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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Lin ^öhlenprozes;

sei "unerfindlich," die Schopflocher könnten ja versuchen, vom eignen Grund
und Boden aus in ihren Höhlenteil zu gelangen. Eine Ausmessung sei unnötig,
die Grenze sei jetzt schon gewiß; man brauche sich nur die oberirdisch vermarkte
Grenze seukrecht vertieft zu denken.

Das Gericht aber entschied: da zugestandenermaßen ein Teil der Höhle
unter Schopflocher Markung liege, Gutenberg aber die Fremden in der ganzen
Höhle herumführe, die ganze Höhle beleuchte und in der ganzen Höhle Bären-
kuochen u. s. w. suche, so liege eine Störung des Schopflocher Besitzes vor,
Schopfloch sei also zu dem Verlange" der einstweiligen Verfügung in Gestalt
der Errichtung eines Zaunes oder einer Mauer berechtigt. Und da es von
Gutenberg uicht schön sei, den Schopflochcrn erst durch das Ministerium den
Stollenban verwehren zu lassen und sie hinterher auf den verbotene" Stollen¬
weg zu verweisen, so habe Gutenberg der Klägerin behufs Errichtung des
Zaunes den Notweg durch seinen Höhleneingang zu gestatte"; die Linie des
Zaunes solle in de" nächste" Tage" durch gerichtliche" Augenschein festgestellt
werde".

Nun herrschte Trauer in Gutenberg. Zunächst zwar machte mau den
Versuch, die Vollziehung der angeordneten Maßregel durch Berufung zu hinter¬
treiben; allein die Berufung gegen eine einstweilige Verfügung hat keine auf¬
schiebende Wirkung, und so blieb es bei der Anordnung des Augenscheins.
Dn in elfter oder eigentlich in zwölfter Stunde -- denn schon hatten Richter
und Anwälte die Reise angetreten -- entschlossen sich die streitenden Gemeinden,
ihreui Vciterlaude den unfeinen Ruhm eines großen Schwabenstreichs in Form
des Höhlenmauerbaus zu ersparen, sie zeigten an, daß sie sich auf gleiche
Teilung der Höhlengelder verglichen hätten, Gerichte und Anwälte wurden
telegraphisch zurückberufe", ""r den Gerichtsschreiber ereilte das Telegramm
uicht, er wanderte das ganze Thal hinauf und genoß fröhlich und arbeitslos
den Anblick der zur Feier des Vergleichs festlich beleuchteten Höhle.

Jedermann wird die Erledigung des Streites befriedigend, den Vergleich
verständig und billig finde". Wäre es nicht dazu gekommen, so konnte das
Gericht nach bestehenden Recht nicht anders, als im Endurteil der Gemeinde
Schopfloch das Eigentum an dem unter ihrer Marüuigsoberfläche gelegenen
Teil der Höhle zusprechen. Auf die Gestaltung des Eingangs für die Schopf¬
locher durch die Gutenberger Höhlenmündung hätte es dagegen in diesem
Urteil schwerlich erkennen können, denn der Anspruch auf einen Notwcg setzt
voraus, daß jemand keinen eignen Zugang zu seinem Eigentum hat; einen
solchen konnte sich aber Schopfloch jederzeit durch Anlegung eines Stollens
verschaffen, der Minister hatte in berechtigter Zurückhaltung kein förmliches
Verbot ausgesprochen, denn er konnte es nicht aussprechen, da zur Zeit kein
Gesetz den Eigentümer eines sei es von Menschenhand oder von der Natur
geschaffenen Kunstwerkes an dessen Beschädigung oder Zerstörung hindert.


Grenzboten II 1891 34
Lin ^öhlenprozes;

sei „unerfindlich," die Schopflocher könnten ja versuchen, vom eignen Grund
und Boden aus in ihren Höhlenteil zu gelangen. Eine Ausmessung sei unnötig,
die Grenze sei jetzt schon gewiß; man brauche sich nur die oberirdisch vermarkte
Grenze seukrecht vertieft zu denken.

Das Gericht aber entschied: da zugestandenermaßen ein Teil der Höhle
unter Schopflocher Markung liege, Gutenberg aber die Fremden in der ganzen
Höhle herumführe, die ganze Höhle beleuchte und in der ganzen Höhle Bären-
kuochen u. s. w. suche, so liege eine Störung des Schopflocher Besitzes vor,
Schopfloch sei also zu dem Verlange» der einstweiligen Verfügung in Gestalt
der Errichtung eines Zaunes oder einer Mauer berechtigt. Und da es von
Gutenberg uicht schön sei, den Schopflochcrn erst durch das Ministerium den
Stollenban verwehren zu lassen und sie hinterher auf den verbotene» Stollen¬
weg zu verweisen, so habe Gutenberg der Klägerin behufs Errichtung des
Zaunes den Notweg durch seinen Höhleneingang zu gestatte»; die Linie des
Zaunes solle in de» nächste» Tage» durch gerichtliche» Augenschein festgestellt
werde».

