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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Nordamerikaner waren es, die diesen Vertrag kündigten, und man kann von
einem 'Blaiue, dem starrsten Vertreter der Monroelehre, nicht das geringste
Eingehen uns diesen Plan erwarten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das
Kabinet Salisbury allmählich genötigt werden, wie dies anch ein Leitartikel
der Nationalzeitnng vom IcZ. März ausführt, das Verhältnis des Mutter¬
landes zu den großen Kolonien anders zu gestalten. Man schlägt in der
englischen Presse vor, die Regierung möge dafür Sorge tragen, daß England
und die Kolonien völlige Selbständigkeit der Zollgesetzgebung bezüglich aller
nichtenglischen Länder behielten, aber gegenseitig zu vorteilhaften Differcntial-
zolltarifeu verpflichtet wären.

Von der glücklichen Lösung dieser Frage wird wohl überhaupt der Bestand
der englischen Kolonialmacht abhängen, vor allem aber das Verhältnis Kanadas
zu England.

Das aufblühende Kanada hat namentlich in letzter Zeit immer mehr an
Bedeutung gewonnen. Es ist nächst Indien sicherlich der wichtigste Kolonial¬
besitz Englands. An Größe kommt es fast unserm ganzen Erdteile gleich, die
Bevölkerung erreicht allerdings kaum die Zahl der Stadt London. Groß ist
die Fläche knltnrfähigen Bodens, ein Umstand, der besonders ins Gewicht sällt,
seitdem sich die Union der europäischen Einwanderung verschließt. Kanada
kann noch eine große Menge von Einwanderern aufnehmen. Die Provinz
Ontario zählte 1881 1900 000 Menschen; nähme man nun eine Dichtigkeit
der Bevölkerung nur vou fünfzig Köpfen auf einen Quadratkilometer an, so
würde man beispielsweise allein sür diese Provinz eine Einwohnerzahl von
dreizehn Millionen erhalten! Dasselbe gilt, und zwar in noch größerm Maße,
von Manitoba, Assiniboia und Britisch-Kolumbia. Überhaupt hatte man bis
vor kurzem ganz falsche Vorstellungen über Bodenbeschaffenheit und Klima
Kanadas. Wohl sind die Winter kälter und die Sommer heißer als bei uns,
aber infolge der großen Trockenheit der Luft empfindet man beides nicht so
unangenehm. Unser naßkaltes, ungesundes Winterwetter ist in Kanada fast
unbekannt. In Südontariv reifen köstliche Trauben; Äpfel und Birnen ge¬
deihen hier in seltener Güte. Überhaupt gilt der kanadische Apfel für den besten
in der Welt, und in großer Menge wird er besonders nach den Vereinigten
Staaten und England ausgeführt. So ist es deun kein Wunder, daß sich der
kanadische Handel von Jahr zu Jahr ganz außerordentlich entwickelt. Die
Einfuhr von Britisch-Nordamerika nach Großbritannien hatte 1888 einen Wert
vou 9268209 Pfund Sterling, die Ausfuhr nach Britisch-Nordamerika von
Großbritannien dagegen einen Wert von 8 692046 Pfund Sterling. Seitdem
ist der Handelsverkehr aber noch bedeutend gewachsen. Selbst die Schifffahrt,
für die die Verhältnisse in Kanada nicht gerade günstig liegen, hat gute Fort¬
schritte gemacht. Der Tonnengehalt der Schiffe ist von 1874 -- 4412000
im Jahre 1888 auf 5762000 angewachsen.


Nordamerikaner waren es, die diesen Vertrag kündigten, und man kann von
einem 'Blaiue, dem starrsten Vertreter der Monroelehre, nicht das geringste
Eingehen uns diesen Plan erwarten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das
Kabinet Salisbury allmählich genötigt werden, wie dies anch ein Leitartikel
der Nationalzeitnng vom IcZ. März ausführt, das Verhältnis des Mutter¬
landes zu den großen Kolonien anders zu gestalten. Man schlägt in der
englischen Presse vor, die Regierung möge dafür Sorge tragen, daß England
und die Kolonien völlige Selbständigkeit der Zollgesetzgebung bezüglich aller
nichtenglischen Länder behielten, aber gegenseitig zu vorteilhaften Differcntial-
zolltarifeu verpflichtet wären.

Von der glücklichen Lösung dieser Frage wird wohl überhaupt der Bestand
der englischen Kolonialmacht abhängen, vor allem aber das Verhältnis Kanadas
zu England.

Das aufblühende Kanada hat namentlich in letzter Zeit immer mehr an
Bedeutung gewonnen. Es ist nächst Indien sicherlich der wichtigste Kolonial¬
besitz Englands. An Größe kommt es fast unserm ganzen Erdteile gleich, die
Bevölkerung erreicht allerdings kaum die Zahl der Stadt London. Groß ist
die Fläche knltnrfähigen Bodens, ein Umstand, der besonders ins Gewicht sällt,
seitdem sich die Union der europäischen Einwanderung verschließt. Kanada
kann noch eine große Menge von Einwanderern aufnehmen. Die Provinz
Ontario zählte 1881 1900 000 Menschen; nähme man nun eine Dichtigkeit
der Bevölkerung nur vou fünfzig Köpfen auf einen Quadratkilometer an, so
würde man beispielsweise allein sür diese Provinz eine Einwohnerzahl von
dreizehn Millionen erhalten! Dasselbe gilt, und zwar in noch größerm Maße,
von Manitoba, Assiniboia und Britisch-Kolumbia. Überhaupt hatte man bis
vor kurzem ganz falsche Vorstellungen über Bodenbeschaffenheit und Klima
Kanadas. Wohl sind die Winter kälter und die Sommer heißer als bei uns,
aber infolge der großen Trockenheit der Luft empfindet man beides nicht so
unangenehm. Unser naßkaltes, ungesundes Winterwetter ist in Kanada fast
unbekannt. In Südontariv reifen köstliche Trauben; Äpfel und Birnen ge¬
deihen hier in seltener Güte. Überhaupt gilt der kanadische Apfel für den besten
in der Welt, und in großer Menge wird er besonders nach den Vereinigten
Staaten und England ausgeführt. So ist es deun kein Wunder, daß sich der
kanadische Handel von Jahr zu Jahr ganz außerordentlich entwickelt. Die
Einfuhr von Britisch-Nordamerika nach Großbritannien hatte 1888 einen Wert
vou 9268209 Pfund Sterling, die Ausfuhr nach Britisch-Nordamerika von
Großbritannien dagegen einen Wert von 8 692046 Pfund Sterling. Seitdem
ist der Handelsverkehr aber noch bedeutend gewachsen. Selbst die Schifffahrt,
für die die Verhältnisse in Kanada nicht gerade günstig liegen, hat gute Fort¬
schritte gemacht. Der Tonnengehalt der Schiffe ist von 1874 — 4412000
im Jahre 1888 auf 5762000 angewachsen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/218>, abgerufen am 24.07.2024.