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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Marineetat im Reichstage

mochte es bei der so oft unmittelbar bevorstehenden Kriegsgefahr und der
langen Bauzeit, die große Kriegsschiffe erfordern, kaum ratsam erscheinen, die
geringen für Marinebanten übrig bleibenden Geldmittel für diese Zwecke zu
verwenden. Es kennzeichnet vielmehr die weise Sparsamkeit der Negierung,
daß sie unter diesen Umständen ans das Gute, den Bau von Schlachtschiffen,
vorläufig ganz verzichtete, um das Nötige zu erreichen, d. h, die bewilligten
Mittel zur Vermehrung der Torpedoflotte, für den unmittelbaren Küstenschutz
verwandte, weil die Herstellung der Torpedoboote weniger Geld und Zeit
kostete, und diese Fahrzeuge, dem damaligen Stande der französischen und
russische" Rüstungen, insbesondre der Flotten beider Länder gegenüber, nicht
in dem Maße unzureichend erschienen, wie dies heute der Fall ist.

Jetzt, wo der Ausbau der Landarmee nahezu vollendet ist, die Flotten
unsrer wahrscheinlichen Gegner sich bedrohlich verstärkt haben, ist es Pflicht
der Regierung, auch der Flotte die gleiche Sorge zuzuwenden wie der Land¬
armee, das Nötige durch das Bessere zu ersetzen.

Es hat sich seitdem herausgestellt, daß die Bedeutung der Torpedos
überschätzt wurde, und daß Panzerschiffe nach wie vor unentbehrlich sind. Man
hat im Gegenteil neuerdings sogar begonnen, auch die Kreuzer zu schützen,
weil sich dies der Wirkung der neuen Sprengmittel gegenüber auch als nötig
erwies. Wir müssen daher eilen, das aus Sparsamkeitsrücksichten früher ver¬
säumte wieder einzubringen, denn wir können nicht wissen, wie lange wir noch
Frieden behalten, und ob wir das Jahr 1894 und die Eröffnung des Nord-
ostseekanals ohne kriegerische Zwischenfälle erleben werden. Unsre Nachbarn
im Osten und Westen setzen unbeirrt ihre Rüstungen fort und haben erst
neuerdings wieder neue Truppen gegen die Grenze vorgeschoben; das gute
Einvernehmen zwischen Se. Petersburg und Paris festigt sich zusehends, und
die Ereignisse in Paris und Sofia sind nicht dazu angethan, die Friedens-
znversicht zu erhöhen.

Seine Lage inmitten seiner wahrscheinlichen Gegner macht es Deutschland zur
Pflicht, sich möglichst unabhängig von Bündnissen zu machen. Parlamentarisch
regierte Staaten bieten in dieser Richtung zu geringe Bürgschaften; ein Wechsel
der herrschende Partei und im Verein damit ein Ministerwechsel können jeden
Augenblick einen Shstemwechsel im Gefolge haben und alle politischen Kombi¬
nationen über den Haufen werfen.

Es ist allgemein anerkannt, daß die Küste eines Landes durch eine starke
und schnelle Schlachtflotte besser und mit geringerm Kostennufwaude geschützt
wird, als durch jedes Verteidigungssystem, das sich auf feste Verteidigungs¬
aulagen stützt, die sich nicht gegenseitig unterstützen können, selbst wenn jede
einzelne Befestigung mit unbegrenztem Aufwande von Geld und Soldaten
uneinnehmbar gemacht sein sollte.

Wie schon bemerkt, stützt sich der Schiffsbauplan eines Landes auf deu


Der Marineetat im Reichstage

mochte es bei der so oft unmittelbar bevorstehenden Kriegsgefahr und der
langen Bauzeit, die große Kriegsschiffe erfordern, kaum ratsam erscheinen, die
geringen für Marinebanten übrig bleibenden Geldmittel für diese Zwecke zu
verwenden. Es kennzeichnet vielmehr die weise Sparsamkeit der Negierung,
daß sie unter diesen Umständen ans das Gute, den Bau von Schlachtschiffen,
vorläufig ganz verzichtete, um das Nötige zu erreichen, d. h, die bewilligten
Mittel zur Vermehrung der Torpedoflotte, für den unmittelbaren Küstenschutz
verwandte, weil die Herstellung der Torpedoboote weniger Geld und Zeit
kostete, und diese Fahrzeuge, dem damaligen Stande der französischen und
russische» Rüstungen, insbesondre der Flotten beider Länder gegenüber, nicht
in dem Maße unzureichend erschienen, wie dies heute der Fall ist.

Jetzt, wo der Ausbau der Landarmee nahezu vollendet ist, die Flotten
unsrer wahrscheinlichen Gegner sich bedrohlich verstärkt haben, ist es Pflicht
der Regierung, auch der Flotte die gleiche Sorge zuzuwenden wie der Land¬
armee, das Nötige durch das Bessere zu ersetzen.

