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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rokokostudien

lautet das Bekenntnis des einen. Ein andrer flieht den größern geselligen
Kreis und zieht es vor, sich in der Einsamkeit mit der Erkorenen an einem
Spiele zu erfreuen, dessen Honneurs mit Küßchen eingelöst werden.


Komm, Kindchen, laß uns Rummel spielen,
Komm mit mir unter jenen Baum,
Wir finden dort im grünen Kühlen
Dazu den besten Platz und Raum.
Dort wollen nur zum Zeitvertreiben
Ein Stündchen bei einander bleiben.

Aber alle Spiele überragt an Herrlichkeit das "königliche" L'Hombre. Ohne
Übertreibung konnte Zachariae von "des Lombers weitem Reiche" singen.
Es ist das Mvdespiel des Jahrhunderts, in dessen Kultus die Spielfreude die
vollste Befriedigung fand. Schon 1708 läßt der Verfasser der Vorrede zu
dem Hamburger Spielbuche, das, immer von neuem aufgelegt, die Theorie
des Spieles behandelte, niemand mehr als "Alulae xassiren, der selbiges nicht
wisse." In seinem Preise versuchen sich die witzigsten Geister der Zeit, die
ernste Wissenschaft findet in ihm anziehenden Stoff zu scharfsinnigen Berech¬
nungen. "Sein Reiz -- heißt es 1788 in einer philosophischen Abhandlung
über das L'Hombre -- fesselt den Königssohn und die Prinzessin im ver¬
goldeten Zimmer so sehr als den schmutzigen Schreiber mit der Feder hinter
dem Ohre in der rauchigteil Amtsstube in der Gesellschaft eines hungrigen
Vikars auf dem Lande." Der Mittelpunkt, der Altar dieses Kultus, ist der
vielgenannte Lombertisch, ein unentbehrliches Hausgerät, eine Heimstätte ge¬
schäftigen Müßigganges. "Ist ein kleiner niedriger und dreyeckigter meisten-
theils mit Tuch beschlagener und mit drei Beuteln Verseheuer Tisch, worauf
man Lomber zu spielen pflegt."

Der Name des L'Hombre (HoindrL Mensch, Mann) weist nach dem fernen
Süden. Spanien ist sein Heimatland. Mit großer Gründlichkeit, zugleich
auch mit erfreulicher Kürze hat Gustav Schwetschke, ein feiner Kenner und
begeisterter Verehrer des L'Hombre, die Schicksale des Spieles dargestellt. (Ge¬
schichte des L'Hombre. Halle, 1863.) Schon im fünfzehnten Jahrhundert
sollen sich die Spanier an den Feinheiten des Spiels erfreut haben. Für die
gesellschaftliche Kultur des Abendlandes wird es erst bedeutsam, als es deu
Weg über die Pyrenäen genommen und in Paris und Versailles Aufnahme
gefunden hatte. Nach der wahrscheinlichsten Annahme brachte Maria Theresia,
die Tochter Philipps IV., als Gattin Ludwigs XIV. ihrer neuen Heimat das
L'Hombre als Morgengabe mit. Da das Spiel rasch Gönner und Gönne-
rinnen fand, machte sich bald das Bedürfnis eines Leitfadens, einer Kodifikation
der Spielregeln geltend. In den siebziger Jahren erschien der erste L'Hombre-
trnktat in Paris uuter dem stolzen Titel: I.g lioM ^su Ap l'Hmnbrs. Er
ist der Ahnherr aller spätern L'Hvmbreschriften. Bezeichnend ist es, daß er


Rokokostudien

lautet das Bekenntnis des einen. Ein andrer flieht den größern geselligen
Kreis und zieht es vor, sich in der Einsamkeit mit der Erkorenen an einem
Spiele zu erfreuen, dessen Honneurs mit Küßchen eingelöst werden.


Komm, Kindchen, laß uns Rummel spielen,
Komm mit mir unter jenen Baum,
Wir finden dort im grünen Kühlen
Dazu den besten Platz und Raum.
Dort wollen nur zum Zeitvertreiben
Ein Stündchen bei einander bleiben.

Aber alle Spiele überragt an Herrlichkeit das „königliche" L'Hombre. Ohne
Übertreibung konnte Zachariae von „des Lombers weitem Reiche" singen.
Es ist das Mvdespiel des Jahrhunderts, in dessen Kultus die Spielfreude die
vollste Befriedigung fand. Schon 1708 läßt der Verfasser der Vorrede zu
dem Hamburger Spielbuche, das, immer von neuem aufgelegt, die Theorie
des Spieles behandelte, niemand mehr als „Alulae xassiren, der selbiges nicht
wisse." In seinem Preise versuchen sich die witzigsten Geister der Zeit, die
ernste Wissenschaft findet in ihm anziehenden Stoff zu scharfsinnigen Berech¬
nungen. „Sein Reiz — heißt es 1788 in einer philosophischen Abhandlung
über das L'Hombre — fesselt den Königssohn und die Prinzessin im ver¬
goldeten Zimmer so sehr als den schmutzigen Schreiber mit der Feder hinter
dem Ohre in der rauchigteil Amtsstube in der Gesellschaft eines hungrigen
Vikars auf dem Lande." Der Mittelpunkt, der Altar dieses Kultus, ist der
vielgenannte Lombertisch, ein unentbehrliches Hausgerät, eine Heimstätte ge¬
schäftigen Müßigganges. „Ist ein kleiner niedriger und dreyeckigter meisten-
theils mit Tuch beschlagener und mit drei Beuteln Verseheuer Tisch, worauf
man Lomber zu spielen pflegt."

