Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Geschäften, Geschäften, die sich scheinbar als Kauf oder Verkauf darstellen, in
Wirklichkeit aber mir Wetten über Steigen und Fallen des Kurses gewisser
Papiere oder Ware" sind; wenn die Forderung aus Wette unklagbar ist, so
ist es auch eine solche Forderung, sobald feststeht, daß das scheinbare Kauf¬
geschäft als Wette gemeint war), so gut muß ihm auch das Recht zustehen,
dem weit unsittlichern Treiben der Bodenspekulanten entgegenzutreten, die im
Grunde nichts andres sind als eine Art von Wucherern, der Grund und
Boden, der alle" zur Nahrung nud Wohnung dienen soll, darf am wenigsten
zum Schachergeschäft, zur Ausbeutung der Notlage andrer mißbraucht werden.
Dem Grundbesitzer, insbesondre dein neuen ErWerber die Bauerlaubnis ver¬
weigern, wäre allerdings thatsächlich gleichbedeutend mit dem Verbot der Ver¬
äußerung, und darum wäre dein Nutzeigeutümer im Falle der Versagung das
Necht einzuräumen, vom Obereigeutümer die Übernahme des Grundstückes um
einen Preis zu verlangen, der dem kapitalisirteu seitherigen Reinertrag gleich¬
kommt.

Kein Necht ohne Pflicht: so lange Staat und Gesellschaft diesen Satz nicht
rückhaltlos anerkennen, so lange wird der Kampf gegen die Sozialdemokratie
vergeblich sein. Würde dagegen mit dem Satz ernst gemacht, so wäre er
eine mächtige Waffe in der Hand des Staates gegen die Sozialdemokratie.
Dem Menschen ist das Gewissen, das Pflichtbewußtsein als ein zarter, ent¬
wicklungsfähiger, aber auch pflegebedürftiger Keim angeboren; im Katechismus
des echten Sozialdemokraten kommt das Wort Pflicht nicht vor, seine Gesellschafts-
ordnung (einen Staat, der die Erfüllung der Pflicht im Notfall erzwingt,
giebt es ja für ihn nicht!) beruht nicht auf der Pflicht, sondern auf dein Neid,
und nur darum findet die Sozialdemokratie in so vielen Kreisen Anhänger,
weil das Prinzip des Neides dadurch eine scheinbare Rechtfertigung erhält,
daß die bestehende Gesellschaft vielfach Rechte ohne Pflichten für sich beansprucht
"ud der Staat diesen Anspruch schützt. Auch für das Recht am Grundeigentum
muß der Satz zur Geltung gebracht werden: dem Recht, den Grund und Boden
zu nutzen, entspricht die Pflicht, ihn zu bauen; wer sich weigert, diese Pflicht
zu erfüllen, verwirkt auch jenes Recht. Jeder Grundbesitzer mag sein Nntz-
eigeutum preisgeben, wenn er es nicht pflegen will; dann kehrt es -- in Er¬
manglung eines natürlichen Erben -- von selbst zur Gemeinde als Ober-
eigeutümeriu oder Grundherrin zurück, die es für sich behalten oder an einen
andern vergeben mag. Das scheint uns eine ebenso einfache wie natürliche
Lösung der Frage, wie mit einem vom Eigentümer preisgegebenen Grundstück
zu verfahren sei, viel einfacher und natürlicher jedenfalls, als die hinter dem
grünen Tisch aufgedeckten holzpapiernen Vestimmnngen des Entwurfs des
bürgerlichen Gesetzbuches, wonach das Eigentum nu einem Grundstück nicht
diirch die Preisgebung, sondern durch die vor dem Grundbuchaint abgegebene
Erklärung des (vielleicht nach Amerika oder Australien durchgegangenen!) Eigen-


Geschäften, Geschäften, die sich scheinbar als Kauf oder Verkauf darstellen, in
Wirklichkeit aber mir Wetten über Steigen und Fallen des Kurses gewisser
Papiere oder Ware» sind; wenn die Forderung aus Wette unklagbar ist, so
ist es auch eine solche Forderung, sobald feststeht, daß das scheinbare Kauf¬
geschäft als Wette gemeint war), so gut muß ihm auch das Recht zustehen,
dem weit unsittlichern Treiben der Bodenspekulanten entgegenzutreten, die im
Grunde nichts andres sind als eine Art von Wucherern, der Grund und
Boden, der alle» zur Nahrung nud Wohnung dienen soll, darf am wenigsten
zum Schachergeschäft, zur Ausbeutung der Notlage andrer mißbraucht werden.
Dem Grundbesitzer, insbesondre dein neuen ErWerber die Bauerlaubnis ver¬
weigern, wäre allerdings thatsächlich gleichbedeutend mit dem Verbot der Ver¬
äußerung, und darum wäre dein Nutzeigeutümer im Falle der Versagung das
Necht einzuräumen, vom Obereigeutümer die Übernahme des Grundstückes um
einen Preis zu verlangen, der dem kapitalisirteu seitherigen Reinertrag gleich¬
kommt.

