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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Das mittelalterliche Sektemvcsen

Gelübde schönes eingetragen haben. Daher denn anch jeder Orden seine eignen
Neformationskämpfe mit Spaltungen und Absplitterungen, zuweilen auch Sekten¬
bildungen und Konkurrenzgründuugen erlebt. Solche Orden und Sekten, die
sich an die Idee der Armut anklammern und sie, wie sie ist, nackt und körperlos
verwirklichen wollen (was ein Unding ist, denn alles Wirkliche ist hienieden
körperlich oder wirkt doch nur durch Körperliches), die verfallen in Schwärmerei,
in eine mit der bürgerlichen Ordnung unvereinbare Lebensweise, auch wohl
in kommunistische Umsturzbestrebnngen. Mit der Idee der Armut findet sich
meist die der Keuschheit eng verknüpft. "Eben die enorme Liederlichkeit der
!dem Feudaladel angehörigen^ hohen Geistlichkeit ^Oberitaliensj war es, die
gerade in dieser Zeit Gurker Gregor VH.j die Lehre von der Keuschheit zu
einem Hauptinteresse machte" (Leo, Geschichte der italienischen Staaten I, 402).

Ähnlich ging es mit der Idee der unsichtbaren Kirche. Es ist richtig,
daß Christus an die Stelle jener jüdischen Priestersynagvge, deren Mitglied
man durch Geburt und durch Zeremonie,? wurde, eine Geistes- und Glaubens¬
gemeinschaft, eine Gemeinschaft der Gläubigen und Heiligen gesetzt hat. Aber
um auf Erden wirksam, ja auch nur wirklich zu werden, blieb dieser Gemein¬
schaft der Heiligen doch wiederum nichts übrig, als einerseits für ihre Mit¬
glieder sowohl wie für ihre Vorsteher -- denn solche konnten nicht entbehrt
werden -- äußerliche Erkennungszeichen festzusetzen, anderseits auch Arsenige
in ihrem Schoße zu dulden. Ist es doch gar nicht möglich, die Heiligen von
den Unheiligen mit Sicherheit zu unterscheiden. Je mehr um die letztern
überHand nahmen und sich gerade in die Vorstcherümtcr eindrängten, desto
dringender mußte der Ruf nach Wiederherstellung der Gemeinde der Heiligen
werden. Aber jede unter dieser Losung gegründete Sondergemeinschaft sah
sich sehr bald vor die Wahl gestellt, ob sie sich zu den vielgeschmähten Äußer¬
lichkeiten, zur Annahme von kirchlichen Gebräuchen und festen Verfassungs-
formen bequemen, oder sich auflöse", oder in einen Narreilhaufen ausarten
wollte.

Zu dieser Hanptursache der Sektenbildung gesellen sich noch zwei andre.
Die eine, das spekulative Bedürfnis, können wir kurz abfertigen, da sie nur
im Morgenlande eine große Rolle gespielt hat, uicht aber bei uns. Der Hang
der hellenistischen Welt (die von der hellenischen wohl zu unterscheiden ist) zur
Dialektik und zu Wortgefechten, der so weit ging, daß sich in Alexandrien
sogar die Marktweiber über Z^oc-ni^g und o^.o^umczz stritten, ist der rvmisch-
germauischen Welt fremd. Diese ist namentlich im Mittelalter durchaus von
praktische,, Interessen (praktisch ist ja nicht gleichbedeutend mit materiell) bewegt
worden, und der hohe Klerus war gar uicht einmal gelehrt genug, um sich
auf die Erörterung theologischer Fragen verlegen zu können. Und vollends Rom
war, wie es Gregorovius ausdrückt, das ganze Mittelalter hindurch der
negative Mittelpunkt der Gelehrsamkeit. Auch die Mönche verstanden sich


Das mittelalterliche Sektemvcsen

Gelübde schönes eingetragen haben. Daher denn anch jeder Orden seine eignen
Neformationskämpfe mit Spaltungen und Absplitterungen, zuweilen auch Sekten¬
bildungen und Konkurrenzgründuugen erlebt. Solche Orden und Sekten, die
sich an die Idee der Armut anklammern und sie, wie sie ist, nackt und körperlos
verwirklichen wollen (was ein Unding ist, denn alles Wirkliche ist hienieden
körperlich oder wirkt doch nur durch Körperliches), die verfallen in Schwärmerei,
in eine mit der bürgerlichen Ordnung unvereinbare Lebensweise, auch wohl
in kommunistische Umsturzbestrebnngen. Mit der Idee der Armut findet sich
meist die der Keuschheit eng verknüpft. „Eben die enorme Liederlichkeit der
!dem Feudaladel angehörigen^ hohen Geistlichkeit ^Oberitaliensj war es, die
gerade in dieser Zeit Gurker Gregor VH.j die Lehre von der Keuschheit zu
einem Hauptinteresse machte" (Leo, Geschichte der italienischen Staaten I, 402).

