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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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aus dem Verhalten Windthorsts Vorhalt machte, er die Antwort erhielt:
"Glauben Sie nur, Windthorst würde noch ganz anders auftreten, wenn wir
ihn nicht öfter zurückhielten." Endlich aber weiß man auch nicht, was dein
Auftreten Windthorsts in einzelnen Füllen zu Grunde lag. Die innere Ge¬
schichte des Kulturkampfes und seines Rückganges ist noch uicht bekannt ge¬
worden und wird vielleicht, wenn die Hauptbeteiligten darüber Hinwegsterben,
nie bekannt werdeu. Zur Zeit aber kann niemand wissen, in welcher Beziehung
die mitunter bethätigte Willfährigkeit Windthorsts zu den Zugeständnissen stand,
die uach und uach der von ihm vertretenen Sache gemacht wurden. Daß
Windthorst irgend etwas umsonst gethan habe, ist nicht wahrscheinlich. Daß
er auch, wenn er wollte, gerade so gut für als gegen eine Sache plüdiren
konnte, das verstand sich von selbst. Um Gründe war er nie verlegen.

Wo er aber irgend konnte, war er auch uoch während der letzten Jahre
bemüht, der Negierung Verlegenheiten zu bereiten. Man denke an seine Ab¬
stimmungen in der Septennatsfrage und in der sich wiederholenden Frage
über Verlängerung des Sozialistengesetzes; wobei er freilich mehrfach erleben
mußte, daß ein Teil seines Heerbannes von ihm abschwenkte. Vor allein aber
wollte Windthorst den Kulturkampf nicht als beendigt gelten lassen. Natürlich!
denn der war ja sein Lebenselement. Nachdem die Kirche fast alles, was sie
früher besessen, zurückerlangt hatte, erklärte er, daß nun über die Schule der
Kulturkampf erst recht losgehen solle. Und als sich fast sämtliche Kloster
wieder mit den geistlichen Orden gefüllt hatten, erklärte er, daß nun auch die
Jesuiten zurückgerufen werden müßten. Einen seiner glänzendsten Siege hat
Windthorst noch in seinein letzten Lebensjahre errungen in der Spcrrgelder-
vorlage der Negierung. Gern glauben wir der Versicherung des Reichskanzlers
von Caprivi, daß er keine damit in Beziehung stehende Abmachungen mit dein
Zentrum geschlossen habe. Aber der Umschwung in der Ansicht der Negierung
ist doch zu seltsam, als daß man nicht nach besondern Gründen dafür suchen
sollte. Und wer kann sagen, welche weitern Zugeständnisse dieser Mann des
Unheils, wenn er länger gelebt hätte, noch erpreßt haben würde einer Negie¬
rung gegenüber, in der sich ein Mann wie Minister von Goßler nur noch
als eine Last und ein Hemmnis fühlte? Daß Windthorst seine politische Lauf-
bahn noch nicht als abgeschlossen ansah, das beweist die in den Zeitungen
berichtete Thatsache, daß er uoch auf seinem Totenbette mit lauter Stimme von
der Rede phantasirte, die er für die Rückberufung der Jesuiten halten wollte.
Gott hat es anders gewollt und hat ihn selbst von dieser Erde abberufen.

Wir haben oben abgelehnt, über die innern Beweggründe Windthorsts für
sein Handeln zu urteilen. Aber wir nehmen keinen Anstand, auszusprechen,
daß in Windthorst der böse Genius der deutschen Nation verkörpert war.

Dieser Mann nnn ist bei seinem Tode gefeiert worden, als ob er sich
die größten Verdienste um das deutsche Vaterland erworben hätte. Bei seiner


aus dem Verhalten Windthorsts Vorhalt machte, er die Antwort erhielt:
„Glauben Sie nur, Windthorst würde noch ganz anders auftreten, wenn wir
ihn nicht öfter zurückhielten." Endlich aber weiß man auch nicht, was dein
Auftreten Windthorsts in einzelnen Füllen zu Grunde lag. Die innere Ge¬
schichte des Kulturkampfes und seines Rückganges ist noch uicht bekannt ge¬
worden und wird vielleicht, wenn die Hauptbeteiligten darüber Hinwegsterben,
nie bekannt werdeu. Zur Zeit aber kann niemand wissen, in welcher Beziehung
die mitunter bethätigte Willfährigkeit Windthorsts zu den Zugeständnissen stand,
die uach und uach der von ihm vertretenen Sache gemacht wurden. Daß
Windthorst irgend etwas umsonst gethan habe, ist nicht wahrscheinlich. Daß
er auch, wenn er wollte, gerade so gut für als gegen eine Sache plüdiren
konnte, das verstand sich von selbst. Um Gründe war er nie verlegen.

Wo er aber irgend konnte, war er auch uoch während der letzten Jahre
bemüht, der Negierung Verlegenheiten zu bereiten. Man denke an seine Ab¬
stimmungen in der Septennatsfrage und in der sich wiederholenden Frage
über Verlängerung des Sozialistengesetzes; wobei er freilich mehrfach erleben
mußte, daß ein Teil seines Heerbannes von ihm abschwenkte. Vor allein aber
wollte Windthorst den Kulturkampf nicht als beendigt gelten lassen. Natürlich!
denn der war ja sein Lebenselement. Nachdem die Kirche fast alles, was sie
früher besessen, zurückerlangt hatte, erklärte er, daß nun über die Schule der
Kulturkampf erst recht losgehen solle. Und als sich fast sämtliche Kloster
wieder mit den geistlichen Orden gefüllt hatten, erklärte er, daß nun auch die
Jesuiten zurückgerufen werden müßten. Einen seiner glänzendsten Siege hat
Windthorst noch in seinein letzten Lebensjahre errungen in der Spcrrgelder-
vorlage der Negierung. Gern glauben wir der Versicherung des Reichskanzlers
von Caprivi, daß er keine damit in Beziehung stehende Abmachungen mit dein
Zentrum geschlossen habe. Aber der Umschwung in der Ansicht der Negierung
ist doch zu seltsam, als daß man nicht nach besondern Gründen dafür suchen
sollte. Und wer kann sagen, welche weitern Zugeständnisse dieser Mann des
Unheils, wenn er länger gelebt hätte, noch erpreßt haben würde einer Negie¬
rung gegenüber, in der sich ein Mann wie Minister von Goßler nur noch
als eine Last und ein Hemmnis fühlte? Daß Windthorst seine politische Lauf-
bahn noch nicht als abgeschlossen ansah, das beweist die in den Zeitungen
berichtete Thatsache, daß er uoch auf seinem Totenbette mit lauter Stimme von
der Rede phantasirte, die er für die Rückberufung der Jesuiten halten wollte.
Gott hat es anders gewollt und hat ihn selbst von dieser Erde abberufen.

Wir haben oben abgelehnt, über die innern Beweggründe Windthorsts für
sein Handeln zu urteilen. Aber wir nehmen keinen Anstand, auszusprechen,
daß in Windthorst der böse Genius der deutschen Nation verkörpert war.

Dieser Mann nnn ist bei seinem Tode gefeiert worden, als ob er sich
die größten Verdienste um das deutsche Vaterland erworben hätte. Bei seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/22>, abgerufen am 04.07.2024.