Es hat sich seitdem herausgestellt, daß die Bedeutung der Torpedos
überschätzt wurde, und daß Panzerschiffe nach wie vor unentbehrlich sind. Man
hat im Gegenteil neuerdings sogar begonnen, auch die Kreuzer zu schützen,
weil sich dies der Wirkung der neuen Sprengmittel gegenüber auch als nötig
erwies. Wir müssen daher eilen, das aus Sparsamkeitsrücksichten früher ver¬
säumte wieder einzubringen, denn wir können nicht wissen, wie lange wir noch
Frieden behalten, und ob wir das Jahr 1894 und die Eröffnung des Nord-
ostseekanals ohne kriegerische Zwischenfälle erleben werden. Unsre Nachbarn
im Osten und Westen setzen unbeirrt ihre Rüstungen fort und haben erst
neuerdings wieder neue Truppen gegen die Grenze vorgeschoben; das gute
Einvernehmen zwischen Se. Petersburg und Paris festigt sich zusehends, und
die Ereignisse in Paris und Sofia sind nicht dazu angethan, die Friedens-
znversicht zu erhöhen.

Seine Lage inmitten seiner wahrscheinlichen Gegner macht es Deutschland zur
Pflicht, sich möglichst unabhängig von Bündnissen zu machen. Parlamentarisch
regierte Staaten bieten in dieser Richtung zu geringe Bürgschaften; ein Wechsel
der herrschende Partei und im Verein damit ein Ministerwechsel können jeden
Augenblick einen Shstemwechsel im Gefolge haben und alle politischen Kombi¬
nationen über den Haufen werfen.

Es ist allgemein anerkannt, daß die Küste eines Landes durch eine starke
und schnelle Schlachtflotte besser und mit geringerm Kostennufwaude geschützt
wird, als durch jedes Verteidigungssystem, das sich auf feste Verteidigungs¬
aulagen stützt, die sich nicht gegenseitig unterstützen können, selbst wenn jede
einzelne Befestigung mit unbegrenztem Aufwande von Geld und Soldaten
uneinnehmbar gemacht sein sollte.

Wie schon bemerkt, stützt sich der Schiffsbauplan eines Landes auf deu


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[0169] Der Marineetat im Reichstage mochte es bei der so oft unmittelbar bevorstehenden Kriegsgefahr und der langen Bauzeit, die große Kriegsschiffe erfordern, kaum ratsam erscheinen, die geringen für Marinebanten übrig bleibenden Geldmittel für diese Zwecke zu verwenden. Es kennzeichnet vielmehr die weise Sparsamkeit der Negierung, daß sie unter diesen Umständen ans das Gute, den Bau von Schlachtschiffen, vorläufig ganz verzichtete, um das Nötige zu erreichen, d. h, die bewilligten Mittel zur Vermehrung der Torpedoflotte, für den unmittelbaren Küstenschutz verwandte, weil die Herstellung der Torpedoboote weniger Geld und Zeit kostete, und diese Fahrzeuge, dem damaligen Stande der französischen und russische» Rüstungen, insbesondre der Flotten beider Länder gegenüber, nicht in dem Maße unzureichend erschienen, wie dies heute der Fall ist. Jetzt, wo der Ausbau der Landarmee nahezu vollendet ist, die Flotten unsrer wahrscheinlichen Gegner sich bedrohlich verstärkt haben, ist es Pflicht der Regierung, auch der Flotte die gleiche Sorge zuzuwenden wie der Land¬ armee, das Nötige durch das Bessere zu ersetzen. Es hat sich seitdem herausgestellt, daß die Bedeutung der Torpedos überschätzt wurde, und daß Panzerschiffe nach wie vor unentbehrlich sind. Man hat im Gegenteil neuerdings sogar begonnen, auch die Kreuzer zu schützen, weil sich dies der Wirkung der neuen Sprengmittel gegenüber auch als nötig erwies. Wir müssen daher eilen, das aus Sparsamkeitsrücksichten früher ver¬ säumte wieder einzubringen, denn wir können nicht wissen, wie lange wir noch Frieden behalten, und ob wir das Jahr 1894 und die Eröffnung des Nord- ostseekanals ohne kriegerische Zwischenfälle erleben werden. Unsre Nachbarn im Osten und Westen setzen unbeirrt ihre Rüstungen fort und haben erst neuerdings wieder neue Truppen gegen die Grenze vorgeschoben; das gute Einvernehmen zwischen Se. Petersburg und Paris festigt sich zusehends, und die Ereignisse in Paris und Sofia sind nicht dazu angethan, die Friedens- znversicht zu erhöhen. Seine Lage inmitten seiner wahrscheinlichen Gegner macht es Deutschland zur Pflicht, sich möglichst unabhängig von Bündnissen zu machen. Parlamentarisch regierte Staaten bieten in dieser Richtung zu geringe Bürgschaften; ein Wechsel der herrschende Partei und im Verein damit ein Ministerwechsel können jeden Augenblick einen Shstemwechsel im Gefolge haben und alle politischen Kombi¬ nationen über den Haufen werfen. Es ist allgemein anerkannt, daß die Küste eines Landes durch eine starke und schnelle Schlachtflotte besser und mit geringerm Kostennufwaude geschützt wird, als durch jedes Verteidigungssystem, das sich auf feste Verteidigungs¬ aulagen stützt, die sich nicht gegenseitig unterstützen können, selbst wenn jede einzelne Befestigung mit unbegrenztem Aufwande von Geld und Soldaten uneinnehmbar gemacht sein sollte. Wie schon bemerkt, stützt sich der Schiffsbauplan eines Landes auf deu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/169>, abgerufen am 24.07.2024.