Ähnlich ging es mit der Idee der unsichtbaren Kirche. Es ist richtig,
daß Christus an die Stelle jener jüdischen Priestersynagvge, deren Mitglied
man durch Geburt und durch Zeremonie,? wurde, eine Geistes- und Glaubens¬
gemeinschaft, eine Gemeinschaft der Gläubigen und Heiligen gesetzt hat. Aber
um auf Erden wirksam, ja auch nur wirklich zu werden, blieb dieser Gemein¬
schaft der Heiligen doch wiederum nichts übrig, als einerseits für ihre Mit¬
glieder sowohl wie für ihre Vorsteher — denn solche konnten nicht entbehrt
werden — äußerliche Erkennungszeichen festzusetzen, anderseits auch Arsenige
in ihrem Schoße zu dulden. Ist es doch gar nicht möglich, die Heiligen von
den Unheiligen mit Sicherheit zu unterscheiden. Je mehr um die letztern
überHand nahmen und sich gerade in die Vorstcherümtcr eindrängten, desto
dringender mußte der Ruf nach Wiederherstellung der Gemeinde der Heiligen
werden. Aber jede unter dieser Losung gegründete Sondergemeinschaft sah
sich sehr bald vor die Wahl gestellt, ob sie sich zu den vielgeschmähten Äußer¬
lichkeiten, zur Annahme von kirchlichen Gebräuchen und festen Verfassungs-
formen bequemen, oder sich auflöse», oder in einen Narreilhaufen ausarten
wollte.

Zu dieser Hanptursache der Sektenbildung gesellen sich noch zwei andre.
Die eine, das spekulative Bedürfnis, können wir kurz abfertigen, da sie nur
im Morgenlande eine große Rolle gespielt hat, uicht aber bei uns. Der Hang
der hellenistischen Welt (die von der hellenischen wohl zu unterscheiden ist) zur
Dialektik und zu Wortgefechten, der so weit ging, daß sich in Alexandrien
sogar die Marktweiber über Z^oc-ni^g und o^.o^umczz stritten, ist der rvmisch-
germauischen Welt fremd. Diese ist namentlich im Mittelalter durchaus von
praktische,, Interessen (praktisch ist ja nicht gleichbedeutend mit materiell) bewegt
worden, und der hohe Klerus war gar uicht einmal gelehrt genug, um sich
auf die Erörterung theologischer Fragen verlegen zu können. Und vollends Rom
war, wie es Gregorovius ausdrückt, das ganze Mittelalter hindurch der
negative Mittelpunkt der Gelehrsamkeit. Auch die Mönche verstanden sich


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[0235] Das mittelalterliche Sektemvcsen Gelübde schönes eingetragen haben. Daher denn anch jeder Orden seine eignen Neformationskämpfe mit Spaltungen und Absplitterungen, zuweilen auch Sekten¬ bildungen und Konkurrenzgründuugen erlebt. Solche Orden und Sekten, die sich an die Idee der Armut anklammern und sie, wie sie ist, nackt und körperlos verwirklichen wollen (was ein Unding ist, denn alles Wirkliche ist hienieden körperlich oder wirkt doch nur durch Körperliches), die verfallen in Schwärmerei, in eine mit der bürgerlichen Ordnung unvereinbare Lebensweise, auch wohl in kommunistische Umsturzbestrebnngen. Mit der Idee der Armut findet sich meist die der Keuschheit eng verknüpft. „Eben die enorme Liederlichkeit der !dem Feudaladel angehörigen^ hohen Geistlichkeit ^Oberitaliensj war es, die gerade in dieser Zeit Gurker Gregor VH.j die Lehre von der Keuschheit zu einem Hauptinteresse machte" (Leo, Geschichte der italienischen Staaten I, 402). Ähnlich ging es mit der Idee der unsichtbaren Kirche. Es ist richtig, daß Christus an die Stelle jener jüdischen Priestersynagvge, deren Mitglied man durch Geburt und durch Zeremonie,? wurde, eine Geistes- und Glaubens¬ gemeinschaft, eine Gemeinschaft der Gläubigen und Heiligen gesetzt hat. Aber um auf Erden wirksam, ja auch nur wirklich zu werden, blieb dieser Gemein¬ schaft der Heiligen doch wiederum nichts übrig, als einerseits für ihre Mit¬ glieder sowohl wie für ihre Vorsteher — denn solche konnten nicht entbehrt werden — äußerliche Erkennungszeichen festzusetzen, anderseits auch Arsenige in ihrem Schoße zu dulden. Ist es doch gar nicht möglich, die Heiligen von den Unheiligen mit Sicherheit zu unterscheiden. Je mehr um die letztern überHand nahmen und sich gerade in die Vorstcherümtcr eindrängten, desto dringender mußte der Ruf nach Wiederherstellung der Gemeinde der Heiligen werden. Aber jede unter dieser Losung gegründete Sondergemeinschaft sah sich sehr bald vor die Wahl gestellt, ob sie sich zu den vielgeschmähten Äußer¬ lichkeiten, zur Annahme von kirchlichen Gebräuchen und festen Verfassungs- formen bequemen, oder sich auflöse», oder in einen Narreilhaufen ausarten wollte. Zu dieser Hanptursache der Sektenbildung gesellen sich noch zwei andre. Die eine, das spekulative Bedürfnis, können wir kurz abfertigen, da sie nur im Morgenlande eine große Rolle gespielt hat, uicht aber bei uns. Der Hang der hellenistischen Welt (die von der hellenischen wohl zu unterscheiden ist) zur Dialektik und zu Wortgefechten, der so weit ging, daß sich in Alexandrien sogar die Marktweiber über Z^oc-ni^g und o^.o^umczz stritten, ist der rvmisch- germauischen Welt fremd. Diese ist namentlich im Mittelalter durchaus von praktische,, Interessen (praktisch ist ja nicht gleichbedeutend mit materiell) bewegt worden, und der hohe Klerus war gar uicht einmal gelehrt genug, um sich auf die Erörterung theologischer Fragen verlegen zu können. Und vollends Rom war, wie es Gregorovius ausdrückt, das ganze Mittelalter hindurch der negative Mittelpunkt der Gelehrsamkeit. Auch die Mönche verstanden sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/235>, abgerufen am 24.07.2024.