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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Neues von ZVilhelin Raabe

äußern Erscheinung ist sein Held Leonhard ein halber Afrikaner. Kaum ist
er heinigekehrt, so wendet sich die engherzige Philisterei gegen ihn, weil er aus
Afrika keine Reichtümer, keinen Goldstaub, keine Elefantenzähne, sondern nur
sich selbst nutgebracht hat. Der Abwesende war ein Held, der heimgekehrte
Leonhard ist ein Vagabund, mit dem die Verwandten keine Ehre einlegen
können, sondern der nnr Geld kosten wird, weil mau ihn doch zum mindesten
beköstigen muß, und dem schließlich der eigne Vater, der ehrsame Steuer¬
inspektor in Pension, die Thüre vor der Nase zuschlägt, nachdem er sich in
der Stammkneipe wegen dieses heimgekehrten Nichtforschers hat bespötteln lassen
müssen. Der Dichter macht jedoch seinen Liebling bald selbständig und läßt
ihn über die Philister triumphiren, wie er auch die andre Handlung, die
äußere Geschichte, an der Festessen beteiligt ist, zum poetisch gerechten Abschluß
bringt. Wie Christoph Pensum, so bleiben freilich auch dein Hagebncher nicht
Enttäuschungen erspart: er erhält seineu Korb, als er um die Hand
der schönen Professorstochter anhält. Philister und freie Menschen erscheinen
in reichen Abstufungen auf dem Plane der Handlung; zu den schönsten Frauen-
gestalten Naabes ist die muntere Nikola und die greise Heldin der Geduld,
Claudine lion Festessen, zu rechnen.

Wer einmal, etwa in einer Monographie, die Geschichte von Naabes
inneren Bildungsgange erzählen wird, dem blüht zu den mannichfachen
Schwierigkeiten, die diese tief in sich vergrabene, viel lesende und beobachtende
Dichterseele ohnehin schon bietet, noch eines der schwierigsten Probleme litterar-
historischer Kunst, nämlich die Aufgabe, eine Entwicklungsgeschichte seines
humoristischen Stils zu geben. Denn daß dieser Stil eine Entwicklungs¬
geschichte hat, wird für jeden anßer Zweifel stehen, der die zwei genannten
Bücher Naabes, die jetzt zwanzig Jahre alt sind, mit dem jüngsten Buche, der
See- und Mordgeschichte: Stopfkuchen vergleicht und sich auch noch etwa
die dazwischen liegenden Dichtungen Naabes, insbesondre "Pfisters Mühle"
und den "Lar" vor Angen hält. So künstlerisch vollendet wie in "Stopf-
kucheu" hat sich Naabes Stil unsers Erachtens noch nicht gezeigt. Von
Anfang an hat hier der Humorist die Neigung, deu Gang der Handlung und
der Ereignisse durch Betrachtungen über sie und auch über sich selbst und über
den Leser in scherzhafter Weise zu unterbrechen, denn wie wir schou oben
ausgeführt haben, ist es dem Dichter nicht um Naivität zu thun, sei es der
Darstellung oder des Genusses, sondern im Gegenteil um höchste Reflexion,
um allseitigste Spiegelung, um möglichste Durchgeistigung seines Stoffes, und
damit will er uns stets im Zustande der höchsten Freiheit erhalten, die ihm
als das wertvollste Gut erscheint. Bei alledem hat er aber doch stets das
Bestreben, die übermütig gestörte Illusion nicht im Ernst zu zerstören, vielmehr
die Anschauung von Menschen, Stimmungen und Vorgängen so klar, fest und
eindringlich zu erhalten, als nnr möglich. Thäte er dies nicht, so hörte er


Neues von ZVilhelin Raabe

äußern Erscheinung ist sein Held Leonhard ein halber Afrikaner. Kaum ist
er heinigekehrt, so wendet sich die engherzige Philisterei gegen ihn, weil er aus
Afrika keine Reichtümer, keinen Goldstaub, keine Elefantenzähne, sondern nur
sich selbst nutgebracht hat. Der Abwesende war ein Held, der heimgekehrte
Leonhard ist ein Vagabund, mit dem die Verwandten keine Ehre einlegen
können, sondern der nnr Geld kosten wird, weil mau ihn doch zum mindesten
beköstigen muß, und dem schließlich der eigne Vater, der ehrsame Steuer¬
inspektor in Pension, die Thüre vor der Nase zuschlägt, nachdem er sich in
der Stammkneipe wegen dieses heimgekehrten Nichtforschers hat bespötteln lassen
müssen. Der Dichter macht jedoch seinen Liebling bald selbständig und läßt
ihn über die Philister triumphiren, wie er auch die andre Handlung, die
äußere Geschichte, an der Festessen beteiligt ist, zum poetisch gerechten Abschluß
bringt. Wie Christoph Pensum, so bleiben freilich auch dein Hagebncher nicht
Enttäuschungen erspart: er erhält seineu Korb, als er um die Hand
der schönen Professorstochter anhält. Philister und freie Menschen erscheinen
in reichen Abstufungen auf dem Plane der Handlung; zu den schönsten Frauen-
gestalten Naabes ist die muntere Nikola und die greise Heldin der Geduld,
Claudine lion Festessen, zu rechnen.

Wer einmal, etwa in einer Monographie, die Geschichte von Naabes
inneren Bildungsgange erzählen wird, dem blüht zu den mannichfachen
Schwierigkeiten, die diese tief in sich vergrabene, viel lesende und beobachtende
Dichterseele ohnehin schon bietet, noch eines der schwierigsten Probleme litterar-
historischer Kunst, nämlich die Aufgabe, eine Entwicklungsgeschichte seines
humoristischen Stils zu geben. Denn daß dieser Stil eine Entwicklungs¬
geschichte hat, wird für jeden anßer Zweifel stehen, der die zwei genannten
Bücher Naabes, die jetzt zwanzig Jahre alt sind, mit dem jüngsten Buche, der
See- und Mordgeschichte: Stopfkuchen vergleicht und sich auch noch etwa
die dazwischen liegenden Dichtungen Naabes, insbesondre „Pfisters Mühle"
und den „Lar" vor Angen hält. So künstlerisch vollendet wie in „Stopf-
kucheu" hat sich Naabes Stil unsers Erachtens noch nicht gezeigt. Von
Anfang an hat hier der Humorist die Neigung, deu Gang der Handlung und
der Ereignisse durch Betrachtungen über sie und auch über sich selbst und über
den Leser in scherzhafter Weise zu unterbrechen, denn wie wir schou oben
ausgeführt haben, ist es dem Dichter nicht um Naivität zu thun, sei es der
Darstellung oder des Genusses, sondern im Gegenteil um höchste Reflexion,
um allseitigste Spiegelung, um möglichste Durchgeistigung seines Stoffes, und
damit will er uns stets im Zustande der höchsten Freiheit erhalten, die ihm
als das wertvollste Gut erscheint. Bei alledem hat er aber doch stets das
Bestreben, die übermütig gestörte Illusion nicht im Ernst zu zerstören, vielmehr
die Anschauung von Menschen, Stimmungen und Vorgängen so klar, fest und
eindringlich zu erhalten, als nnr möglich. Thäte er dies nicht, so hörte er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/156>, abgerufen am 24.07.2024.