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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zur neuen Faustphilologie

spukte oder arbeitete, etwas wäre, könnte mau vielleicht jetzt uoch Goethen
selber frage". Schade! Freilich, seine Antwort wäre vielleicht eine herbe Ent¬
täuschung, ein lachendes "Ach, das ist jn ganz einerlei, seid doch nicht solche
Schneesieber!" Ja, so konnte wohl Goethe die Frage schließen, aber quoä
liest ,7ovi, mein liest, ovvi, die Faustphilologie kauu die Frage uicht so von der
Hand schlucken. Sehe sie also, wie sie damit zurecht kommt. Und eigner¬
weise schließt auch das ganze Werk mit einer metrischen Schwierigkeit, die an
die Wissenschaft eine harte Frage stellt. Ist in den Schlußzeilen: Das Ewig-
Weibliche u. f. w. der erste und Haupttor auf Das zu legen? Kann den der
Artikel tragen? Die Frage liegt auch für die zwei Zeilen: Das Unzulängliche
und Das Unbeschreibliche vor und ist eigentlich aufgegeben durch die erste Zeile
des ganzen oliorns rnMiou8: Alles Vergängliche u. f. w., wo der Rhythmus
außer Zweifel ist. Es ist wirklich verdrießlich, daß das einzigartige Werk uns
so mit einer mißlichen Frage der Kunstform entläßt, wie es uns damit em¬
pfängt. Es wird eben eine Faustmetrik nötig sein, die auch sonst noch genug
zu thun fände.

Aber gerade die Schlußworte geben eine noch weit wichtigere Frage auf:


Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan --

die berühmten hohen, wundersamen Worte, die gewissermaßen als letztes Ver¬
mächtnis des Dichters all die Menschheit erklingen, zugleich als die Summe
seines eignen Lebens, diese Worte, die wie aus dem Munde eines gottgeweihten
Weisen die Vollendung alles Lebens in seinein Ziele aussprechen -- sie lassen
doch die Frage übrig: Uns, die Männer -- was wird denn da mit den Frauen?
Hat denn nicht schon einmal wenigstens eine Frau gefragt: Wer zieht denn
uns hinan? Denn daß alle Frauen uns voraus schon oben wären, um den
Zug für uns Männer zu bewerkstelligen, denke man sich nnn den Vor¬
gang im Jenseits oder schon, mehr goethisch, im Diesseits, das wird auch von
ihnen keine behaupten, ja wohl keine Einzelne von sich selbst. Das zu em¬
pfinden und auszusprechen bleibt dem Manne vorbehalten, wie es denn Goethe
oft gethan hat in seinen Frauengestalten, wie Iphigenie, Eugenie, Makarie,
die allerdings wie nach oben ziehende Gestirne glänzen. Wie dem aber auch
sei, und was fiir Geheimnisse der Weltordnung da auch ius Spiel kommen
mögen, denen der Dichter leichter auf die Spur kommen wird, als der Denker
vom Fach: im Schlußergebnisse von Goethes Weltgedicht kommen die Frauen
zu kurz weg, als wären sie selbst vergessen über dem Ewig-Weiblichen, das ja
das über die Einzelnen Hinanssteigende Absolute ist, gleichsam die Weibsen an
sich, die reine Weibsen. Also? Auch die Frauen brauchten einen Faust, der
so austiefe:


Das Ewig-Männliche
Zieht uns hinan.

Zur neuen Faustphilologie

spukte oder arbeitete, etwas wäre, könnte mau vielleicht jetzt uoch Goethen
selber frage». Schade! Freilich, seine Antwort wäre vielleicht eine herbe Ent¬
täuschung, ein lachendes „Ach, das ist jn ganz einerlei, seid doch nicht solche
Schneesieber!" Ja, so konnte wohl Goethe die Frage schließen, aber quoä
liest ,7ovi, mein liest, ovvi, die Faustphilologie kauu die Frage uicht so von der
Hand schlucken. Sehe sie also, wie sie damit zurecht kommt. Und eigner¬
weise schließt auch das ganze Werk mit einer metrischen Schwierigkeit, die an
die Wissenschaft eine harte Frage stellt. Ist in den Schlußzeilen: Das Ewig-
Weibliche u. f. w. der erste und Haupttor auf Das zu legen? Kann den der
Artikel tragen? Die Frage liegt auch für die zwei Zeilen: Das Unzulängliche
und Das Unbeschreibliche vor und ist eigentlich aufgegeben durch die erste Zeile
des ganzen oliorns rnMiou8: Alles Vergängliche u. f. w., wo der Rhythmus
außer Zweifel ist. Es ist wirklich verdrießlich, daß das einzigartige Werk uns
so mit einer mißlichen Frage der Kunstform entläßt, wie es uns damit em¬
pfängt. Es wird eben eine Faustmetrik nötig sein, die auch sonst noch genug
zu thun fände.

