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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die sieben Schulfragen des Kaisers

ferner der Übelstand hervor, daß die Schiller den Unterricht als eine Last,
nicht als eine Lust empfinden. Eine Lust sollte er aber doch sein! Die Jugend
ist doch nicht auf der Welt, um Strafarbeit zu leisten, und die Schulen sind
doch wegen der Schiller da, nicht umgekehrt. Wollten sich uur die Eltern
einmal aufraffen und ihr gutes Recht an der Schulerziehung und ein Schul-
unterricht zurückfordern! Den Schulpäpsten gegenüber sind sie leider zu
nachgiebig geworden, oft wohl ans Diplomatie, um ihren Kindern nicht
zu schaden.

Und endlich müßten die Lehrpläne durchgesehen werdeu, uur eine Masse
uuuötiger und gefährlicher Vvrweguahmeu zu beseitige". Unzweifelhaft herrscht
das Bestrebe" vor, in unsrer Jugenderziehung möglichst viel zu verfrüheu.
Ma" kaun die Zeit gar "icht mehr erwarte", wo die Fr"ehe reif ist. Das
Früchtchen muß vorzeitig fertig gemacht werdeu. An: Ende des erste"
Schuljahres soll es dem Papa die Zeitung vorlesen können, am Ende
des zweiten der Mama die Korrespondenz führen helfen, am, Eude des
dritte" die Buchführung verstehen, am Ende des vierten über Theater
mitreden, am Ende des fünften die Wahlen beurteilen u. f. w. Es ist das
vielleicht etwas übertriebe", aber es scheint wirklich der Gedanke ganz verloren
gegange" zu sein, daß es beim Unterricht allerdings darauf ankommt, daß der
Schiller bestimmte Dinge kennen lernt, aber gar nichts darauf, daß er sie
möglichst früh erfährt. So kann man ihm jetzt z. V. nicht zeitig genug die
Anschauung von der scheinbaren Bewegung der Sonne rauben. Wozu? Nur
um Worte nu die Stelle zu setzen. Denn das geschieht, wenn man dem
Knaben das helivzentrische System in einer Zeit nahe legen will, wo er noch
gar kein Verständnis dafür haben kann. Wollte man dabei doch dem Ge¬
danken Raum geben, daß die Geschichte einer Wissenschaft auch vorzügliche
Winke für ihren Betrieb im Unterricht gebe" kaun. Dann würde mau von
selbst von der unglücklichen Leitfädenmanier loskommen, die die Verfrühung
begünstigt, insofern diese Schriftche" vom Allgemeinen von Definitionen, von
slberblickcn ausgehend in ihrer scheinbaren Dürre eine Unsumme von Unver-
ständlichen in sich bergen und darum für die Jugend zu wahren Leitfaden
werdeu. Nichten wir aber deu Blick auf eine vernünftige Gestaltung der Lehr¬
pläne an unsern Gymnasien, so eröffnet sich ein großes Arbeitsfeld. Deal
bis jetzt ist so gilt wie nichts in dieser Richtung geschehen. Was wir haben,
ist, durch die Tradition geheiligt, zu einer mehr als zweifelhaftem Ehrenstellung
gelaugt. Die Fragen des Kaisers habe" diese erschüttert; der Neubau wird
nicht ans sich warte" lasse". Nur gebe man Freiheit für individuelle Ge¬
staltung! Bureankratische Bevormundung kann auch hier wieder das beste
im Keime ersticken.

Freiheit auch für das, was der Kaiser in der vierten Frage fordert.
Wie manche Meuscheu erst in die sogenannte gute Gesellschaft eintreten können,


Die sieben Schulfragen des Kaisers

ferner der Übelstand hervor, daß die Schiller den Unterricht als eine Last,
nicht als eine Lust empfinden. Eine Lust sollte er aber doch sein! Die Jugend
ist doch nicht auf der Welt, um Strafarbeit zu leisten, und die Schulen sind
doch wegen der Schiller da, nicht umgekehrt. Wollten sich uur die Eltern
einmal aufraffen und ihr gutes Recht an der Schulerziehung und ein Schul-
unterricht zurückfordern! Den Schulpäpsten gegenüber sind sie leider zu
nachgiebig geworden, oft wohl ans Diplomatie, um ihren Kindern nicht
zu schaden.