Kein Necht ohne Pflicht: so lange Staat und Gesellschaft diesen Satz nicht
rückhaltlos anerkennen, so lange wird der Kampf gegen die Sozialdemokratie
vergeblich sein. Würde dagegen mit dem Satz ernst gemacht, so wäre er
eine mächtige Waffe in der Hand des Staates gegen die Sozialdemokratie.
Dem Menschen ist das Gewissen, das Pflichtbewußtsein als ein zarter, ent¬
wicklungsfähiger, aber auch pflegebedürftiger Keim angeboren; im Katechismus
des echten Sozialdemokraten kommt das Wort Pflicht nicht vor, seine Gesellschafts-
ordnung (einen Staat, der die Erfüllung der Pflicht im Notfall erzwingt,
giebt es ja für ihn nicht!) beruht nicht auf der Pflicht, sondern auf dein Neid,
und nur darum findet die Sozialdemokratie in so vielen Kreisen Anhänger,
weil das Prinzip des Neides dadurch eine scheinbare Rechtfertigung erhält,
daß die bestehende Gesellschaft vielfach Rechte ohne Pflichten für sich beansprucht
»ud der Staat diesen Anspruch schützt. Auch für das Recht am Grundeigentum
muß der Satz zur Geltung gebracht werden: dem Recht, den Grund und Boden
zu nutzen, entspricht die Pflicht, ihn zu bauen; wer sich weigert, diese Pflicht
zu erfüllen, verwirkt auch jenes Recht. Jeder Grundbesitzer mag sein Nntz-
eigeutum preisgeben, wenn er es nicht pflegen will; dann kehrt es — in Er¬
manglung eines natürlichen Erben — von selbst zur Gemeinde als Ober-
eigeutümeriu oder Grundherrin zurück, die es für sich behalten oder an einen
andern vergeben mag. Das scheint uns eine ebenso einfache wie natürliche
Lösung der Frage, wie mit einem vom Eigentümer preisgegebenen Grundstück
zu verfahren sei, viel einfacher und natürlicher jedenfalls, als die hinter dem
grünen Tisch aufgedeckten holzpapiernen Vestimmnngen des Entwurfs des
bürgerlichen Gesetzbuches, wonach das Eigentum nu einem Grundstück nicht
diirch die Preisgebung, sondern durch die vor dem Grundbuchaint abgegebene
Erklärung des (vielleicht nach Amerika oder Australien durchgegangenen!) Eigen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210143"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_752" prev="#ID_751"> Geschäften, Geschäften, die sich scheinbar als Kauf oder Verkauf darstellen, in<lb/>
Wirklichkeit aber mir Wetten über Steigen und Fallen des Kurses gewisser<lb/>
Papiere oder Ware» sind; wenn die Forderung aus Wette unklagbar ist, so<lb/>
ist es auch eine solche Forderung, sobald feststeht, daß das scheinbare Kauf¬<lb/>
geschäft als Wette gemeint war), so gut muß ihm auch das Recht zustehen,<lb/>
dem weit unsittlichern Treiben der Bodenspekulanten entgegenzutreten, die im<lb/>
Grunde nichts andres sind als eine Art von Wucherern, der Grund und<lb/>
Boden, der alle» zur Nahrung nud Wohnung dienen soll, darf am wenigsten<lb/>
zum Schachergeschäft, zur Ausbeutung der Notlage andrer mißbraucht werden.<lb/>
Dem Grundbesitzer, insbesondre dein neuen ErWerber die Bauerlaubnis ver¬<lb/>
weigern, wäre allerdings thatsächlich gleichbedeutend mit dem Verbot der Ver¬<lb/>
äußerung, und darum wäre dein Nutzeigeutümer im Falle der Versagung das<lb/>
Necht einzuräumen, vom Obereigeutümer die Übernahme des Grundstückes um<lb/>
einen Preis zu verlangen, der dem kapitalisirteu seitherigen Reinertrag gleich¬<lb/>
kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_753" next="#ID_754"> Kein Necht ohne Pflicht: so lange Staat und Gesellschaft diesen Satz nicht<lb/>
rückhaltlos anerkennen, so lange wird der Kampf gegen die Sozialdemokratie<lb/>
vergeblich sein. Würde dagegen mit dem Satz ernst gemacht, so wäre er<lb/>
eine mächtige Waffe in der Hand des Staates gegen die Sozialdemokratie.<lb/>
Dem Menschen ist das Gewissen, das Pflichtbewußtsein als ein zarter, ent¬<lb/>
wicklungsfähiger, aber auch pflegebedürftiger Keim angeboren; im Katechismus<lb/>
des echten Sozialdemokraten kommt das Wort Pflicht nicht vor, seine Gesellschafts-<lb/>
ordnung (einen Staat, der die Erfüllung der Pflicht im Notfall erzwingt,<lb/>
giebt es ja für ihn nicht!) beruht nicht auf der Pflicht, sondern auf dein Neid,<lb/>
und nur darum findet die Sozialdemokratie in so vielen Kreisen Anhänger,<lb/>
weil das Prinzip des Neides dadurch eine scheinbare Rechtfertigung erhält,<lb/>
daß die bestehende Gesellschaft vielfach Rechte ohne Pflichten für sich beansprucht<lb/>
