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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Gu Höhlenprozeß

Erhielten aber die Schopflocher den Nvtweg nicht, so hätten sie ohne Zweifel
den Stollen geballt, und ohne Beschädigung der Höhle wäre es dabei
natürlich nicht abgegangen. Indem nlsv der Vergleich diese Schädigung aus-
schloß, erscheint er verständig. Er entsprach anch der Billigkeit, da es an
einem Maßstab für eine andre als die gleiche Verteilung der Einkünfte fehlte;
konnte Schvpflvch geltend machen, daß der größere Teil der Höhle auf seinem
Gebiet liege, so fiel für Gutenberg der Umstand ins Gewicht, daß es den
Eingang zu ihr besaß.

Allein diese Art der Teilung war wesentlich dadurch ermöglicht, daß die
Gemeinde Schvpflvch als einzige Klägerin aufgetreten war. Nun haben wir
aber gesehen, daß sie nicht aus eignem Recht, sondern ans dem ihr abgetretenen
Recht des Schusters geklagt hatte; und wen" wir das Verhältnis betrachten,
wie es sich gestaltet hätte, wenn der Schuster selbst als Kläger aufgetreten
wäre, so werden wir sinden, daß der Rechtsstreit, auch wenn er dnrch Vergleich
erledigt worden wäre, nicht zu einem das Rechtsgefühl in gleicher Weise be¬
friedigenden Ergebnis geführt hätte. Dem Schuster stand das "Eigentum an
der Höhle" nur in der Tiefe und Breite zu, in der sein Grundstück sich darüber
erstreckte. Hinter ihm kamen ein dritter, vierter u. f. w. Schopflocher Acker¬
bürger, vielleicht auch einmal deren zwei neben einander; sie alle waren Eigen¬
tümer der ihrem oberirdischen Grundbesitz entsprechenden Höhlenteile. Durch
Richterspruch hätte jedem sei" Höhleiistück zuerkannt werden müssen, nebst dem
Recht, es durch eine Mauer, einen Zaun oder einen Bretterverschlag von
deu Stücken der Nachbarn abzugrenzen, jeder Teileigentümer hätte, mir seines
Besitzes froh werden zu können, einen eignen Stollen anlegen müssen. Diese
Zerstörung der Höhle hätte allerdings auch durch eiuen Vergleich abgewendet
werden können; aber wie hätten hier die Einkünfte verteilt werden sollen? Es
wäre wohl nichts übrig geblieben als eine rein mechanische Verteilung nach
Verhältnis der einem jeden zustehenden Zahl von Quadratmetern Vvdenfläche
oder Knbitmetern Höhleuraum; hätte aber irgend jemand dieses Ergebnis be¬
friedigend genannt?

Gewiß; dieses Ergebnis befriedigt unser Rechtsgefühl nicht. Aber worin
liegt der Grund hierfür? Mancher ist vielleicht gleich bei der Hand mit der
Antwort: er liege in dein überspannten romanistischen Eigentumsbegriff, der
dem Eigentümer eines Grundstücks das Eigentum an einem bis zum Mittel¬
punkt der Erde reichenden Allsschnitt der Erdkugel und an einer bis zum Mond
oder darüber hinausreichenden Luftsäule zuschreibe. Allem mit diesen: Vorwurf
gegen das römische Recht ist für unsre Frage nichts gewonnen. Unter Eigen¬
tum verstehen wir, so gut wie die alten Römer, die volle Herrschaft über eine
Sache bis zu der Befugnis, sie zu vernichten. Ist daher jemand Eigentümer eines
Grnndstttcks, so ist er auch befugt, abwärts und aufwärts darauf zu thun,
was er will, und andern jeden Eingriff in sein Herrschaftsgebiet zu verwehren;


Gu Höhlenprozeß

Erhielten aber die Schopflocher den Nvtweg nicht, so hätten sie ohne Zweifel
den Stollen geballt, und ohne Beschädigung der Höhle wäre es dabei
natürlich nicht abgegangen. Indem nlsv der Vergleich diese Schädigung aus-
schloß, erscheint er verständig. Er entsprach anch der Billigkeit, da es an
einem Maßstab für eine andre als die gleiche Verteilung der Einkünfte fehlte;
konnte Schvpflvch geltend machen, daß der größere Teil der Höhle auf seinem
Gebiet liege, so fiel für Gutenberg der Umstand ins Gewicht, daß es den
Eingang zu ihr besaß.

Allein diese Art der Teilung war wesentlich dadurch ermöglicht, daß die
Gemeinde Schvpflvch als einzige Klägerin aufgetreten war. Nun haben wir
aber gesehen, daß sie nicht aus eignem Recht, sondern ans dem ihr abgetretenen
Recht des Schusters geklagt hatte; und wen» wir das Verhältnis betrachten,
wie es sich gestaltet hätte, wenn der Schuster selbst als Kläger aufgetreten
wäre, so werden wir sinden, daß der Rechtsstreit, auch wenn er dnrch Vergleich
erledigt worden wäre, nicht zu einem das Rechtsgefühl in gleicher Weise be¬
friedigenden Ergebnis geführt hätte. Dem Schuster stand das „Eigentum an
der Höhle" nur in der Tiefe und Breite zu, in der sein Grundstück sich darüber
erstreckte. Hinter ihm kamen ein dritter, vierter u. f. w. Schopflocher Acker¬
bürger, vielleicht auch einmal deren zwei neben einander; sie alle waren Eigen¬
tümer der ihrem oberirdischen Grundbesitz entsprechenden Höhlenteile. Durch
Richterspruch hätte jedem sei» Höhleiistück zuerkannt werden müssen, nebst dem
Recht, es durch eine Mauer, einen Zaun oder einen Bretterverschlag von
deu Stücken der Nachbarn abzugrenzen, jeder Teileigentümer hätte, mir seines
Besitzes froh werden zu können, einen eignen Stollen anlegen müssen. Diese
Zerstörung der Höhle hätte allerdings auch durch eiuen Vergleich abgewendet
werden können; aber wie hätten hier die Einkünfte verteilt werden sollen? Es
wäre wohl nichts übrig geblieben als eine rein mechanische Verteilung nach
Verhältnis der einem jeden zustehenden Zahl von Quadratmetern Vvdenfläche
oder Knbitmetern Höhleuraum; hätte aber irgend jemand dieses Ergebnis be¬
friedigend genannt?