Und endlich müßten die Lehrpläne durchgesehen werdeu, uur eine Masse
uuuötiger und gefährlicher Vvrweguahmeu zu beseitige». Unzweifelhaft herrscht
das Bestrebe» vor, in unsrer Jugenderziehung möglichst viel zu verfrüheu.
Ma» kaun die Zeit gar »icht mehr erwarte», wo die Fr»ehe reif ist. Das
Früchtchen muß vorzeitig fertig gemacht werdeu. An: Ende des erste»
Schuljahres soll es dem Papa die Zeitung vorlesen können, am Ende
des zweiten der Mama die Korrespondenz führen helfen, am, Eude des
dritte» die Buchführung verstehen, am Ende des vierten über Theater
mitreden, am Ende des fünften die Wahlen beurteilen u. f. w. Es ist das
vielleicht etwas übertriebe», aber es scheint wirklich der Gedanke ganz verloren
gegange» zu sein, daß es beim Unterricht allerdings darauf ankommt, daß der
Schiller bestimmte Dinge kennen lernt, aber gar nichts darauf, daß er sie
möglichst früh erfährt. So kann man ihm jetzt z. V. nicht zeitig genug die
Anschauung von der scheinbaren Bewegung der Sonne rauben. Wozu? Nur
um Worte nu die Stelle zu setzen. Denn das geschieht, wenn man dem
Knaben das helivzentrische System in einer Zeit nahe legen will, wo er noch
gar kein Verständnis dafür haben kann. Wollte man dabei doch dem Ge¬
danken Raum geben, daß die Geschichte einer Wissenschaft auch vorzügliche
Winke für ihren Betrieb im Unterricht gebe» kaun. Dann würde mau von
selbst von der unglücklichen Leitfädenmanier loskommen, die die Verfrühung
begünstigt, insofern diese Schriftche» vom Allgemeinen von Definitionen, von
slberblickcn ausgehend in ihrer scheinbaren Dürre eine Unsumme von Unver-
ständlichen in sich bergen und darum für die Jugend zu wahren Leitfaden
werdeu. Nichten wir aber deu Blick auf eine vernünftige Gestaltung der Lehr¬
pläne an unsern Gymnasien, so eröffnet sich ein großes Arbeitsfeld. Deal
bis jetzt ist so gilt wie nichts in dieser Richtung geschehen. Was wir haben,
ist, durch die Tradition geheiligt, zu einer mehr als zweifelhaftem Ehrenstellung
gelaugt. Die Fragen des Kaisers habe» diese erschüttert; der Neubau wird
nicht ans sich warte» lasse». Nur gebe man Freiheit für individuelle Ge¬
staltung! Bureankratische Bevormundung kann auch hier wieder das beste
im Keime ersticken.

Freiheit auch für das, was der Kaiser in der vierten Frage fordert.
Wie manche Meuscheu erst in die sogenannte gute Gesellschaft eintreten können,


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[0226] Die sieben Schulfragen des Kaisers ferner der Übelstand hervor, daß die Schiller den Unterricht als eine Last, nicht als eine Lust empfinden. Eine Lust sollte er aber doch sein! Die Jugend ist doch nicht auf der Welt, um Strafarbeit zu leisten, und die Schulen sind doch wegen der Schiller da, nicht umgekehrt. Wollten sich uur die Eltern einmal aufraffen und ihr gutes Recht an der Schulerziehung und ein Schul- unterricht zurückfordern! Den Schulpäpsten gegenüber sind sie leider zu nachgiebig geworden, oft wohl ans Diplomatie, um ihren Kindern nicht zu schaden. Und endlich müßten die Lehrpläne durchgesehen werdeu, uur eine Masse uuuötiger und gefährlicher Vvrweguahmeu zu beseitige». Unzweifelhaft herrscht das Bestrebe» vor, in unsrer Jugenderziehung möglichst viel zu verfrüheu. Ma» kaun die Zeit gar »icht mehr erwarte», wo die Fr»ehe reif ist. Das Früchtchen muß vorzeitig fertig gemacht werdeu. An: Ende des erste» Schuljahres soll es dem Papa die Zeitung vorlesen können, am Ende des zweiten der Mama die Korrespondenz führen helfen, am, Eude des dritte» die Buchführung verstehen, am Ende des vierten über Theater mitreden, am Ende des fünften die Wahlen beurteilen u. f. w. Es ist das vielleicht etwas übertriebe», aber es scheint wirklich der Gedanke ganz verloren gegange» zu sein, daß es beim Unterricht allerdings darauf ankommt, daß der Schiller bestimmte Dinge kennen lernt, aber gar nichts darauf, daß er sie möglichst früh erfährt. So kann man ihm jetzt z. V. nicht zeitig genug die Anschauung von der scheinbaren Bewegung der Sonne rauben. Wozu? Nur um Worte nu die Stelle zu setzen. Denn das geschieht, wenn man dem Knaben das helivzentrische System in einer Zeit nahe legen will, wo er noch gar kein Verständnis dafür haben kann. Wollte man dabei doch dem Ge¬ danken Raum geben, daß die Geschichte einer Wissenschaft auch vorzügliche Winke für ihren Betrieb im Unterricht gebe» kaun. Dann würde mau von selbst von der unglücklichen Leitfädenmanier loskommen, die die Verfrühung begünstigt, insofern diese Schriftche» vom Allgemeinen von Definitionen, von slberblickcn ausgehend in ihrer scheinbaren Dürre eine Unsumme von Unver- ständlichen in sich bergen und darum für die Jugend zu wahren Leitfaden werdeu. Nichten wir aber deu Blick auf eine vernünftige Gestaltung der Lehr¬ pläne an unsern Gymnasien, so eröffnet sich ein großes Arbeitsfeld. Deal bis jetzt ist so gilt wie nichts in dieser Richtung geschehen. Was wir haben, ist, durch die Tradition geheiligt, zu einer mehr als zweifelhaftem Ehrenstellung gelaugt. Die Fragen des Kaisers habe» diese erschüttert; der Neubau wird nicht ans sich warte» lasse». Nur gebe man Freiheit für individuelle Ge¬ staltung! Bureankratische Bevormundung kann auch hier wieder das beste im Keime ersticken. Freiheit auch für das, was der Kaiser in der vierten Frage fordert. Wie manche Meuscheu erst in die sogenannte gute Gesellschaft eintreten können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/226>, abgerufen am 24.07.2024.