»ud der Staat diesen Anspruch schützt. Auch für das Recht am Grundeigentum<lb/>
muß der Satz zur Geltung gebracht werden: dem Recht, den Grund und Boden<lb/>
zu nutzen, entspricht die Pflicht, ihn zu bauen; wer sich weigert, diese Pflicht<lb/>
zu erfüllen, verwirkt auch jenes Recht. Jeder Grundbesitzer mag sein Nntz-<lb/>
eigeutum preisgeben, wenn er es nicht pflegen will; dann kehrt es &#x2014; in Er¬<lb/>
manglung eines natürlichen Erben &#x2014; von selbst zur Gemeinde als Ober-<lb/>
eigeutümeriu oder Grundherrin zurück, die es für sich behalten oder an einen<lb/>
andern vergeben mag. Das scheint uns eine ebenso einfache wie natürliche<lb/>
Lösung der Frage, wie mit einem vom Eigentümer preisgegebenen Grundstück<lb/>
zu verfahren sei, viel einfacher und natürlicher jedenfalls, als die hinter dem<lb/>
grünen Tisch aufgedeckten holzpapiernen Vestimmnngen des Entwurfs des<lb/>
bürgerlichen Gesetzbuches, wonach das Eigentum nu einem Grundstück nicht<lb/>
diirch die Preisgebung, sondern durch die vor dem Grundbuchaint abgegebene<lb/>
Erklärung des (vielleicht nach Amerika oder Australien durchgegangenen!) Eigen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Geschäften, Geschäften, die sich scheinbar als Kauf oder Verkauf darstellen, in Wirklichkeit aber mir Wetten über Steigen und Fallen des Kurses gewisser Papiere oder Ware» sind; wenn die Forderung aus Wette unklagbar ist, so ist es auch eine solche Forderung, sobald feststeht, daß das scheinbare Kauf¬ geschäft als Wette gemeint war), so gut muß ihm auch das Recht zustehen, dem weit unsittlichern Treiben der Bodenspekulanten entgegenzutreten, die im Grunde nichts andres sind als eine Art von Wucherern, der Grund und Boden, der alle» zur Nahrung nud Wohnung dienen soll, darf am wenigsten zum Schachergeschäft, zur Ausbeutung der Notlage andrer mißbraucht werden. Dem Grundbesitzer, insbesondre dein neuen ErWerber die Bauerlaubnis ver¬ weigern, wäre allerdings thatsächlich gleichbedeutend mit dem Verbot der Ver¬ äußerung, und darum wäre dein Nutzeigeutümer im Falle der Versagung das Necht einzuräumen, vom Obereigeutümer die Übernahme des Grundstückes um einen Preis zu verlangen, der dem kapitalisirteu seitherigen Reinertrag gleich¬ kommt. Kein Necht ohne Pflicht: so lange Staat und Gesellschaft diesen Satz nicht rückhaltlos anerkennen, so lange wird der Kampf gegen die Sozialdemokratie vergeblich sein. Würde dagegen mit dem Satz ernst gemacht, so wäre er eine mächtige Waffe in der Hand des Staates gegen die Sozialdemokratie. Dem Menschen ist das Gewissen, das Pflichtbewußtsein als ein zarter, ent¬ wicklungsfähiger, aber auch pflegebedürftiger Keim angeboren; im Katechismus des echten Sozialdemokraten kommt das Wort Pflicht nicht vor, seine Gesellschafts- ordnung (einen Staat, der die Erfüllung der Pflicht im Notfall erzwingt, giebt es ja für ihn nicht!) beruht nicht auf der Pflicht, sondern auf dein Neid, und nur darum findet die Sozialdemokratie in so vielen Kreisen Anhänger, weil das Prinzip des Neides dadurch eine scheinbare Rechtfertigung erhält, daß die bestehende Gesellschaft vielfach Rechte ohne Pflichten für sich beansprucht »ud der Staat diesen Anspruch schützt. Auch für das Recht am Grundeigentum muß der Satz zur Geltung gebracht werden: dem Recht, den Grund und Boden zu nutzen, entspricht die Pflicht, ihn zu bauen; wer sich weigert, diese Pflicht zu erfüllen, verwirkt auch jenes Recht. Jeder Grundbesitzer mag sein Nntz- eigeutum preisgeben, wenn er es nicht pflegen will; dann kehrt es — in Er¬ manglung eines natürlichen Erben — von selbst zur Gemeinde als Ober- eigeutümeriu oder Grundherrin zurück, die es für sich behalten oder an einen andern vergeben mag. Das scheint uns eine ebenso einfache wie natürliche Lösung der Frage, wie mit einem vom Eigentümer preisgegebenen Grundstück zu verfahren sei, viel einfacher und natürlicher jedenfalls, als die hinter dem grünen Tisch aufgedeckten holzpapiernen Vestimmnngen des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuches, wonach das Eigentum nu einem Grundstück nicht diirch die Preisgebung, sondern durch die vor dem Grundbuchaint abgegebene Erklärung des (vielleicht nach Amerika oder Australien durchgegangenen!) Eigen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/276>, abgerufen am 24.07.2024.