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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Leben und Sitten im Lande der deutschen Barbaren

sie seine Sympathie für ihr Behagen erflehen." Schließlich läßt sich dieser
gnädigst in ein Gespräch mit dem Musikdirektor ein, der ihm nun die Schönheiten
Deutschlands preist und ganz erstaunt ist, daß sich der Franzose herabläßt,
anch manches schön zu finden. "Wir Deutschen, scheint der gute Mann sagen
zu wollen, müssen unser Land bewundern, aber ihr Franzosen würdet doch
sehr thöricht sein, euch diese Pflicht aufzuerlegen."

Unser Sitteufvrscher bereist nun Deutschland nach allen Gegenden hin, und
wir finden ihn in Berlin wieder, wie er im einsamen Zimmer sitzt und tief¬
sinnige Betrachtungen anstellt. "Doch ist es vielleicht nnr das eintönige Ge¬
räusch des an die Fensterscheiben klatschenden Regens, das ihn mit einer un¬
bestimmten Traurigkeit erfüllt, als er sich anschickt, das Deutschland, das er
gesehen, mit dem, das er geträumt hat, zu vergleichen?" Und welche Beob¬
achtungen haben das Mitgefühl des wackern Franzosen so sehr erregt?

Zunächst wird festgestellt, daß die Deutschen linkisch, schwerfällig, daß
sie ein ungeschliffenes, rohes Volk sind, womit er meint, daß ihre fünf
Sinne noch im urwüchsigsten Zustande siud, daß sie noch nicht gelernt haben,
sich ihrer zu bedienen. Die Beweisführung ist nicht schwer. Nehmen wir
zum Beispiel den Geschmacksinn an: die deutsche Küche ist abscheulich, der
Deutsche kaun überhaupt noch nicht essen. Auch ißt er überall. Im Kaffee¬
haus, im Theater, im Museum, selbst auf der Straße kau" man ihn eine
Scheibe Roastbeef verzehren sehen. Viele Familien essen gar nicht zu Hanse,
sondern im Wirtshaus, wo man sich stets um die vollsten Tische setzt. Die
Kellner im fettigen Frack haben niemals Eile, ihre Gäste zu bedienen. Nie¬
mand unterhält sich, sondern "die Männer rauchen ihre Zigarren, die Frauen
sitzen unbeweglich mit gekreuzten Armen vor den schmutzigen Tellern und leeren
Gläsern, und die Kinder schlafen mit dem Kopfe anf dem Tische; um zehn Uhr
wird bezahlt, und man geht nach Hause." Die Teller der besten Restaurants
sind selten rein, der Gebrauch von Tischtüchern und Servietten ist eine Aus¬
nahme. "Sich des Messers zu bedienen, um damit die Speisen an den Mund
zu bringen, ist dagegen in Deutschland fast allgemein Gebrauch." "Der gleiche
Maugel an Geschmack zeigt sich in ihren Getränken." Der Deutsche thut über¬
haupt nichts als Bier trinken. In Kassel beobachtet der Franzose, wie einer
vergebens zehn Mark sür eine Flasche Bier bietet und doch gezwungen wird,
zum Mittagessen Wein zu trinken. Die Zusammenkünfte der Studenten¬
verbindungen haben keinen andern Zweck als Biertrinken, und "das Bier ist
dabei die einzige Form der Strafe, da jedes Vergehen die Verpflichtung nach
sich zieht, eine gewisse Anzahl Schoppen zu leeren." Der Geruchsinn ist bei
den Deutschen ausgeprägter, besonders Patchouli und Moschus sind beliebt.
"Mit besondrer Vorliebe stecken schon kleine zerlumpte Jungen ihre zehn Pfennige
in den Verkaufsautomaten, um sich Eau de Cologne zu verschaffen und damit
Kopf und Hände einzureihen." Wie steht es aber mit dem Gehör? Nun.