Aber gerade die Schlußworte geben eine noch weit wichtigere Frage auf:


Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan —

die berühmten hohen, wundersamen Worte, die gewissermaßen als letztes Ver¬
mächtnis des Dichters all die Menschheit erklingen, zugleich als die Summe
seines eignen Lebens, diese Worte, die wie aus dem Munde eines gottgeweihten
Weisen die Vollendung alles Lebens in seinein Ziele aussprechen — sie lassen
doch die Frage übrig: Uns, die Männer — was wird denn da mit den Frauen?
Hat denn nicht schon einmal wenigstens eine Frau gefragt: Wer zieht denn
uns hinan? Denn daß alle Frauen uns voraus schon oben wären, um den
Zug für uns Männer zu bewerkstelligen, denke man sich nnn den Vor¬
gang im Jenseits oder schon, mehr goethisch, im Diesseits, das wird auch von
ihnen keine behaupten, ja wohl keine Einzelne von sich selbst. Das zu em¬
pfinden und auszusprechen bleibt dem Manne vorbehalten, wie es denn Goethe
oft gethan hat in seinen Frauengestalten, wie Iphigenie, Eugenie, Makarie,
die allerdings wie nach oben ziehende Gestirne glänzen. Wie dem aber auch
sei, und was fiir Geheimnisse der Weltordnung da auch ius Spiel kommen
mögen, denen der Dichter leichter auf die Spur kommen wird, als der Denker
vom Fach: im Schlußergebnisse von Goethes Weltgedicht kommen die Frauen
zu kurz weg, als wären sie selbst vergessen über dem Ewig-Weiblichen, das ja
das über die Einzelnen Hinanssteigende Absolute ist, gleichsam die Weibsen an
sich, die reine Weibsen. Also? Auch die Frauen brauchten einen Faust, der
so austiefe:


Das Ewig-Männliche
Zieht uns hinan.

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[0244] Zur neuen Faustphilologie spukte oder arbeitete, etwas wäre, könnte mau vielleicht jetzt uoch Goethen selber frage». Schade! Freilich, seine Antwort wäre vielleicht eine herbe Ent¬ täuschung, ein lachendes „Ach, das ist jn ganz einerlei, seid doch nicht solche Schneesieber!" Ja, so konnte wohl Goethe die Frage schließen, aber quoä liest ,7ovi, mein liest, ovvi, die Faustphilologie kauu die Frage uicht so von der Hand schlucken. Sehe sie also, wie sie damit zurecht kommt. Und eigner¬ weise schließt auch das ganze Werk mit einer metrischen Schwierigkeit, die an die Wissenschaft eine harte Frage stellt. Ist in den Schlußzeilen: Das Ewig- Weibliche u. f. w. der erste und Haupttor auf Das zu legen? Kann den der Artikel tragen? Die Frage liegt auch für die zwei Zeilen: Das Unzulängliche und Das Unbeschreibliche vor und ist eigentlich aufgegeben durch die erste Zeile des ganzen oliorns rnMiou8: Alles Vergängliche u. f. w., wo der Rhythmus außer Zweifel ist. Es ist wirklich verdrießlich, daß das einzigartige Werk uns so mit einer mißlichen Frage der Kunstform entläßt, wie es uns damit em¬ pfängt. Es wird eben eine Faustmetrik nötig sein, die auch sonst noch genug zu thun fände. Aber gerade die Schlußworte geben eine noch weit wichtigere Frage auf: Das Ewig-Weibliche Zieht uns hinan — die berühmten hohen, wundersamen Worte, die gewissermaßen als letztes Ver¬ mächtnis des Dichters all die Menschheit erklingen, zugleich als die Summe seines eignen Lebens, diese Worte, die wie aus dem Munde eines gottgeweihten Weisen die Vollendung alles Lebens in seinein Ziele aussprechen — sie lassen doch die Frage übrig: Uns, die Männer — was wird denn da mit den Frauen? Hat denn nicht schon einmal wenigstens eine Frau gefragt: Wer zieht denn uns hinan? Denn daß alle Frauen uns voraus schon oben wären, um den Zug für uns Männer zu bewerkstelligen, denke man sich nnn den Vor¬ gang im Jenseits oder schon, mehr goethisch, im Diesseits, das wird auch von ihnen keine behaupten, ja wohl keine Einzelne von sich selbst. Das zu em¬ pfinden und auszusprechen bleibt dem Manne vorbehalten, wie es denn Goethe oft gethan hat in seinen Frauengestalten, wie Iphigenie, Eugenie, Makarie, die allerdings wie nach oben ziehende Gestirne glänzen. Wie dem aber auch sei, und was fiir Geheimnisse der Weltordnung da auch ius Spiel kommen mögen, denen der Dichter leichter auf die Spur kommen wird, als der Denker vom Fach: im Schlußergebnisse von Goethes Weltgedicht kommen die Frauen zu kurz weg, als wären sie selbst vergessen über dem Ewig-Weiblichen, das ja das über die Einzelnen Hinanssteigende Absolute ist, gleichsam die Weibsen an sich, die reine Weibsen. Also? Auch die Frauen brauchten einen Faust, der so austiefe: Das Ewig-Männliche Zieht uns hinan.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/244>, abgerufen am 24.07.2024.