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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ein Höhlenprozeß

Wir sehen: es ist kein Mangel an gesetzlichen Beschränkungen des Grund¬
eigentums, denen sämtliche Grundbesitzer, wenn much in ungleichem Maße,
unterliegen. Sofern die Beschränkungen dem Grundeigentum von Rechts
wegen anhafte", nicht bloß, wie Dienstbarkeiten, durch die Willkür der Eigen¬
tümer ihm auferlegt sind, stehen sie mit dem. Begriff des Eigentums als der
vom Recht anerkannten und geschützten vollständigen Herrschaft über die Sache
im Widerspruch. Dieser verschwindet, sobald sich die Gesetzgebung entschließt,
das Sonderrecht an Grund und Boden auch formell als das zu bezeichne",
was es thatsächlich in gewissen Beziehungen schon ist: nicht als Eigentum,
sondern als umfassendes Recht an fremder Sache, sobald sie, um einen Aus¬
druck des Lehnrechts zu gebrauchen, (dein Staat oder) der Gemeinde das
Obereigentnm (die Herrschaft, äomimum) an den zu ihrer Mnrkuug gehörigen
Grundstücken, den Svnderberechtigten nur die Nutzung, das Nutzeigeutnm zu¬
schreibt. Das entspräche auf der einen Seite der natürlichen Anschauung der
Dinge und wäre anderseits teilweise eine Rückkehr zu einer ältern, an sich
gefunden Rechtsanschauung, uuter Währung der zweifellosen wirtschaftlichen
Vorteile, die die Anerkennung eines Sonderrechts an Grund und Boden ge¬
währt, und unter Ermöglichung des Abschucideus der ungesunden Auswüchse
des zum äominwm, gesteigerten Sonderrechts.

Die Sprache, die uns oft über das Recht belehrt, bezeichnet das gesamte
Vermögen eines Menschen als "Hab" und "Gut"; nnter einem Gut schlecht¬
weg verstehen wir einen Grundbesitz, Habe ist das, was der Mensch als eigen
mit sich trägt -- Minen iuo!i. mveuur porto -- oder mit sich tragen und nach
sich ziehen kann. In diesem Sinne ist Grund und Boden nicht ebenso Eigen¬
tum wie Fahrnis -- die Habe tragen wir, das Gut trägt uns --, uur das
Recht daran, nicht die Sache selbst kaun übertrage" werden, und überall, wo
eine Grundsteuer als Staats- oder Gemei"beste"er besteht, wird sie vo" und
zu dem Staate oder der Gemeinde erhoben, in deren Gebiet oder Markung
das Grundstück liegt, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des steuerpflichtigen
Eigentümers.

Mit dem bloßen Nutzeigeutum des Grundbesitzers sind alle die oben an¬
geführten, aus Berg-, Weide-, Jagd- und Bangesetzen entspringenden Be¬
schränkungen durchaus vereinbar, denn der Obereigentümmer, der Grundherr,
kann sich bei Begehung des Nntzeigentums beliebig viele Rechte an der ver¬
liehenen Sache vorbehalten; anch fallen damit die Schwierigkeiten weg, die
das Privateigentum an Grund und Boden den Telegraphen- und Telephon¬
anlagen, den Drahtseilbahnen und dergleichen bereitet. Das alte deutsche
Recht bezeichnete den Grundbesitz als "Erbe," und dieses Wort hängt ohne
Zweifel zusammen mit Arbeit, "Erbet": das Eigentum an Grund und Boden
erwuchs aus der Anschauung, daß die Früchte des Ackers und weiterhin
-- allerdings nicht ganz folgerichtig: vollständige Konsequenz ist der Anfang


Ein Höhlenprozeß

Wir sehen: es ist kein Mangel an gesetzlichen Beschränkungen des Grund¬
eigentums, denen sämtliche Grundbesitzer, wenn much in ungleichem Maße,
unterliegen. Sofern die Beschränkungen dem Grundeigentum von Rechts
wegen anhafte», nicht bloß, wie Dienstbarkeiten, durch die Willkür der Eigen¬
tümer ihm auferlegt sind, stehen sie mit dem. Begriff des Eigentums als der
vom Recht anerkannten und geschützten vollständigen Herrschaft über die Sache
im Widerspruch. Dieser verschwindet, sobald sich die Gesetzgebung entschließt,
das Sonderrecht an Grund und Boden auch formell als das zu bezeichne»,
was es thatsächlich in gewissen Beziehungen schon ist: nicht als Eigentum,
sondern als umfassendes Recht an fremder Sache, sobald sie, um einen Aus¬
druck des Lehnrechts zu gebrauchen, (dein Staat oder) der Gemeinde das
Obereigentnm (die Herrschaft, äomimum) an den zu ihrer Mnrkuug gehörigen
Grundstücken, den Svnderberechtigten nur die Nutzung, das Nutzeigeutnm zu¬
schreibt. Das entspräche auf der einen Seite der natürlichen Anschauung der
Dinge und wäre anderseits teilweise eine Rückkehr zu einer ältern, an sich
gefunden Rechtsanschauung, uuter Währung der zweifellosen wirtschaftlichen
Vorteile, die die Anerkennung eines Sonderrechts an Grund und Boden ge¬
währt, und unter Ermöglichung des Abschucideus der ungesunden Auswüchse
des zum äominwm, gesteigerten Sonderrechts.