Nun herrschte Trauer in Gutenberg. Zunächst zwar machte mau den
Versuch, die Vollziehung der angeordneten Maßregel durch Berufung zu hinter¬
treiben; allein die Berufung gegen eine einstweilige Verfügung hat keine auf¬
schiebende Wirkung, und so blieb es bei der Anordnung des Augenscheins.
Dn in elfter oder eigentlich in zwölfter Stunde — denn schon hatten Richter
und Anwälte die Reise angetreten — entschlossen sich die streitenden Gemeinden,
ihreui Vciterlaude den unfeinen Ruhm eines großen Schwabenstreichs in Form
des Höhlenmauerbaus zu ersparen, sie zeigten an, daß sie sich auf gleiche
Teilung der Höhlengelder verglichen hätten, Gerichte und Anwälte wurden
telegraphisch zurückberufe», »»r den Gerichtsschreiber ereilte das Telegramm
uicht, er wanderte das ganze Thal hinauf und genoß fröhlich und arbeitslos
den Anblick der zur Feier des Vergleichs festlich beleuchteten Höhle.

Jedermann wird die Erledigung des Streites befriedigend, den Vergleich
verständig und billig finde». Wäre es nicht dazu gekommen, so konnte das
Gericht nach bestehenden Recht nicht anders, als im Endurteil der Gemeinde
Schopfloch das Eigentum an dem unter ihrer Marüuigsoberfläche gelegenen
Teil der Höhle zusprechen. Auf die Gestaltung des Eingangs für die Schopf¬
locher durch die Gutenberger Höhlenmündung hätte es dagegen in diesem
Urteil schwerlich erkennen können, denn der Anspruch auf einen Notwcg setzt
voraus, daß jemand keinen eignen Zugang zu seinem Eigentum hat; einen
solchen konnte sich aber Schopfloch jederzeit durch Anlegung eines Stollens
verschaffen, der Minister hatte in berechtigter Zurückhaltung kein förmliches
Verbot ausgesprochen, denn er konnte es nicht aussprechen, da zur Zeit kein
Gesetz den Eigentümer eines sei es von Menschenhand oder von der Natur
geschaffenen Kunstwerkes an dessen Beschädigung oder Zerstörung hindert.


Grenzboten II 1891 34
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[0269] Lin ^öhlenprozes; sei „unerfindlich," die Schopflocher könnten ja versuchen, vom eignen Grund und Boden aus in ihren Höhlenteil zu gelangen. Eine Ausmessung sei unnötig, die Grenze sei jetzt schon gewiß; man brauche sich nur die oberirdisch vermarkte Grenze seukrecht vertieft zu denken. Das Gericht aber entschied: da zugestandenermaßen ein Teil der Höhle unter Schopflocher Markung liege, Gutenberg aber die Fremden in der ganzen Höhle herumführe, die ganze Höhle beleuchte und in der ganzen Höhle Bären- kuochen u. s. w. suche, so liege eine Störung des Schopflocher Besitzes vor, Schopfloch sei also zu dem Verlange» der einstweiligen Verfügung in Gestalt der Errichtung eines Zaunes oder einer Mauer berechtigt. Und da es von Gutenberg uicht schön sei, den Schopflochcrn erst durch das Ministerium den Stollenban verwehren zu lassen und sie hinterher auf den verbotene» Stollen¬ weg zu verweisen, so habe Gutenberg der Klägerin behufs Errichtung des Zaunes den Notweg durch seinen Höhleneingang zu gestatte»; die Linie des Zaunes solle in de» nächste» Tage» durch gerichtliche» Augenschein festgestellt werde». Nun herrschte Trauer in Gutenberg. Zunächst zwar machte mau den Versuch, die Vollziehung der angeordneten Maßregel durch Berufung zu hinter¬ treiben; allein die Berufung gegen eine einstweilige Verfügung hat keine auf¬ schiebende Wirkung, und so blieb es bei der Anordnung des Augenscheins. Dn in elfter oder eigentlich in zwölfter Stunde — denn schon hatten Richter und Anwälte die Reise angetreten — entschlossen sich die streitenden Gemeinden, ihreui Vciterlaude den unfeinen Ruhm eines großen Schwabenstreichs in Form des Höhlenmauerbaus zu ersparen, sie zeigten an, daß sie sich auf gleiche Teilung der Höhlengelder verglichen hätten, Gerichte und Anwälte wurden telegraphisch zurückberufe», »»r den Gerichtsschreiber ereilte das Telegramm uicht, er wanderte das ganze Thal hinauf und genoß fröhlich und arbeitslos den Anblick der zur Feier des Vergleichs festlich beleuchteten Höhle. Jedermann wird die Erledigung des Streites befriedigend, den Vergleich verständig und billig finde». Wäre es nicht dazu gekommen, so konnte das Gericht nach bestehenden Recht nicht anders, als im Endurteil der Gemeinde Schopfloch das Eigentum an dem unter ihrer Marüuigsoberfläche gelegenen Teil der Höhle zusprechen. Auf die Gestaltung des Eingangs für die Schopf¬ locher durch die Gutenberger Höhlenmündung hätte es dagegen in diesem Urteil schwerlich erkennen können, denn der Anspruch auf einen Notwcg setzt voraus, daß jemand keinen eignen Zugang zu seinem Eigentum hat; einen solchen konnte sich aber Schopfloch jederzeit durch Anlegung eines Stollens verschaffen, der Minister hatte in berechtigter Zurückhaltung kein förmliches Verbot ausgesprochen, denn er konnte es nicht aussprechen, da zur Zeit kein Gesetz den Eigentümer eines sei es von Menschenhand oder von der Natur geschaffenen Kunstwerkes an dessen Beschädigung oder Zerstörung hindert. Grenzboten II 1891 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/269>, abgerufen am 24.07.2024.