Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.windthorst erst die Zentralgewalt die Einzelstaaten zerreiben; dann aber die Reibung So die Rede des vielgewandten Mannes. Man sieht daraus, wie er Mit allen seinen Protestationen, Kvmpetenzbestreitnngen und Unglücks- Unter dem Feldgeschrei, daß dnrch die Entthronung des Papstes die Grenzboten II 1891 2
windthorst erst die Zentralgewalt die Einzelstaaten zerreiben; dann aber die Reibung So die Rede des vielgewandten Mannes. Man sieht daraus, wie er Mit allen seinen Protestationen, Kvmpetenzbestreitnngen und Unglücks- Unter dem Feldgeschrei, daß dnrch die Entthronung des Papstes die Grenzboten II 1891 2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209884"/> <fw type="header" place="top"> windthorst</fw><lb/> <p xml:id="ID_29" prev="#ID_28"> erst die Zentralgewalt die Einzelstaaten zerreiben; dann aber die Reibung<lb/> zwischen der Zentralgewalt und dem einen Hanse sich fortsetzen und daraus<lb/> schließlich Absolutismus oder die Republik „unzweifelhaft" hervorgehen.<lb/> „Also ich verlange absolut und notwendig das Oberhaus." Für den Reichs¬<lb/> tag aber verlange er Diäten. Ohne solche sei ein ordentliches Volkshans<lb/> unmöglich. Endlich verlange er sür eine ordentliche Verfassung ein Bundes¬<lb/> gericht. „So lange ich das nicht bekomme, habe ich keine Verfassung."<lb/> „Täuschen wir uns nicht — und mich die Baiern werden sich darüber gewiß<lb/> nicht täuschen —, alles, was sie erreicht haben, mag eine augenblickliche Be-<lb/> ruhigung geben, Sicherheit giebt es nicht — sie, wie wir, sind mediatisirt,<lb/> und die Hindernisse, die sie dagegen gelegt haben, werden wie vor dem Wiude<lb/> zerstäuben."</p><lb/> <p xml:id="ID_30"> So die Rede des vielgewandten Mannes. Man sieht daraus, wie er<lb/> nach allen Seiten die Fangarme ausstreckte und die Menschen dnrch Ver¬<lb/> lockungen zu kirren oder dnrch Beängstigungen zu schrecken suchte. Keine von<lb/> allen seinen ungeheuerlichen Prophezeiungen ist eingetroffen. Und nun fragen<lb/> wir ganz einfach: Hat Windthorst wirklich an all das Unglück, das er prophe¬<lb/> zeite, geglaubt? Bejaht man diese Frage, dann müssen wir ihn für einen sehr<lb/> beschränkten Menschen halten. Hat er aber selbst nicht daran geglaubt, hat<lb/> er seine Weissagungen ebenso, wie seine elenden juristischen Spitzfindigkeiten,<lb/> nur uach Art eines rabulistischen Advokaten zum Schrecknis der Menschen an<lb/> die Wand gemalt, wofür müssen wir ihn dann halten?</p><lb/> <p xml:id="ID_31"> Mit allen seinen Protestationen, Kvmpetenzbestreitnngen und Unglücks-<lb/> prvphezeinngen richtete er während dieser ersten Periode seiner Thätigkeit<lb/> nichts ans. Das Reich entwickelte sich schnell in erfreulichster Weise.<lb/> Hätte dieser Stand der Dinge angedauert, so wäre Windthorst ein unbedeu-<lb/> tender Mann geblieben, und er würde schließlich mit all seinen Tiraden,<lb/> denen ja jede ernste Grundlage fehlte, nur verlacht wordeu sein. Mit dem<lb/> Jahre 1871 aber trat, vielleicht schon lüuger vorbereitet, eine Veränderung<lb/> ein, die ihn in eine ganz andre Stellung brachte.</p><lb/> <p xml:id="ID_32" next="#ID_33"> Unter dem Feldgeschrei, daß dnrch die Entthronung des Papstes die<lb/> katholische Religion in Gefahr gebracht sei, hatte man es in den katho¬<lb/> lischen deutschen Ländern dahin gebracht, daß bei der Neichstagswahl vom<lb/> 3. März 1871 eine große Anzahl nltrnmontaner Abgeordneten gewühlt worden<lb/> war. In Süddentschland, namentlich in Vaiern, bedürfte es nicht einmal dieses<lb/> Reizmittels, um eiuen bedeutenden Teil der Wahlen ultramontan ausfallen zu<lb/> lassen. Diese Elemente einigten sich nnn im Reichstage zu einer neuen Fraktion,<lb/> dazu bestimmt, die Interessen der katholischen Kirche vom klerikalen Standpunkt<lb/> aus zu vertreten. Da man das aber nicht Wort haben wollte, nahm die<lb/> Fraktion den unschuldigen Namen des „Zentrums" an. Gleichzeitig mit der<lb/> Bildung dieser Fraktion im Reichstage ging die Bildung einer gleichen Fraktion'</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1891 2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
windthorst
erst die Zentralgewalt die Einzelstaaten zerreiben; dann aber die Reibung
zwischen der Zentralgewalt und dem einen Hanse sich fortsetzen und daraus
schließlich Absolutismus oder die Republik „unzweifelhaft" hervorgehen.
