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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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sperr euch alle ein! Diese Unfähigkeit war aber weniger ein Fehler der Per¬
sonen als eine Wirkung der Verhältnisse, der unendlichen Teilung der Macht
unter zahllose sich kreuzende Jurisdiktioueu. Die Toskaner z. V. waren gar
nicht grausam. Trotzdem warm ihre Stndtobrigleiten bei jeder Gelegenheit
gleich mit den furchtbarsten Strafandrohungen bei der Hand. Aus kleinern
Androhungen machte sich niemand etwas, weil es ungemein leicht war, sich
dnrch die Flucht auf ein benachbartes Gebiet der Vollstreckung zu entziehen,
und kam man nach einigen Monaten wieder heim, so fand man nicht allein
andre Obrigkeiten, sondern auch andre Gesetze. Da that sich denn der Zorn
der gebietenden Herren wenigstens in furchtbarem Drohungen Genüge, und
man schwur, daß man den Schuldigen die Hände abhacken, die Nasen ab¬
schneiden oder daß man sie lebendig verbrennen werde, wenn man sie -- er¬
wischte. Die Strafvollstreckung vermochten auch die Kirchenfiirsten und In¬
quisitoren gewöhnlich nur dann durchzusetzen, wenn sie einen Fürsten durch
den vorgehaltenem Köder eines Lünderraubes gewonnen oder einen fanatisirten
Volkshaufen auf ihre Seite gebracht hatten, und dann arteten die Handhabung
der Polizei wie die Strafvollziehung in Metzeleien aus. Das Verfahren der
Kirche gab dann den Verfolgten wieder neue Waffen in die Hand. Nachdem
Gregor VII. die Völker aufgefordert hatte, beweibte und Simonistische Priester
nicht zu dulden und ihren sakrilegischen Gottesdienst zu meiden, konnten sich
seine Nachfolger (darauf weist Döllinger hin) eigentlich nicht darüber wundern,
wenn die Sekten den Gottesdienst der meist sehr unerbaulich lebenden recht¬
gläubigen Priester für sakrilegisch erklärten und lehrten, Männer, die selbst
so augenscheinlich von: heiligen Geiste verlassen wären, könnten diesen Geist
unmöglich spenden. In unsrer Zeit der straffen Zentralisation, der Aus¬
lieferungsverträge und einer Staatsgewalt, die stark genug ist, jeden Wider¬
stand zu zermalmen, in eiuer Zeit, wo sich der Druck auf einen Berliner
Telegrapheuknopf in Greifbewegungen Newyorker Polizistenhände umsetzt,
würden Grausamkeiten ein ebenso unanständiger als überflüssiger Luxus sein.
In Südfrankreich, wo der Katholizismus beinahe verschwunden und der rö¬
mische Klerus zum Gespött des Volkes wie der Großen geworden war, han¬
delte es sich für die Hierarchie um Sein oder Nichtsein. Ein Ruhmestitel
ist es nun freilich nicht für den großen Jnnozenz III., daß er den Katholizis¬
mus auf keine andre Weise wiederherzustellen verstand, als dnrch einen grau¬
samen Vertilgungskrieg gegen die Albigenser.

Am abstoßendsten erscheint uns das Verfahren der Kirche den Waldensern
gegenüber, die größtenteils wirklich nur gegen den Abfall der Kirche von
den Ideen des Christentums protestirten und Neformirte vor der Reformation
waren. Sie verwarfen das Fegefeuer, die Heiligenaurufuug und legten ge¬
ringes Gewicht auf die Sakramente. Geld zu nehmen unter dem Vorwande
der Fürbitte für die Verstorbenen erklärten sie für sündhaft. Über die Heiligen-


sperr euch alle ein! Diese Unfähigkeit war aber weniger ein Fehler der Per¬
sonen als eine Wirkung der Verhältnisse, der unendlichen Teilung der Macht
unter zahllose sich kreuzende Jurisdiktioueu. Die Toskaner z. V. waren gar
nicht grausam. Trotzdem warm ihre Stndtobrigleiten bei jeder Gelegenheit
gleich mit den furchtbarsten Strafandrohungen bei der Hand. Aus kleinern
Androhungen machte sich niemand etwas, weil es ungemein leicht war, sich
dnrch die Flucht auf ein benachbartes Gebiet der Vollstreckung zu entziehen,
und kam man nach einigen Monaten wieder heim, so fand man nicht allein
andre Obrigkeiten, sondern auch andre Gesetze. Da that sich denn der Zorn
der gebietenden Herren wenigstens in furchtbarem Drohungen Genüge, und
man schwur, daß man den Schuldigen die Hände abhacken, die Nasen ab¬
schneiden oder daß man sie lebendig verbrennen werde, wenn man sie — er¬
wischte. Die Strafvollstreckung vermochten auch die Kirchenfiirsten und In¬
quisitoren gewöhnlich nur dann durchzusetzen, wenn sie einen Fürsten durch
den vorgehaltenem Köder eines Lünderraubes gewonnen oder einen fanatisirten
Volkshaufen auf ihre Seite gebracht hatten, und dann arteten die Handhabung
der Polizei wie die Strafvollziehung in Metzeleien aus. Das Verfahren der
Kirche gab dann den Verfolgten wieder neue Waffen in die Hand. Nachdem
Gregor VII. die Völker aufgefordert hatte, beweibte und Simonistische Priester
nicht zu dulden und ihren sakrilegischen Gottesdienst zu meiden, konnten sich
seine Nachfolger (darauf weist Döllinger hin) eigentlich nicht darüber wundern,
wenn die Sekten den Gottesdienst der meist sehr unerbaulich lebenden recht¬
gläubigen Priester für sakrilegisch erklärten und lehrten, Männer, die selbst
so augenscheinlich von: heiligen Geiste verlassen wären, könnten diesen Geist
unmöglich spenden. In unsrer Zeit der straffen Zentralisation, der Aus¬
lieferungsverträge und einer Staatsgewalt, die stark genug ist, jeden Wider¬
stand zu zermalmen, in eiuer Zeit, wo sich der Druck auf einen Berliner
Telegrapheuknopf in Greifbewegungen Newyorker Polizistenhände umsetzt,
würden Grausamkeiten ein ebenso unanständiger als überflüssiger Luxus sein.
In Südfrankreich, wo der Katholizismus beinahe verschwunden und der rö¬
mische Klerus zum Gespött des Volkes wie der Großen geworden war, han¬
delte es sich für die Hierarchie um Sein oder Nichtsein. Ein Ruhmestitel
ist es nun freilich nicht für den großen Jnnozenz III., daß er den Katholizis¬
mus auf keine andre Weise wiederherzustellen verstand, als dnrch einen grau¬
samen Vertilgungskrieg gegen die Albigenser.

Am abstoßendsten erscheint uns das Verfahren der Kirche den Waldensern
gegenüber, die größtenteils wirklich nur gegen den Abfall der Kirche von
den Ideen des Christentums protestirten und Neformirte vor der Reformation
waren. Sie verwarfen das Fegefeuer, die Heiligenaurufuug und legten ge¬
ringes Gewicht auf die Sakramente. Geld zu nehmen unter dem Vorwande
der Fürbitte für die Verstorbenen erklärten sie für sündhaft. Über die Heiligen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/279>, abgerufen am 24.07.2024.