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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiteu

tausendmal bei der Durcharbeitung von Manuskripten das sich heraufgeholt
an die richtige Stelle, und niemals haben die Verfasser, wenn sie die Druck-
korreltur bekamen, etwas davon gemerkt; alle haben sie drüber weggelesen, als
ob sie selber so geschrieben hätten. Der andre Beweis ist der: hundertmal
ist mir in Manuskripten der Fall begegnet, daß der Verfasser bei der ersten
Niederschrift das sich an die richtige Stelle gesetzt, beim Wiederdurchlesen aber
es dort ausgestrichen und dann hinten, unmittelbar vor dem Verbum, hinein¬
geflickt hatte -- niemals das Umgekehrte! Damit ist doch schlagend bewiesen,
daß die Voranstellung des sich das Natürliche ist und das, was jedem, der
unbefangen schreibt, aus der lebendige" Sprache zunächst in die Feder läuft;
erst wenn das Feilen und Drechseln beginnt, dann kommt die Unnatur. Es
liegt aber auch ein Beweis in der Sache selbst. Man könnte zwar meinen,
es sei doch im Gegenteil unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum
zu trennen und so weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber
diese Trennung ist der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das Wesentliche
ist ihr die enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen
werden kann: die Verbindung nämlich mit dem voranstehenden andern Pro¬
nomen oder mit der Konjunktion (der sich, wenn sich u. s. w.). Diese Ver¬
bindung ist der lebendigen Sprache offenbar wichtiger, als die mit dem Verbum,
denn durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen, während
er ans die andre Weise anseinanderzufallen droht. Wenn ich das sich un¬
mittelbar nach da, wo, wenn bringe, so weiß der Hörer schon, daß um Ende
des Satzes ein reflexives Verbum folgen wird, die Hälfte des Verbalbegriffs
klingt ihm gleichsam schon im Ohre. Daß sich ans diese Weise der Satz fester
zusammenschließt, als auf die andre, liegt doch ans der Hand. Wenn einer
mit wenn oder daß anfängt und erst, nachdem er zwanzig oder dreißig Worte
dazwischen geschoben hat, endlich mit sich begab oder sich befindet schließt,
so möchte ich ihn immer fragen: So viel Zeit hast du gebraucht, dich auf das
Verbum zu besinnen? dich zu besinnen, daß du ein Vsrbmn rslloxivuni
brauchen willst?

Es ist aber, wie gesagt, keineswegs bloß das sich, das jetzt in dieser
Weise verstellt wird, es geschieht das mit dem reflexiven Fürwort überhaupt. Man
schreibt auch: darüber gedenke ich ^j später einmal in diesen Blättern mich
auszulassen -- daß wir > j in unsern nationalen Lebensformen ungehindert
uns entwickeln können u. s. w.; ja die Krankheit hat sich noch viel weiter
verbreitet, sie hat schon das ganze persönliche Fürwort angesteckt! Auch dn
heißt es: wenn auch der Zar den Frieden will, so will > j doch sein Volk
ihn uicht -- er würde >j gewiß auch diesmal nicht ohne Not sie warten
lassen -- er berichtete gewissenhaft die Geschichte, wie ^ j sein alter Schul¬
kamerad sie ihm erzählt hatte -- auf keinem andern Gebiete findet man so
erbitterte gegenseitige Verlästerung, wie ^ j die verschiednen stenographischen'


Grenzbowiit189 t 82
Allerhand Sprachdummheiteu

tausendmal bei der Durcharbeitung von Manuskripten das sich heraufgeholt
an die richtige Stelle, und niemals haben die Verfasser, wenn sie die Druck-
korreltur bekamen, etwas davon gemerkt; alle haben sie drüber weggelesen, als
ob sie selber so geschrieben hätten. Der andre Beweis ist der: hundertmal
ist mir in Manuskripten der Fall begegnet, daß der Verfasser bei der ersten
Niederschrift das sich an die richtige Stelle gesetzt, beim Wiederdurchlesen aber
es dort ausgestrichen und dann hinten, unmittelbar vor dem Verbum, hinein¬
geflickt hatte — niemals das Umgekehrte! Damit ist doch schlagend bewiesen,
daß die Voranstellung des sich das Natürliche ist und das, was jedem, der
unbefangen schreibt, aus der lebendige» Sprache zunächst in die Feder läuft;
erst wenn das Feilen und Drechseln beginnt, dann kommt die Unnatur. Es
liegt aber auch ein Beweis in der Sache selbst. Man könnte zwar meinen,
es sei doch im Gegenteil unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum
zu trennen und so weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber
diese Trennung ist der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das Wesentliche
ist ihr die enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen
werden kann: die Verbindung nämlich mit dem voranstehenden andern Pro¬
nomen oder mit der Konjunktion (der sich, wenn sich u. s. w.). Diese Ver¬
bindung ist der lebendigen Sprache offenbar wichtiger, als die mit dem Verbum,
denn durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen, während
er ans die andre Weise anseinanderzufallen droht. Wenn ich das sich un¬
mittelbar nach da, wo, wenn bringe, so weiß der Hörer schon, daß um Ende
des Satzes ein reflexives Verbum folgen wird, die Hälfte des Verbalbegriffs
klingt ihm gleichsam schon im Ohre. Daß sich ans diese Weise der Satz fester
zusammenschließt, als auf die andre, liegt doch ans der Hand. Wenn einer
mit wenn oder daß anfängt und erst, nachdem er zwanzig oder dreißig Worte
dazwischen geschoben hat, endlich mit sich begab oder sich befindet schließt,
so möchte ich ihn immer fragen: So viel Zeit hast du gebraucht, dich auf das
Verbum zu besinnen? dich zu besinnen, daß du ein Vsrbmn rslloxivuni
brauchen willst?

