Gespräche
mit Hamerling verzeichnet, charakterisirt er sich unwillkürlich selbst, und dn
tritt der bekannte Kontrast zwischen naiver nud sentimentaler Poesie zu Tage,
wie man sich ihn anschaulicher und drastischer gar nicht wünschen kann. Der
echtere Dichter ist für uns ohne Zweifel Rosegger, weil er in diesem Frennd-
schaftsbunde, der im Kleinen an das Verhältnis Goethes zu Schiller erinnert,
der naive Dichter ist; nur daß hier die Rollen derart vertauscht sind, daß der
naive Dichter nicht zugleich auch im übrigen der reichere Genius ist, sondern
daß Hamerling mit seiner ganz ungewöhnlichen Velesenheit Zeit seines Lebens
ein mächtiges Übergewicht über den spät in die Litteratur getretenen Bauern-
sohn Rosegger behält, der immer staunend vor dem Geistesreichtnm seines ge¬
lehrten Bruders in Apoll steht.

Dies tritt drastisch in einem Gespräch der zwei Freunde über den Wert
der Bücher hervor. Hamerling liebte seine reiche, ans Werken aller Wissen¬
schaften zusammengesetzte Bibliothek geradezu zärtlich. Ihm war die Bücher¬
sammlung "eine seiner wenigen irdischen Freuden." Gelegentlich einer Äuße¬
rung Noseggers über die "Vücherkalamität" fragte er ihn: "Ist es Ihr Ernst,
daß Sie die Bücher nicht mögen?" Rosegger erwiderte: "Ich habe nur wenige
Lieblingsbücher, die ich immer wieder lese. Im übrigen haben mich Bücher
weder in meiner geistigen Entwicklung, noch in meinen litterarischen Arbeiten
wesentlich gefördert. Mir fehlt die Gabe, aus Büchern zu lernen, muß mich
mehr an Leben und Erfahrung halten." Hamerling antwortete: "Ist keine
schlechte Schule, allein zu eng begrenzt" n. s. w. Nach einiger Zeit kam er
jedoch in seiner zartfühlenden Weise ans den Gegenstand zurück und sagte:
"Zu Ihrem Troste muß ich Ihnen einen Ausspruch Theodor Storms mit¬
teilen. Da haben Sie die Stelle ans einem Briefe von Storm. Gelernt aus
Büchern, heißt es hier, habe ich niemals etwas Ordentliches. Auch das
Arbeiten habe ich erst als Poet gelernt. Das Talent des Lernens fehlt mir
gänzlich, das ist buchstäblich wahr. -- Storm ist ja doch kein Taugenichts,
sondern gegenwärtig (1885) der vielleicht am meisten anerkannte deutsche
Dichter. sind Sie zufrieden?" Damit fühlte sich Rosegger in der That
beruhigt und knüpfte daran weitere Mitteilungen über sein Verhältnis zu
Büchern. Schließlich läßt er jedoch Hamerling das Wort, der verstündig
spricht: "Warum wollen Sie sich das nicht zu nutze machen, was andre vor¬
gearbeitet haben? Wollen wir in die Höhe kommen, so müssen wir unsern
Vormännern auf die Achsel steige". Nicht eiuer neben dem andern, sondern
einer über dem andern, so gehts. Glauben Sie, daß unsre größten Dichter


Robert Hamerling

und diese Erinnerungen sind umso interessanter, als Rosegger eine von
Hamerling gruudverschiedue Dichternatur ist, die ganz anders sieht »ud schreibt
und bei aller Gemeinsamkeit der Ideale und der Gesinnung eine andre Art, das
Leben zu nehmen, besitzt. Von diesem Gesichtspunkte sind Noseggers „Er¬
innerungen" sogar ein merkwürdiges Buch. Indem Noseggcr die Gespräche
mit Hamerling verzeichnet, charakterisirt er sich unwillkürlich selbst, und dn
tritt der bekannte Kontrast zwischen naiver nud sentimentaler Poesie zu Tage,
wie man sich ihn anschaulicher und drastischer gar nicht wünschen kann. Der
echtere Dichter ist für uns ohne Zweifel Rosegger, weil er in diesem Frennd-
schaftsbunde, der im Kleinen an das Verhältnis Goethes zu Schiller erinnert,
der naive Dichter ist; nur daß hier die Rollen derart vertauscht sind, daß der
naive Dichter nicht zugleich auch im übrigen der reichere Genius ist, sondern
daß Hamerling mit seiner ganz ungewöhnlichen Velesenheit Zeit seines Lebens
ein mächtiges Übergewicht über den spät in die Litteratur getretenen Bauern-
sohn Rosegger behält, der immer staunend vor dem Geistesreichtnm seines ge¬
lehrten Bruders in Apoll steht.

Dies tritt drastisch in einem Gespräch der zwei Freunde über den Wert
der Bücher hervor. Hamerling liebte seine reiche, ans Werken aller Wissen¬
schaften zusammengesetzte Bibliothek geradezu zärtlich. Ihm war die Bücher¬
sammlung „eine seiner wenigen irdischen Freuden." Gelegentlich einer Äuße¬
rung Noseggers über die „Vücherkalamität" fragte er ihn: „Ist es Ihr Ernst,
daß Sie die Bücher nicht mögen?" Rosegger erwiderte: „Ich habe nur wenige
Lieblingsbücher, die ich immer wieder lese. Im übrigen haben mich Bücher
weder in meiner geistigen Entwicklung, noch in meinen litterarischen Arbeiten
wesentlich gefördert. Mir fehlt die Gabe, aus Büchern zu lernen, muß mich
mehr an Leben und Erfahrung halten." Hamerling antwortete: „Ist keine
schlechte Schule, allein zu eng begrenzt" n. s. w. Nach einiger Zeit kam er
jedoch in seiner zartfühlenden Weise ans den Gegenstand zurück und sagte:
„Zu Ihrem Troste muß ich Ihnen einen Ausspruch Theodor Storms mit¬
teilen. Da haben Sie die Stelle ans einem Briefe von Storm. Gelernt aus
Büchern, heißt es hier, habe ich niemals etwas Ordentliches. Auch das
Arbeiten habe ich erst als Poet gelernt. Das Talent des Lernens fehlt mir
gänzlich, das ist buchstäblich wahr. — Storm ist ja doch kein Taugenichts,
sondern gegenwärtig (1885) der vielleicht am meisten anerkannte deutsche
Dichter. sind Sie zufrieden?" Damit fühlte sich Rosegger in der That
beruhigt und knüpfte daran weitere Mitteilungen über sein Verhältnis zu
Büchern. Schließlich läßt er jedoch Hamerling das Wort, der verstündig
spricht: „Warum wollen Sie sich das nicht zu nutze machen, was andre vor¬
gearbeitet haben? Wollen wir in die Höhe kommen, so müssen wir unsern
Vormännern auf die Achsel steige». Nicht eiuer neben dem andern, sondern
einer über dem andern, so gehts. Glauben Sie, daß unsre größten Dichter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/288>, abgerufen am 25.07.2024.