Gewiß; dieses Ergebnis befriedigt unser Rechtsgefühl nicht. Aber worin
liegt der Grund hierfür? Mancher ist vielleicht gleich bei der Hand mit der
Antwort: er liege in dein überspannten romanistischen Eigentumsbegriff, der
dem Eigentümer eines Grundstücks das Eigentum an einem bis zum Mittel¬
punkt der Erde reichenden Allsschnitt der Erdkugel und an einer bis zum Mond
oder darüber hinausreichenden Luftsäule zuschreibe. Allem mit diesen: Vorwurf
gegen das römische Recht ist für unsre Frage nichts gewonnen. Unter Eigen¬
tum verstehen wir, so gut wie die alten Römer, die volle Herrschaft über eine
Sache bis zu der Befugnis, sie zu vernichten. Ist daher jemand Eigentümer eines
Grnndstttcks, so ist er auch befugt, abwärts und aufwärts darauf zu thun,
was er will, und andern jeden Eingriff in sein Herrschaftsgebiet zu verwehren;


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[0270] Gu Höhlenprozeß Erhielten aber die Schopflocher den Nvtweg nicht, so hätten sie ohne Zweifel den Stollen geballt, und ohne Beschädigung der Höhle wäre es dabei natürlich nicht abgegangen. Indem nlsv der Vergleich diese Schädigung aus- schloß, erscheint er verständig. Er entsprach anch der Billigkeit, da es an einem Maßstab für eine andre als die gleiche Verteilung der Einkünfte fehlte; konnte Schvpflvch geltend machen, daß der größere Teil der Höhle auf seinem Gebiet liege, so fiel für Gutenberg der Umstand ins Gewicht, daß es den Eingang zu ihr besaß. Allein diese Art der Teilung war wesentlich dadurch ermöglicht, daß die Gemeinde Schvpflvch als einzige Klägerin aufgetreten war. Nun haben wir aber gesehen, daß sie nicht aus eignem Recht, sondern ans dem ihr abgetretenen Recht des Schusters geklagt hatte; und wen» wir das Verhältnis betrachten, wie es sich gestaltet hätte, wenn der Schuster selbst als Kläger aufgetreten wäre, so werden wir sinden, daß der Rechtsstreit, auch wenn er dnrch Vergleich erledigt worden wäre, nicht zu einem das Rechtsgefühl in gleicher Weise be¬ friedigenden Ergebnis geführt hätte. Dem Schuster stand das „Eigentum an der Höhle" nur in der Tiefe und Breite zu, in der sein Grundstück sich darüber erstreckte. Hinter ihm kamen ein dritter, vierter u. f. w. Schopflocher Acker¬ bürger, vielleicht auch einmal deren zwei neben einander; sie alle waren Eigen¬ tümer der ihrem oberirdischen Grundbesitz entsprechenden Höhlenteile. Durch Richterspruch hätte jedem sei» Höhleiistück zuerkannt werden müssen, nebst dem Recht, es durch eine Mauer, einen Zaun oder einen Bretterverschlag von deu Stücken der Nachbarn abzugrenzen, jeder Teileigentümer hätte, mir seines Besitzes froh werden zu können, einen eignen Stollen anlegen müssen. Diese Zerstörung der Höhle hätte allerdings auch durch eiuen Vergleich abgewendet werden können; aber wie hätten hier die Einkünfte verteilt werden sollen? Es wäre wohl nichts übrig geblieben als eine rein mechanische Verteilung nach Verhältnis der einem jeden zustehenden Zahl von Quadratmetern Vvdenfläche oder Knbitmetern Höhleuraum; hätte aber irgend jemand dieses Ergebnis be¬ friedigend genannt? Gewiß; dieses Ergebnis befriedigt unser Rechtsgefühl nicht. Aber worin liegt der Grund hierfür? Mancher ist vielleicht gleich bei der Hand mit der Antwort: er liege in dein überspannten romanistischen Eigentumsbegriff, der dem Eigentümer eines Grundstücks das Eigentum an einem bis zum Mittel¬ punkt der Erde reichenden Allsschnitt der Erdkugel und an einer bis zum Mond oder darüber hinausreichenden Luftsäule zuschreibe. Allem mit diesen: Vorwurf gegen das römische Recht ist für unsre Frage nichts gewonnen. Unter Eigen¬ tum verstehen wir, so gut wie die alten Römer, die volle Herrschaft über eine Sache bis zu der Befugnis, sie zu vernichten. Ist daher jemand Eigentümer eines Grnndstttcks, so ist er auch befugt, abwärts und aufwärts darauf zu thun, was er will, und andern jeden Eingriff in sein Herrschaftsgebiet zu verwehren;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/270>, abgerufen am 24.07.2024.