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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Verehrung heißt eS in einer Augsburger Anklageschrift: "Auch sprechen spe,
daz unser lieben fratv noch alle zwelf poteu noch all Halligen mit an ander
dem menschen uichtz erwerben argen umb Gott." Die Sünden bekannten sie
einander gegenseitig. Damit verwarfen sie doch nnr Meinungen und Gebrauche,
die allenfalls, wo das Volk daran hing, hätten geduldet werden können, die
aber der ganzen Christenheit zwangsweise aufzuerlegen weder der altkirchliche
Glauben noch die bürgerliche Ordnung forderte. Anderseits ist zu bedenken,
das; die Sektirer bei diesem innerlich berechtigten Widerstände gegen Auswüchse
uirgeuds stehe" blieben, sondern jene schon angeführten weitergehenden Forde¬
rungen erhoben, durch die sie sich ungefähr mit den spätern Wiedertänfern
ans eine Stufe stellten. "Auch gelaubeu she nit nu deu heiligen Tauff, heißt
es in jeuer Augsburger Urkunde, und sprechen, ez sah ein Wasser als ein
anders Wasser, wann si unverstenlich sind gewesen do man spe getauft hab."
Das heißt also, die Kindertaufe ist uugiltig, weil die Kinder jn nicht ver¬
stehen, lvas mit ihnen vorgeht, oder mit ander" Worte", wer das opus op<z-
ratuiri (die Guadeulvirkung Gottes ohne Mitwirkung des Menschen) wirklich
verwirft, für den ist die Kindertaufe kein Sakrament mehr, sondern uur noch
eine Zeremonie. Auch die französischen Katharer fanden es ungereimt, daß
die Paten a" Stelle uumündiger Kinder Versprechungen ablegten; wir, sagten
sie, warten, bis die jungen Leute achtzehn Jahre alt sind, dann versprechen
sie selbst, wohl wissend, was sie versprechen. Ferner ist zu bedenken, daß die
Sektirer durch beleidigende!? Hochmut reizten, indem sie sich selbst als die Gott
bekannten, die Katholiken aber als Gott unbekannt bezeichneten. Und endlich,
wenn die "Heiligen der Thäler" bis ans den heutigen Tag den Ruhm ihrer
reinen Lehre und ihres reinen Wandels bewahrt haben und bei ihrem Fest
im September 188'.)*) mit Stolz auf ihre fleckenlose Geschichte zurückblicken
durften, so haben sie das doch dem Umstände zu danken, daß sie stets eine
kleine Schar von Verfolgten geblieben sind. Gelänge es ihnen, das ganze
italienische Volk zu ihrem reinen Evangelium zu bekehren -- keine äußere Ge¬
walt hindert sie daran, im Gegenteil erfreuen sie sich der Gunst der könig¬
lichen Behörden --, so würde es mit der Reinheit ihres Evangeliums wie
mit der ihres Wandels bald aus sein.



^) Nachdem sich die Waldenser der Alpenthäler offen der Reformation angeschlossen
hatten, brach die Verfolgung gegen sie aufs neue los und erreichte gegen Ende des siebzehnten
Jahrhunderts ihren Höhepunkt. 168" wurden sie vom Herzog von Savoyen aus ihren
Thälern vertrieben, kehrten aber schon 1t>M zurück unter der Führung ihres heldenmütigen
Prediger? Arnaud, dessen militärisches Genie Napoleon I. bewundert hat; Comba vergleicht
diese Rückkehr dem Rückzüge der Zehntausend, nur sei sie kein Rückzug, sondern ein Sieg ge¬
wesen. Der Jubelfeier der <!Inriouso routi-vo wohnten Brüder nu? allen Erdteilen bei;
König Humbert lies; sich durch den Prcifekten vertreten und schenkte eine Geldsumme für kirch¬
liche Zwecke.

Verehrung heißt eS in einer Augsburger Anklageschrift: „Auch sprechen spe,
daz unser lieben fratv noch alle zwelf poteu noch all Halligen mit an ander
dem menschen uichtz erwerben argen umb Gott." Die Sünden bekannten sie
einander gegenseitig. Damit verwarfen sie doch nnr Meinungen und Gebrauche,
die allenfalls, wo das Volk daran hing, hätten geduldet werden können, die
aber der ganzen Christenheit zwangsweise aufzuerlegen weder der altkirchliche
Glauben noch die bürgerliche Ordnung forderte. Anderseits ist zu bedenken,
das; die Sektirer bei diesem innerlich berechtigten Widerstände gegen Auswüchse
uirgeuds stehe» blieben, sondern jene schon angeführten weitergehenden Forde¬
rungen erhoben, durch die sie sich ungefähr mit den spätern Wiedertänfern
ans eine Stufe stellten. „Auch gelaubeu she nit nu deu heiligen Tauff, heißt
es in jeuer Augsburger Urkunde, und sprechen, ez sah ein Wasser als ein
anders Wasser, wann si unverstenlich sind gewesen do man spe getauft hab."
Das heißt also, die Kindertaufe ist uugiltig, weil die Kinder jn nicht ver¬
stehen, lvas mit ihnen vorgeht, oder mit ander» Worte», wer das opus op<z-
ratuiri (die Guadeulvirkung Gottes ohne Mitwirkung des Menschen) wirklich
verwirft, für den ist die Kindertaufe kein Sakrament mehr, sondern uur noch
eine Zeremonie. Auch die französischen Katharer fanden es ungereimt, daß
die Paten a» Stelle uumündiger Kinder Versprechungen ablegten; wir, sagten
sie, warten, bis die jungen Leute achtzehn Jahre alt sind, dann versprechen
sie selbst, wohl wissend, was sie versprechen. Ferner ist zu bedenken, daß die
Sektirer durch beleidigende!? Hochmut reizten, indem sie sich selbst als die Gott
bekannten, die Katholiken aber als Gott unbekannt bezeichneten. Und endlich,
wenn die „Heiligen der Thäler" bis ans den heutigen Tag den Ruhm ihrer
reinen Lehre und ihres reinen Wandels bewahrt haben und bei ihrem Fest
im September 188'.)*) mit Stolz auf ihre fleckenlose Geschichte zurückblicken
durften, so haben sie das doch dem Umstände zu danken, daß sie stets eine
kleine Schar von Verfolgten geblieben sind. Gelänge es ihnen, das ganze
italienische Volk zu ihrem reinen Evangelium zu bekehren — keine äußere Ge¬
walt hindert sie daran, im Gegenteil erfreuen sie sich der Gunst der könig¬
lichen Behörden —, so würde es mit der Reinheit ihres Evangeliums wie
mit der ihres Wandels bald aus sein.



^) Nachdem sich die Waldenser der Alpenthäler offen der Reformation angeschlossen
hatten, brach die Verfolgung gegen sie aufs neue los und erreichte gegen Ende des siebzehnten
Jahrhunderts ihren Höhepunkt. 168» wurden sie vom Herzog von Savoyen aus ihren
Thälern vertrieben, kehrten aber schon 1t>M zurück unter der Führung ihres heldenmütigen
Prediger? Arnaud, dessen militärisches Genie Napoleon I. bewundert hat; Comba vergleicht
diese Rückkehr dem Rückzüge der Zehntausend, nur sei sie kein Rückzug, sondern ein Sieg ge¬
wesen. Der Jubelfeier der <!Inriouso routi-vo wohnten Brüder nu? allen Erdteilen bei;
König Humbert lies; sich durch den Prcifekten vertreten und schenkte eine Geldsumme für kirch¬
liche Zwecke.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/280>, abgerufen am 24.07.2024.