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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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im preußischen Abgeordnetenhause vor sich. Dieser Vereinigung gehörte nun
Windthorst ein, und durch seiue geistige Begabung wurde er bald ein Haupt¬
führer derselben. Nun hatte er, was er für seiue Wirksamkeit brauchte: eine
hinter ihm stehende starke Fraktion, die durch ihre Abstimmung seinen Worten
Nachdruck verlieh. Gleich anfangs trat die Fraktion im Reichstage mit 57,
im Landtage mit 54 Mitgliedern ans. Auch die hannöverschen Partikularsten
schlössen sich ihr an. Hand in Hand mit ihr gingen auch die Polen.

Die Fraktion begann ihre Wirksamkeit im Reichstage mit dem doppelten
Begehren, daß das deutsche Reich für die Wiederherstellung der weltlichen
Macht des Papstes eintreten solle, und daß die Paragraphen der preußischen
Verfassung über die Selbständigkeit der Kirchen, die so üble Zustände herbei¬
geführt hatten, in die Verfassung des deutschen Reiches aufgenommen werden
sollten. Damit war die Stellung des Zentrums als einer Oppositionspartei
von vornherein gegeben. Denn weder die Neichsregiernng noch die Mehrheit
des Reichstages vermochte auf diese Begehren einzugehen. Bismarck nahm den
ihm dargebotenen Kampf auf. In der klaren Erkenntnis, daß die Herrschaft,
die der katholische Klerus in einem großen Teile von Deutschland übt und
mittels deren er einen Staat im Staate zu bilden für seine Kirche in Anspruch
nimmt, zu den Erbübeln deutscher Nation gehört, wollte er den Versuch machen,
diese Herrschaft zu brechen. So entstand der Kampf, der sich dnrch eine Reihe
von Jahren hinzog und unter dem Namen "Kulturkampf" bekannt ist. Hütte
Bismarck in diesem Kampfe gesiegt, so würde dadurch unserm Vaterlande die
größte Wohlthat erwiesen worden sein, und er würde seinen unsterblichen Verdiensten
noch ein schwerwiegendes weiteres hinzugefügt haben. Daß Bismarck in diesem
Kampfe nicht siegte, daß er sich schließlich gedrungen fühlte, den Kampf auf¬
zugeben und die Schöpfungen desselben wieder abzubrechen, das ist vorzugs¬
weise das Werk Windthorsts. Er hat den innern Zwiespalt festgehalten, an
dem schon einmal Deutschland fast zu Grunde gegangen ist. Darm besteht die
geschichtliche Bedeutung dieses Mannes. . ,

Neben Windthorst hatte die klerikale Fraktion anfangs noch einen andern
hochbegabten Führer. Das war Mallinckrodt. Aber wie verschieden waren
beide! Wenn Mallinckrodt sprach, so fühlte man sofort heraus, daß alles bei
ihm tiefste Überzeugung war. Er war katholischer Fanatiker und kämpfte für
eine ihm heilige Sache. Ganz anders war der Eindruck, den man von Windt¬
horsts Reden gewann. Von Fanatismus keine Spur. Alles Sache schlauer
Berechnung. Bei seinem skeptischen und zersetzenden Geiste konnte man sich
schwer denken, daß ihm die katholische Religion als solche am Herzen liege.
Wenn er sich mitunter -- es geschah freilich selteu -- zu religiösem Pathos
erhob, so pflegte das Haus zu lachen, weil niemand glauben konnte, daß es
ihm damit wirklich Ernst sei. Viel näher liegt der Gedanke, daß Windthorst,
klar erkennend, wie die Herrschaft des katholischen Klerus ein Pfahl in dem


windthorst

im preußischen Abgeordnetenhause vor sich. Dieser Vereinigung gehörte nun
Windthorst ein, und durch seiue geistige Begabung wurde er bald ein Haupt¬
führer derselben. Nun hatte er, was er für seiue Wirksamkeit brauchte: eine
hinter ihm stehende starke Fraktion, die durch ihre Abstimmung seinen Worten
Nachdruck verlieh. Gleich anfangs trat die Fraktion im Reichstage mit 57,
im Landtage mit 54 Mitgliedern ans. Auch die hannöverschen Partikularsten
schlössen sich ihr an. Hand in Hand mit ihr gingen auch die Polen.

Die Fraktion begann ihre Wirksamkeit im Reichstage mit dem doppelten
Begehren, daß das deutsche Reich für die Wiederherstellung der weltlichen
Macht des Papstes eintreten solle, und daß die Paragraphen der preußischen
Verfassung über die Selbständigkeit der Kirchen, die so üble Zustände herbei¬
geführt hatten, in die Verfassung des deutschen Reiches aufgenommen werden
sollten. Damit war die Stellung des Zentrums als einer Oppositionspartei
von vornherein gegeben. Denn weder die Neichsregiernng noch die Mehrheit
des Reichstages vermochte auf diese Begehren einzugehen. Bismarck nahm den
ihm dargebotenen Kampf auf. In der klaren Erkenntnis, daß die Herrschaft,
die der katholische Klerus in einem großen Teile von Deutschland übt und
mittels deren er einen Staat im Staate zu bilden für seine Kirche in Anspruch
nimmt, zu den Erbübeln deutscher Nation gehört, wollte er den Versuch machen,
diese Herrschaft zu brechen. So entstand der Kampf, der sich dnrch eine Reihe
von Jahren hinzog und unter dem Namen „Kulturkampf" bekannt ist. Hütte
Bismarck in diesem Kampfe gesiegt, so würde dadurch unserm Vaterlande die
größte Wohlthat erwiesen worden sein, und er würde seinen unsterblichen Verdiensten
noch ein schwerwiegendes weiteres hinzugefügt haben. Daß Bismarck in diesem
Kampfe nicht siegte, daß er sich schließlich gedrungen fühlte, den Kampf auf¬
zugeben und die Schöpfungen desselben wieder abzubrechen, das ist vorzugs¬
weise das Werk Windthorsts. Er hat den innern Zwiespalt festgehalten, an
dem schon einmal Deutschland fast zu Grunde gegangen ist. Darm besteht die
geschichtliche Bedeutung dieses Mannes. . ,

Neben Windthorst hatte die klerikale Fraktion anfangs noch einen andern
hochbegabten Führer. Das war Mallinckrodt. Aber wie verschieden waren
beide! Wenn Mallinckrodt sprach, so fühlte man sofort heraus, daß alles bei
ihm tiefste Überzeugung war. Er war katholischer Fanatiker und kämpfte für
eine ihm heilige Sache. Ganz anders war der Eindruck, den man von Windt¬
horsts Reden gewann. Von Fanatismus keine Spur. Alles Sache schlauer
Berechnung. Bei seinem skeptischen und zersetzenden Geiste konnte man sich
schwer denken, daß ihm die katholische Religion als solche am Herzen liege.
Wenn er sich mitunter — es geschah freilich selteu — zu religiösem Pathos
erhob, so pflegte das Haus zu lachen, weil niemand glauben konnte, daß es
ihm damit wirklich Ernst sei. Viel näher liegt der Gedanke, daß Windthorst,
klar erkennend, wie die Herrschaft des katholischen Klerus ein Pfahl in dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/18>, abgerufen am 24.07.2024.