„Also ich verlange absolut und notwendig das Oberhaus." Für den Reichs¬
tag aber verlange er Diäten. Ohne solche sei ein ordentliches Volkshans
unmöglich. Endlich verlange er sür eine ordentliche Verfassung ein Bundes¬
gericht. „So lange ich das nicht bekomme, habe ich keine Verfassung."
„Täuschen wir uns nicht — und mich die Baiern werden sich darüber gewiß
nicht täuschen —, alles, was sie erreicht haben, mag eine augenblickliche Be-
ruhigung geben, Sicherheit giebt es nicht — sie, wie wir, sind mediatisirt,
und die Hindernisse, die sie dagegen gelegt haben, werden wie vor dem Wiude
zerstäuben."
So die Rede des vielgewandten Mannes. Man sieht daraus, wie er
nach allen Seiten die Fangarme ausstreckte und die Menschen dnrch Ver¬
lockungen zu kirren oder dnrch Beängstigungen zu schrecken suchte. Keine von
allen seinen ungeheuerlichen Prophezeiungen ist eingetroffen. Und nun fragen
wir ganz einfach: Hat Windthorst wirklich an all das Unglück, das er prophe¬
zeite, geglaubt? Bejaht man diese Frage, dann müssen wir ihn für einen sehr
beschränkten Menschen halten. Hat er aber selbst nicht daran geglaubt, hat
er seine Weissagungen ebenso, wie seine elenden juristischen Spitzfindigkeiten,
nur uach Art eines rabulistischen Advokaten zum Schrecknis der Menschen an
die Wand gemalt, wofür müssen wir ihn dann halten?
Mit allen seinen Protestationen, Kvmpetenzbestreitnngen und Unglücks-
prvphezeinngen richtete er während dieser ersten Periode seiner Thätigkeit
nichts ans. Das Reich entwickelte sich schnell in erfreulichster Weise.
Hätte dieser Stand der Dinge angedauert, so wäre Windthorst ein unbedeu-
tender Mann geblieben, und er würde schließlich mit all seinen Tiraden,
denen ja jede ernste Grundlage fehlte, nur verlacht wordeu sein. Mit dem
Jahre 1871 aber trat, vielleicht schon lüuger vorbereitet, eine Veränderung
ein, die ihn in eine ganz andre Stellung brachte.
Unter dem Feldgeschrei, daß dnrch die Entthronung des Papstes die
katholische Religion in Gefahr gebracht sei, hatte man es in den katho¬
lischen deutschen Ländern dahin gebracht, daß bei der Neichstagswahl vom
3. März 1871 eine große Anzahl nltrnmontaner Abgeordneten gewühlt worden
war. In Süddentschland, namentlich in Vaiern, bedürfte es nicht einmal dieses
Reizmittels, um eiuen bedeutenden Teil der Wahlen ultramontan ausfallen zu
lassen. Diese Elemente einigten sich nnn im Reichstage zu einer neuen Fraktion,
dazu bestimmt, die Interessen der katholischen Kirche vom klerikalen Standpunkt
aus zu vertreten. Da man das aber nicht Wort haben wollte, nahm die
Fraktion den unschuldigen Namen des „Zentrums" an. Gleichzeitig mit der
Bildung dieser Fraktion im Reichstage ging die Bildung einer gleichen Fraktion'
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