Es ist aber, wie gesagt, keineswegs bloß das sich, das jetzt in dieser
Weise verstellt wird, es geschieht das mit dem reflexiven Fürwort überhaupt. Man
schreibt auch: darüber gedenke ich ^j später einmal in diesen Blättern mich
auszulassen — daß wir > j in unsern nationalen Lebensformen ungehindert
uns entwickeln können u. s. w.; ja die Krankheit hat sich noch viel weiter
verbreitet, sie hat schon das ganze persönliche Fürwort angesteckt! Auch dn
heißt es: wenn auch der Zar den Frieden will, so will > j doch sein Volk
ihn uicht — er würde >j gewiß auch diesmal nicht ohne Not sie warten
lassen — er berichtete gewissenhaft die Geschichte, wie ^ j sein alter Schul¬
kamerad sie ihm erzählt hatte — auf keinem andern Gebiete findet man so
erbitterte gegenseitige Verlästerung, wie ^ j die verschiednen stenographischen'


Grenzbowiit189 t 82
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[0253] Allerhand Sprachdummheiteu tausendmal bei der Durcharbeitung von Manuskripten das sich heraufgeholt an die richtige Stelle, und niemals haben die Verfasser, wenn sie die Druck- korreltur bekamen, etwas davon gemerkt; alle haben sie drüber weggelesen, als ob sie selber so geschrieben hätten. Der andre Beweis ist der: hundertmal ist mir in Manuskripten der Fall begegnet, daß der Verfasser bei der ersten Niederschrift das sich an die richtige Stelle gesetzt, beim Wiederdurchlesen aber es dort ausgestrichen und dann hinten, unmittelbar vor dem Verbum, hinein¬ geflickt hatte — niemals das Umgekehrte! Damit ist doch schlagend bewiesen, daß die Voranstellung des sich das Natürliche ist und das, was jedem, der unbefangen schreibt, aus der lebendige» Sprache zunächst in die Feder läuft; erst wenn das Feilen und Drechseln beginnt, dann kommt die Unnatur. Es liegt aber auch ein Beweis in der Sache selbst. Man könnte zwar meinen, es sei doch im Gegenteil unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum zu trennen und so weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber diese Trennung ist der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das Wesentliche ist ihr die enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen werden kann: die Verbindung nämlich mit dem voranstehenden andern Pro¬ nomen oder mit der Konjunktion (der sich, wenn sich u. s. w.). Diese Ver¬ bindung ist der lebendigen Sprache offenbar wichtiger, als die mit dem Verbum, denn durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen, während er ans die andre Weise anseinanderzufallen droht. Wenn ich das sich un¬ mittelbar nach da, wo, wenn bringe, so weiß der Hörer schon, daß um Ende des Satzes ein reflexives Verbum folgen wird, die Hälfte des Verbalbegriffs klingt ihm gleichsam schon im Ohre. Daß sich ans diese Weise der Satz fester zusammenschließt, als auf die andre, liegt doch ans der Hand. Wenn einer mit wenn oder daß anfängt und erst, nachdem er zwanzig oder dreißig Worte dazwischen geschoben hat, endlich mit sich begab oder sich befindet schließt, so möchte ich ihn immer fragen: So viel Zeit hast du gebraucht, dich auf das Verbum zu besinnen? dich zu besinnen, daß du ein Vsrbmn rslloxivuni brauchen willst? Es ist aber, wie gesagt, keineswegs bloß das sich, das jetzt in dieser Weise verstellt wird, es geschieht das mit dem reflexiven Fürwort überhaupt. Man schreibt auch: darüber gedenke ich ^j später einmal in diesen Blättern mich auszulassen — daß wir > j in unsern nationalen Lebensformen ungehindert uns entwickeln können u. s. w.; ja die Krankheit hat sich noch viel weiter verbreitet, sie hat schon das ganze persönliche Fürwort angesteckt! Auch dn heißt es: wenn auch der Zar den Frieden will, so will > j doch sein Volk ihn uicht — er würde >j gewiß auch diesmal nicht ohne Not sie warten lassen — er berichtete gewissenhaft die Geschichte, wie ^ j sein alter Schul¬ kamerad sie ihm erzählt hatte — auf keinem andern Gebiete findet man so erbitterte gegenseitige Verlästerung, wie ^ j die verschiednen stenographischen' Grenzbowiit189 t 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/253>, abgerufen am 24.07.2024.