Die Sprache, die uns oft über das Recht belehrt, bezeichnet das gesamte
Vermögen eines Menschen als „Hab" und „Gut"; nnter einem Gut schlecht¬
weg verstehen wir einen Grundbesitz, Habe ist das, was der Mensch als eigen
mit sich trägt — Minen iuo!i. mveuur porto — oder mit sich tragen und nach
sich ziehen kann. In diesem Sinne ist Grund und Boden nicht ebenso Eigen¬
tum wie Fahrnis — die Habe tragen wir, das Gut trägt uns —, uur das
Recht daran, nicht die Sache selbst kaun übertrage» werden, und überall, wo
eine Grundsteuer als Staats- oder Gemei»beste»er besteht, wird sie vo» und
zu dem Staate oder der Gemeinde erhoben, in deren Gebiet oder Markung
das Grundstück liegt, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des steuerpflichtigen
Eigentümers.

Mit dem bloßen Nutzeigeutum des Grundbesitzers sind alle die oben an¬
geführten, aus Berg-, Weide-, Jagd- und Bangesetzen entspringenden Be¬
schränkungen durchaus vereinbar, denn der Obereigentümmer, der Grundherr,
kann sich bei Begehung des Nntzeigentums beliebig viele Rechte an der ver¬
liehenen Sache vorbehalten; anch fallen damit die Schwierigkeiten weg, die
das Privateigentum an Grund und Boden den Telegraphen- und Telephon¬
anlagen, den Drahtseilbahnen und dergleichen bereitet. Das alte deutsche
Recht bezeichnete den Grundbesitz als „Erbe," und dieses Wort hängt ohne
Zweifel zusammen mit Arbeit, „Erbet": das Eigentum an Grund und Boden
erwuchs aus der Anschauung, daß die Früchte des Ackers und weiterhin
— allerdings nicht ganz folgerichtig: vollständige Konsequenz ist der Anfang


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[0274] Ein Höhlenprozeß Wir sehen: es ist kein Mangel an gesetzlichen Beschränkungen des Grund¬ eigentums, denen sämtliche Grundbesitzer, wenn much in ungleichem Maße, unterliegen. Sofern die Beschränkungen dem Grundeigentum von Rechts wegen anhafte», nicht bloß, wie Dienstbarkeiten, durch die Willkür der Eigen¬ tümer ihm auferlegt sind, stehen sie mit dem. Begriff des Eigentums als der vom Recht anerkannten und geschützten vollständigen Herrschaft über die Sache im Widerspruch. Dieser verschwindet, sobald sich die Gesetzgebung entschließt, das Sonderrecht an Grund und Boden auch formell als das zu bezeichne», was es thatsächlich in gewissen Beziehungen schon ist: nicht als Eigentum, sondern als umfassendes Recht an fremder Sache, sobald sie, um einen Aus¬ druck des Lehnrechts zu gebrauchen, (dein Staat oder) der Gemeinde das Obereigentnm (die Herrschaft, äomimum) an den zu ihrer Mnrkuug gehörigen Grundstücken, den Svnderberechtigten nur die Nutzung, das Nutzeigeutnm zu¬ schreibt. Das entspräche auf der einen Seite der natürlichen Anschauung der Dinge und wäre anderseits teilweise eine Rückkehr zu einer ältern, an sich gefunden Rechtsanschauung, uuter Währung der zweifellosen wirtschaftlichen Vorteile, die die Anerkennung eines Sonderrechts an Grund und Boden ge¬ währt, und unter Ermöglichung des Abschucideus der ungesunden Auswüchse des zum äominwm, gesteigerten Sonderrechts. Die Sprache, die uns oft über das Recht belehrt, bezeichnet das gesamte Vermögen eines Menschen als „Hab" und „Gut"; nnter einem Gut schlecht¬ weg verstehen wir einen Grundbesitz, Habe ist das, was der Mensch als eigen mit sich trägt — Minen iuo!i. mveuur porto — oder mit sich tragen und nach sich ziehen kann. In diesem Sinne ist Grund und Boden nicht ebenso Eigen¬ tum wie Fahrnis — die Habe tragen wir, das Gut trägt uns —, uur das Recht daran, nicht die Sache selbst kaun übertrage» werden, und überall, wo eine Grundsteuer als Staats- oder Gemei»beste»er besteht, wird sie vo» und zu dem Staate oder der Gemeinde erhoben, in deren Gebiet oder Markung das Grundstück liegt, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des steuerpflichtigen Eigentümers. Mit dem bloßen Nutzeigeutum des Grundbesitzers sind alle die oben an¬ geführten, aus Berg-, Weide-, Jagd- und Bangesetzen entspringenden Be¬ schränkungen durchaus vereinbar, denn der Obereigentümmer, der Grundherr, kann sich bei Begehung des Nntzeigentums beliebig viele Rechte an der ver¬ liehenen Sache vorbehalten; anch fallen damit die Schwierigkeiten weg, die das Privateigentum an Grund und Boden den Telegraphen- und Telephon¬ anlagen, den Drahtseilbahnen und dergleichen bereitet. Das alte deutsche Recht bezeichnete den Grundbesitz als „Erbe," und dieses Wort hängt ohne Zweifel zusammen mit Arbeit, „Erbet": das Eigentum an Grund und Boden erwuchs aus der Anschauung, daß die Früchte des Ackers und weiterhin — allerdings nicht ganz folgerichtig: vollständige Konsequenz ist der Anfang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/274>, abgerufen am 24.07.2024.