Der Name des L'Hombre (HoindrL Mensch, Mann) weist nach dem fernen
Süden. Spanien ist sein Heimatland. Mit großer Gründlichkeit, zugleich
auch mit erfreulicher Kürze hat Gustav Schwetschke, ein feiner Kenner und
begeisterter Verehrer des L'Hombre, die Schicksale des Spieles dargestellt. (Ge¬
schichte des L'Hombre. Halle, 1863.) Schon im fünfzehnten Jahrhundert
sollen sich die Spanier an den Feinheiten des Spiels erfreut haben. Für die
gesellschaftliche Kultur des Abendlandes wird es erst bedeutsam, als es deu
Weg über die Pyrenäen genommen und in Paris und Versailles Aufnahme
gefunden hatte. Nach der wahrscheinlichsten Annahme brachte Maria Theresia,
die Tochter Philipps IV., als Gattin Ludwigs XIV. ihrer neuen Heimat das
L'Hombre als Morgengabe mit. Da das Spiel rasch Gönner und Gönne-
rinnen fand, machte sich bald das Bedürfnis eines Leitfadens, einer Kodifikation
der Spielregeln geltend. In den siebziger Jahren erschien der erste L'Hombre-
trnktat in Paris uuter dem stolzen Titel: I.g lioM ^su Ap l'Hmnbrs. Er
ist der Ahnherr aller spätern L'Hvmbreschriften. Bezeichnend ist es, daß er


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[0202] Rokokostudien lautet das Bekenntnis des einen. Ein andrer flieht den größern geselligen Kreis und zieht es vor, sich in der Einsamkeit mit der Erkorenen an einem Spiele zu erfreuen, dessen Honneurs mit Küßchen eingelöst werden. Komm, Kindchen, laß uns Rummel spielen, Komm mit mir unter jenen Baum, Wir finden dort im grünen Kühlen Dazu den besten Platz und Raum. Dort wollen nur zum Zeitvertreiben Ein Stündchen bei einander bleiben. Aber alle Spiele überragt an Herrlichkeit das „königliche" L'Hombre. Ohne Übertreibung konnte Zachariae von „des Lombers weitem Reiche" singen. Es ist das Mvdespiel des Jahrhunderts, in dessen Kultus die Spielfreude die vollste Befriedigung fand. Schon 1708 läßt der Verfasser der Vorrede zu dem Hamburger Spielbuche, das, immer von neuem aufgelegt, die Theorie des Spieles behandelte, niemand mehr als „Alulae xassiren, der selbiges nicht wisse." In seinem Preise versuchen sich die witzigsten Geister der Zeit, die ernste Wissenschaft findet in ihm anziehenden Stoff zu scharfsinnigen Berech¬ nungen. „Sein Reiz — heißt es 1788 in einer philosophischen Abhandlung über das L'Hombre — fesselt den Königssohn und die Prinzessin im ver¬ goldeten Zimmer so sehr als den schmutzigen Schreiber mit der Feder hinter dem Ohre in der rauchigteil Amtsstube in der Gesellschaft eines hungrigen Vikars auf dem Lande." Der Mittelpunkt, der Altar dieses Kultus, ist der vielgenannte Lombertisch, ein unentbehrliches Hausgerät, eine Heimstätte ge¬ schäftigen Müßigganges. „Ist ein kleiner niedriger und dreyeckigter meisten- theils mit Tuch beschlagener und mit drei Beuteln Verseheuer Tisch, worauf man Lomber zu spielen pflegt." Der Name des L'Hombre (HoindrL Mensch, Mann) weist nach dem fernen Süden. Spanien ist sein Heimatland. Mit großer Gründlichkeit, zugleich auch mit erfreulicher Kürze hat Gustav Schwetschke, ein feiner Kenner und begeisterter Verehrer des L'Hombre, die Schicksale des Spieles dargestellt. (Ge¬ schichte des L'Hombre. Halle, 1863.) Schon im fünfzehnten Jahrhundert sollen sich die Spanier an den Feinheiten des Spiels erfreut haben. Für die gesellschaftliche Kultur des Abendlandes wird es erst bedeutsam, als es deu Weg über die Pyrenäen genommen und in Paris und Versailles Aufnahme gefunden hatte. Nach der wahrscheinlichsten Annahme brachte Maria Theresia, die Tochter Philipps IV., als Gattin Ludwigs XIV. ihrer neuen Heimat das L'Hombre als Morgengabe mit. Da das Spiel rasch Gönner und Gönne- rinnen fand, machte sich bald das Bedürfnis eines Leitfadens, einer Kodifikation der Spielregeln geltend. In den siebziger Jahren erschien der erste L'Hombre- trnktat in Paris uuter dem stolzen Titel: I.g lioM ^su Ap l'Hmnbrs. Er ist der Ahnherr aller spätern L'Hvmbreschriften. Bezeichnend ist es, daß er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/202>, abgerufen am 04.07.2024.