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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die siehe" Schnlfrcigen des Kaisers

Behandlung der organisatorischen Fragen ausscheide." Welch srohe Zuversicht
wurde damit erweckt! wie atmete man auf, da nun die sichere Aussicht eröffnet
wurde, daß die unnatürliche Ehe zwischen unserm Vilduugs- und dem einjährig-
freiwilligen Verechtiguugswesen aufgehoben werde, in der das erste dein zweiten
geopfert wurde! Statt dessen verbleibt nicht nur die verhängnisvolle Befugnis,
nach dem Sechstel? Jahreskursus mit der Berechtigung für den einjährigen
Militärdienst zu entlassen, sondern es soll die Sache abermals zu einer Staats¬
aktion aufgebauscht werden, insofern an dieser Stelle ein besondres Examen
eingeschoben wird. Wie ist das nur zu erklären? Wem soll man heutzutage
uoch Glaube" schenken, wenn von hoher Stelle gerade das bestätigt wird,
was vor kurzer Zeit als bereits überwunden hingestellt wurde? Sollte
es wirklich so sein, was man in der Berliner Konferenz behauptete, daß
Charaktere bei uns selten würden? Und das Ergebnis der Versprechungen
vom 18. März? Statt -- wie man hoffen durfte -- den Dienst, den die
Schule dem Militärwesen zu leisten hat, so einzurichten, daß der Bildung der
Jugend kein Schade geschehe, zerreißt man den neunjährigen Kursus, der in
sich eine geschlossene Einheit bilden sollte, und macht sechsjährige Anstalten
daraus, die einen dreijährigen Oberbau haben. Was thun aber die jungen
Leute mit dem bischen Latein und Griechisch, das sie aus dem sechsjährigen
Kursus mit fortnehmen? Und was thun die Gymnasien mit dem Schüler¬
material, das von Anfang an nur uach dem Examen der Untersekunda hin¬
strebt? Und wozu das alles? Etwa nur darum, daß die Militärbehörde
nicht so viel zu prüfen habe? Fast scheint es so, da ein vernünftiger Grund
sonst nicht zu finden fein dürfte.

Es kann nicht anders fein: das vorgeschlagene Examen ruinirt die Gym¬
nasien vollends. Ist es nicht ein merkwürdiges Geschick, daß derselbe Kultus¬
minister, der die Gesundheit dieser Schulen herbeiführen wollte, zuletzt noch
die Hand bot, ihren Krankheitszustand zu verschärfen? Und ist es nicht ein
merkwürdiges Geschick, daß das Schulparlameut sich eifrig gegen büreaukra-
tische Bevormundung wehrt und doch im Anschluß an die siebente Frage des
Kaisers deu Beschluß faßt, daß eine Vermehrung der Zahl der Schulräte
dringend wünschenswert sei? Und doch war die Sache so einfach zu lösen.
Hätte man die Abiturientenprüsung fallen lassen, fo würden die vor¬
handenen Aufsichtsorgane vollständig genügen. Wenn man überhaupt das
Schreibwerk beschränken, den Direktoren mehr Freiheit gewähren und die
Schnlrevision unter den Gesichtspunkt rücken wollte, daß sie als ein Freund¬
schaftsdienst zur Förderung der persönlichen Wirksamkeit und Tüchtigkeit, zur
Anfeuerung und Ausbildung eines gesunden, frischen Schullebens empfunden
würde, nicht als ein peinliches Hervvrsnchen aller möglichen Kleinigkeiten,
dann würde man wieder etwas mehr Hoffnung fassen können. Denn was
unsrer Zeit vor allem not thut, ist, ihr die geistige Gesundheit wiedergeben.


Die siehe» Schnlfrcigen des Kaisers

Behandlung der organisatorischen Fragen ausscheide." Welch srohe Zuversicht
wurde damit erweckt! wie atmete man auf, da nun die sichere Aussicht eröffnet
wurde, daß die unnatürliche Ehe zwischen unserm Vilduugs- und dem einjährig-
freiwilligen Verechtiguugswesen aufgehoben werde, in der das erste dein zweiten
geopfert wurde! Statt dessen verbleibt nicht nur die verhängnisvolle Befugnis,
nach dem Sechstel? Jahreskursus mit der Berechtigung für den einjährigen
Militärdienst zu entlassen, sondern es soll die Sache abermals zu einer Staats¬
aktion aufgebauscht werden, insofern an dieser Stelle ein besondres Examen
eingeschoben wird. Wie ist das nur zu erklären? Wem soll man heutzutage
uoch Glaube» schenken, wenn von hoher Stelle gerade das bestätigt wird,
was vor kurzer Zeit als bereits überwunden hingestellt wurde? Sollte
es wirklich so sein, was man in der Berliner Konferenz behauptete, daß
Charaktere bei uns selten würden? Und das Ergebnis der Versprechungen
vom 18. März? Statt — wie man hoffen durfte — den Dienst, den die
Schule dem Militärwesen zu leisten hat, so einzurichten, daß der Bildung der
Jugend kein Schade geschehe, zerreißt man den neunjährigen Kursus, der in
sich eine geschlossene Einheit bilden sollte, und macht sechsjährige Anstalten
daraus, die einen dreijährigen Oberbau haben. Was thun aber die jungen
Leute mit dem bischen Latein und Griechisch, das sie aus dem sechsjährigen
Kursus mit fortnehmen? Und was thun die Gymnasien mit dem Schüler¬
material, das von Anfang an nur uach dem Examen der Untersekunda hin¬
strebt? Und wozu das alles? Etwa nur darum, daß die Militärbehörde
nicht so viel zu prüfen habe? Fast scheint es so, da ein vernünftiger Grund
sonst nicht zu finden fein dürfte.

Es kann nicht anders fein: das vorgeschlagene Examen ruinirt die Gym¬
nasien vollends. Ist es nicht ein merkwürdiges Geschick, daß derselbe Kultus¬
minister, der die Gesundheit dieser Schulen herbeiführen wollte, zuletzt noch
die Hand bot, ihren Krankheitszustand zu verschärfen? Und ist es nicht ein
merkwürdiges Geschick, daß das Schulparlameut sich eifrig gegen büreaukra-
tische Bevormundung wehrt und doch im Anschluß an die siebente Frage des
Kaisers deu Beschluß faßt, daß eine Vermehrung der Zahl der Schulräte
dringend wünschenswert sei? Und doch war die Sache so einfach zu lösen.
Hätte man die Abiturientenprüsung fallen lassen, fo würden die vor¬
handenen Aufsichtsorgane vollständig genügen. Wenn man überhaupt das
Schreibwerk beschränken, den Direktoren mehr Freiheit gewähren und die
Schnlrevision unter den Gesichtspunkt rücken wollte, daß sie als ein Freund¬
schaftsdienst zur Förderung der persönlichen Wirksamkeit und Tüchtigkeit, zur
Anfeuerung und Ausbildung eines gesunden, frischen Schullebens empfunden
würde, nicht als ein peinliches Hervvrsnchen aller möglichen Kleinigkeiten,
dann würde man wieder etwas mehr Hoffnung fassen können. Denn was
unsrer Zeit vor allem not thut, ist, ihr die geistige Gesundheit wiedergeben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/230>, abgerufen am 24.07.2024.