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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Das mittelalterliche Sektenwesen

besser darauf, einen stattlichen Kirchenbau aufzuführen, eine Musterwirtschaft
einzurichten, einen feinen Wein zu ziehen und zu würdigen, als einen Trug¬
schluß zu lösen. Die Scholastiker blieben gleich den MetaPhysikern heutiger
Zeit mit ihren Spitzfindigkeiten unter sich, und die häretischen unter ihnen,
wie Berengarius von Tours und Abälard, brachte" keine Bewegung im Volke
hervor, obwohl selbstverständlich auch ihre Gedankenarbeit nicht ohne alle Ein¬
wirkung auf deu Volksgeist blieb.

Desto stärker machte sich eine andre sektenbildende Kraft bemerkbar, ob¬
gleich sie eigentlich ebenfalls metaphysischer Art und uoch uueuropäischer als
die vorige ist. Es war dies das Grübeln nach dem Ursprunge des Übels in
der Welt. Der griechische Geist war zu heiter, um die Frage anders als nur
gelegentlich einmal auszuwerfen, und der altrömische wie der echtgermanische
ist immer mit Goethe der Ansicht gewesen, daß wir nicht in die Welt gesetzt
worden sind, um über sie zu grübeln, sondern um in ihr zu wirke" und sie
zu benutzen. Die Ebben lasse ich so wenig als echt deutsch gelten wie die
Grübeleien unsrer heutigen Philosophen. Jene sind im nebeligen, kalten
Island aufgeschrieben und uoch dazu mitten in der christlichen Zeit, diese
aber sind das Erzeugnis einer Überkultur, an der alle modernen Völker
gleichmäßig beteiligt sind. Wer echtes Deutschtum kennen lernen will, der muß
zu unsern Bauern gehen, in Gegenden, wo es noch unverfälschte giebt, oder
zu Luther, nicht dem Theologen Luther, sondern dem Volksmaune Luther, oder
muß die alten Chroniken lesen, deutsche wie lateinische, denn die ohne Umstände
für deu deutscheu Hausbedarf zurecht gemachte lateinische Sprache verhüllt deu
deutscheu Charakter nicht im mindesten Niemals, sagt Giesebrecht von der
Zeit der Ottonen, ist bei uns weniger in deutscher Sprache und mehr in
deutschem Geiste geschrieben worden. Die Dichter stehen teilweise unter fran¬
zösischem Einfluß. Also kurz: ursprünglich war weder der Grieche noch der
Römer noch der Deutsche aufgelegt, sich in Grübeleien über den Ursprung des
Vösen zu verlieren, und der Romane, der sehr zur Heiterkeit und el" wenig
zur Liederlichkeit neigte, ebenso wenig. Aber das Christentum leitete diese
Völker dazu an.

Zudem es zu eiuer tiefern nud ernster" Auffassung des Lebens zwang,
ja den Begriff des sittlichen Übels, des Bösen, eigentlich erst ins Volksleben
einführte, bahnte es zugleich jener düstern Ausgeburt orientalischen Tiefsiuus,
dem Manichäismus, den Weg ins Abendland. Da wir hier nicht Theologie
treiben, so lassen wir uus auf die Frage nicht ein, wie weit das Neue
Testament selbst gnostische Elemente enthalten möge, die dem Manichäismus
verschwistert sind. Aber wie gefährlich das sonst so himmlisch schöne und
zugleich gewaltige vierte Evangelium in dieser Hinsicht ist, das kann keinem
verständigen Bibelleser entgehen. Es ist schwierig, dualistische Folgerungen
abzuwehren, wenn mau hier liest, wie Christus die Juden als Tenfelssöhne


Das mittelalterliche Sektenwesen

besser darauf, einen stattlichen Kirchenbau aufzuführen, eine Musterwirtschaft
einzurichten, einen feinen Wein zu ziehen und zu würdigen, als einen Trug¬
schluß zu lösen. Die Scholastiker blieben gleich den MetaPhysikern heutiger
Zeit mit ihren Spitzfindigkeiten unter sich, und die häretischen unter ihnen,
wie Berengarius von Tours und Abälard, brachte» keine Bewegung im Volke
hervor, obwohl selbstverständlich auch ihre Gedankenarbeit nicht ohne alle Ein¬
wirkung auf deu Volksgeist blieb.

Desto stärker machte sich eine andre sektenbildende Kraft bemerkbar, ob¬
gleich sie eigentlich ebenfalls metaphysischer Art und uoch uueuropäischer als
die vorige ist. Es war dies das Grübeln nach dem Ursprunge des Übels in
der Welt. Der griechische Geist war zu heiter, um die Frage anders als nur
gelegentlich einmal auszuwerfen, und der altrömische wie der echtgermanische
ist immer mit Goethe der Ansicht gewesen, daß wir nicht in die Welt gesetzt
worden sind, um über sie zu grübeln, sondern um in ihr zu wirke» und sie
zu benutzen. Die Ebben lasse ich so wenig als echt deutsch gelten wie die
Grübeleien unsrer heutigen Philosophen. Jene sind im nebeligen, kalten
Island aufgeschrieben und uoch dazu mitten in der christlichen Zeit, diese
aber sind das Erzeugnis einer Überkultur, an der alle modernen Völker
gleichmäßig beteiligt sind. Wer echtes Deutschtum kennen lernen will, der muß
zu unsern Bauern gehen, in Gegenden, wo es noch unverfälschte giebt, oder
zu Luther, nicht dem Theologen Luther, sondern dem Volksmaune Luther, oder
muß die alten Chroniken lesen, deutsche wie lateinische, denn die ohne Umstände
für deu deutscheu Hausbedarf zurecht gemachte lateinische Sprache verhüllt deu
deutscheu Charakter nicht im mindesten Niemals, sagt Giesebrecht von der
Zeit der Ottonen, ist bei uns weniger in deutscher Sprache und mehr in
deutschem Geiste geschrieben worden. Die Dichter stehen teilweise unter fran¬
zösischem Einfluß. Also kurz: ursprünglich war weder der Grieche noch der
Römer noch der Deutsche aufgelegt, sich in Grübeleien über den Ursprung des
Vösen zu verlieren, und der Romane, der sehr zur Heiterkeit und el» wenig
zur Liederlichkeit neigte, ebenso wenig. Aber das Christentum leitete diese
Völker dazu an.