Leben und Sitten im Lande der deutschen Barbaren

sie seine Sympathie für ihr Behagen erflehen." Schließlich läßt sich dieser
gnädigst in ein Gespräch mit dem Musikdirektor ein, der ihm nun die Schönheiten
Deutschlands preist und ganz erstaunt ist, daß sich der Franzose herabläßt,
anch manches schön zu finden. „Wir Deutschen, scheint der gute Mann sagen
zu wollen, müssen unser Land bewundern, aber ihr Franzosen würdet doch
sehr thöricht sein, euch diese Pflicht aufzuerlegen."

Unser Sitteufvrscher bereist nun Deutschland nach allen Gegenden hin, und
wir finden ihn in Berlin wieder, wie er im einsamen Zimmer sitzt und tief¬
sinnige Betrachtungen anstellt. „Doch ist es vielleicht nnr das eintönige Ge¬
räusch des an die Fensterscheiben klatschenden Regens, das ihn mit einer un¬
bestimmten Traurigkeit erfüllt, als er sich anschickt, das Deutschland, das er
gesehen, mit dem, das er geträumt hat, zu vergleichen?" Und welche Beob¬
achtungen haben das Mitgefühl des wackern Franzosen so sehr erregt?

Zunächst wird festgestellt, daß die Deutschen linkisch, schwerfällig, daß
sie ein ungeschliffenes, rohes Volk sind, womit er meint, daß ihre fünf
Sinne noch im urwüchsigsten Zustande siud, daß sie noch nicht gelernt haben,
sich ihrer zu bedienen. Die Beweisführung ist nicht schwer. Nehmen wir
zum Beispiel den Geschmacksinn an: die deutsche Küche ist abscheulich, der
Deutsche kaun überhaupt noch nicht essen. Auch ißt er überall. Im Kaffee¬
haus, im Theater, im Museum, selbst auf der Straße kau» man ihn eine
Scheibe Roastbeef verzehren sehen. Viele Familien essen gar nicht zu Hanse,
sondern im Wirtshaus, wo man sich stets um die vollsten Tische setzt. Die
Kellner im fettigen Frack haben niemals Eile, ihre Gäste zu bedienen. Nie¬
mand unterhält sich, sondern „die Männer rauchen ihre Zigarren, die Frauen
sitzen unbeweglich mit gekreuzten Armen vor den schmutzigen Tellern und leeren
Gläsern, und die Kinder schlafen mit dem Kopfe anf dem Tische; um zehn Uhr
wird bezahlt, und man geht nach Hause." Die Teller der besten Restaurants
sind selten rein, der Gebrauch von Tischtüchern und Servietten ist eine Aus¬
nahme. „Sich des Messers zu bedienen, um damit die Speisen an den Mund
zu bringen, ist dagegen in Deutschland fast allgemein Gebrauch." „Der gleiche
Maugel an Geschmack zeigt sich in ihren Getränken." Der Deutsche thut über¬
haupt nichts als Bier trinken. In Kassel beobachtet der Franzose, wie einer
vergebens zehn Mark sür eine Flasche Bier bietet und doch gezwungen wird,
zum Mittagessen Wein zu trinken. Die Zusammenkünfte der Studenten¬
verbindungen haben keinen andern Zweck als Biertrinken, und „das Bier ist
dabei die einzige Form der Strafe, da jedes Vergehen die Verpflichtung nach
sich zieht, eine gewisse Anzahl Schoppen zu leeren." Der Geruchsinn ist bei
den Deutschen ausgeprägter, besonders Patchouli und Moschus sind beliebt.
„Mit besondrer Vorliebe stecken schon kleine zerlumpte Jungen ihre zehn Pfennige
in den Verkaufsautomaten, um sich Eau de Cologne zu verschaffen und damit
Kopf und Hände einzureihen." Wie steht es aber mit dem Gehör? Nun.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/263>, abgerufen am 24.07.2024.