Zudem es zu eiuer tiefern nud ernster» Auffassung des Lebens zwang,
ja den Begriff des sittlichen Übels, des Bösen, eigentlich erst ins Volksleben
einführte, bahnte es zugleich jener düstern Ausgeburt orientalischen Tiefsiuus,
dem Manichäismus, den Weg ins Abendland. Da wir hier nicht Theologie
treiben, so lassen wir uus auf die Frage nicht ein, wie weit das Neue
Testament selbst gnostische Elemente enthalten möge, die dem Manichäismus
verschwistert sind. Aber wie gefährlich das sonst so himmlisch schöne und
zugleich gewaltige vierte Evangelium in dieser Hinsicht ist, das kann keinem
verständigen Bibelleser entgehen. Es ist schwierig, dualistische Folgerungen
abzuwehren, wenn mau hier liest, wie Christus die Juden als Tenfelssöhne


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[0236] Das mittelalterliche Sektenwesen besser darauf, einen stattlichen Kirchenbau aufzuführen, eine Musterwirtschaft einzurichten, einen feinen Wein zu ziehen und zu würdigen, als einen Trug¬ schluß zu lösen. Die Scholastiker blieben gleich den MetaPhysikern heutiger Zeit mit ihren Spitzfindigkeiten unter sich, und die häretischen unter ihnen, wie Berengarius von Tours und Abälard, brachte» keine Bewegung im Volke hervor, obwohl selbstverständlich auch ihre Gedankenarbeit nicht ohne alle Ein¬ wirkung auf deu Volksgeist blieb. Desto stärker machte sich eine andre sektenbildende Kraft bemerkbar, ob¬ gleich sie eigentlich ebenfalls metaphysischer Art und uoch uueuropäischer als die vorige ist. Es war dies das Grübeln nach dem Ursprunge des Übels in der Welt. Der griechische Geist war zu heiter, um die Frage anders als nur gelegentlich einmal auszuwerfen, und der altrömische wie der echtgermanische ist immer mit Goethe der Ansicht gewesen, daß wir nicht in die Welt gesetzt worden sind, um über sie zu grübeln, sondern um in ihr zu wirke» und sie zu benutzen. Die Ebben lasse ich so wenig als echt deutsch gelten wie die Grübeleien unsrer heutigen Philosophen. Jene sind im nebeligen, kalten Island aufgeschrieben und uoch dazu mitten in der christlichen Zeit, diese aber sind das Erzeugnis einer Überkultur, an der alle modernen Völker gleichmäßig beteiligt sind. Wer echtes Deutschtum kennen lernen will, der muß zu unsern Bauern gehen, in Gegenden, wo es noch unverfälschte giebt, oder zu Luther, nicht dem Theologen Luther, sondern dem Volksmaune Luther, oder muß die alten Chroniken lesen, deutsche wie lateinische, denn die ohne Umstände für deu deutscheu Hausbedarf zurecht gemachte lateinische Sprache verhüllt deu deutscheu Charakter nicht im mindesten Niemals, sagt Giesebrecht von der Zeit der Ottonen, ist bei uns weniger in deutscher Sprache und mehr in deutschem Geiste geschrieben worden. Die Dichter stehen teilweise unter fran¬ zösischem Einfluß. Also kurz: ursprünglich war weder der Grieche noch der Römer noch der Deutsche aufgelegt, sich in Grübeleien über den Ursprung des Vösen zu verlieren, und der Romane, der sehr zur Heiterkeit und el» wenig zur Liederlichkeit neigte, ebenso wenig. Aber das Christentum leitete diese Völker dazu an. Zudem es zu eiuer tiefern nud ernster» Auffassung des Lebens zwang, ja den Begriff des sittlichen Übels, des Bösen, eigentlich erst ins Volksleben einführte, bahnte es zugleich jener düstern Ausgeburt orientalischen Tiefsiuus, dem Manichäismus, den Weg ins Abendland. Da wir hier nicht Theologie treiben, so lassen wir uus auf die Frage nicht ein, wie weit das Neue Testament selbst gnostische Elemente enthalten möge, die dem Manichäismus verschwistert sind. Aber wie gefährlich das sonst so himmlisch schöne und zugleich gewaltige vierte Evangelium in dieser Hinsicht ist, das kann keinem verständigen Bibelleser entgehen. Es ist schwierig, dualistische Folgerungen abzuwehren, wenn mau hier liest, wie Christus die Juden als Tenfelssöhne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/236>, abgerufen am 24.07.2024.