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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Tübinger Exstiftler und Zeitungsschreiber Christoph Pensum gehört in die
Reihe von Racibes humoristischen Lieblingen, die die Philister beherrschen. Er
ist ein prächtiger Mensch in der untersetzten Festigkeit seines Leibes und seiner
Unverwüstlichkeit der Geduld, mit der er den langweiligen Pantoffelhelden
Ferdinand von Rippgen erträgt. Als ihm zum Schluß das Malheur passirt
(hier darf man die Fremdwörter brauchen, denn "das Unglück begegnet" wäre
etwas ganz andres), sich mit einer abenteuerlichen Engländerin zu verloben,
deren Vergangenheit er zu spät erkennt, da empfinden wir einiges Bedauern,
daß der heitere und witzige Mann so viel Pech haben muß. Die Erzählung
ist reich an lustigen Episoden, im ganzen aber erscheint sie uns doch zu aus¬
gesponnen -- selbst mit Raabischem Maße gemessen. Die satirischen Ge¬
stalten des Ehepaares Nippgen können uns doch nicht so lange fesseln; man
bekommt sie schließlich satt, und das ist doch nicht die vom Dichter beabsichtigte
Wirkung.

Der Roman "Abu Telfan" gehört zu den Hauptwerken Rciabes, die mau
kennen muß, wenn mau von dem Dichter sprechen will; denn hier hat er sein
großes Liebliugsmvtiv, die Philisterei und ihr Gegenteil, recht eigentlich zum
Thema der Dichtung gemacht. Er halt der konventionellen und unliebens-
würdigen Gegenwart mit allen ihren Schwächen den Spiegel vor, und die
Schwierigkeiten, denen der Held, der ans dem Mondgebirge heimgekehrte
Deutsche, begegnet, gereichen nicht diesem, sondern nach des Dichters Meinung
der .'.eil zur Schmach. Leonhard Hagebncher ist ein ans der theologischen
Fakultät entlaufener Student, der nach vielen Abenteuern in Italien und
Ägypten zu Ende der fünfziger Jahre bei den Mohren von Abu Telfau in
Gefangenschaft geraten ist. Zehn Jahre schmachtet Hagebucher in der abscheu¬
lichen Sklaverei, bis ihn ein glücklicher Zufall rettet. Der Leutnant Wiktor
von Fehleysen ist aus Empörung über das ungerechte Schicksal seines ehrlichen
Vaters aus Deutschland entflohen. Dieser Vater hat den Fehler begangen,
in seiner Stellung als Militärrichter nicht Rücksicht ans Wünsche von oben
zu nehmen und einen adlichen Schuft zu schönen, sondern zu Gunsten eines
gemeine" Soldaten Recht zu sprechen; infolge dessen ist er von seinen Verufs-
und Amtsgenossen förmlich bohkottirt worden und ist aus Gram darüber ge¬
storben. In vhiunächtiger Wut hat Viktor den Dienst verlassen und ist als
holländischer Leutnant van der Mook uach Afrika gegangen. Dort trifft er
Hagebucher und kauft ihn los. Dieser Hagebncher hat sich aber inzwischen
noch mehr den herrschenden Sitten und Vorurteilen der deutschen Heimat ent¬
fremdet, und dieser Gegensatz zwischen seiner Urwüchsigkeit, Wahrhaftigkeit,
Salonunfähigkeit und deu Ansprüchen der sogenannten guten Gesellschaft ist
das Thema des Romans. Raabe hat da Gelegenheit, seinen Hohn auf die
Ängstlichkeit und Beschränktheit der Kleinstaaterei und Pvlizeiwirtschaft des
damaligen Deutschlands den weitesten Spielraum zu geben. Schon in der


Der Tübinger Exstiftler und Zeitungsschreiber Christoph Pensum gehört in die
Reihe von Racibes humoristischen Lieblingen, die die Philister beherrschen. Er
ist ein prächtiger Mensch in der untersetzten Festigkeit seines Leibes und seiner
Unverwüstlichkeit der Geduld, mit der er den langweiligen Pantoffelhelden
Ferdinand von Rippgen erträgt. Als ihm zum Schluß das Malheur passirt
(hier darf man die Fremdwörter brauchen, denn „das Unglück begegnet" wäre
etwas ganz andres), sich mit einer abenteuerlichen Engländerin zu verloben,
deren Vergangenheit er zu spät erkennt, da empfinden wir einiges Bedauern,
daß der heitere und witzige Mann so viel Pech haben muß. Die Erzählung
ist reich an lustigen Episoden, im ganzen aber erscheint sie uns doch zu aus¬
gesponnen — selbst mit Raabischem Maße gemessen. Die satirischen Ge¬
stalten des Ehepaares Nippgen können uns doch nicht so lange fesseln; man
bekommt sie schließlich satt, und das ist doch nicht die vom Dichter beabsichtigte
Wirkung.

Der Roman „Abu Telfan" gehört zu den Hauptwerken Rciabes, die mau
kennen muß, wenn mau von dem Dichter sprechen will; denn hier hat er sein
großes Liebliugsmvtiv, die Philisterei und ihr Gegenteil, recht eigentlich zum
Thema der Dichtung gemacht. Er halt der konventionellen und unliebens-
würdigen Gegenwart mit allen ihren Schwächen den Spiegel vor, und die
Schwierigkeiten, denen der Held, der ans dem Mondgebirge heimgekehrte
Deutsche, begegnet, gereichen nicht diesem, sondern nach des Dichters Meinung
der .'.eil zur Schmach. Leonhard Hagebncher ist ein ans der theologischen
Fakultät entlaufener Student, der nach vielen Abenteuern in Italien und
Ägypten zu Ende der fünfziger Jahre bei den Mohren von Abu Telfau in
Gefangenschaft geraten ist. Zehn Jahre schmachtet Hagebucher in der abscheu¬
lichen Sklaverei, bis ihn ein glücklicher Zufall rettet. Der Leutnant Wiktor
von Fehleysen ist aus Empörung über das ungerechte Schicksal seines ehrlichen
Vaters aus Deutschland entflohen. Dieser Vater hat den Fehler begangen,
in seiner Stellung als Militärrichter nicht Rücksicht ans Wünsche von oben
zu nehmen und einen adlichen Schuft zu schönen, sondern zu Gunsten eines
gemeine» Soldaten Recht zu sprechen; infolge dessen ist er von seinen Verufs-
und Amtsgenossen förmlich bohkottirt worden und ist aus Gram darüber ge¬
storben. In vhiunächtiger Wut hat Viktor den Dienst verlassen und ist als
holländischer Leutnant van der Mook uach Afrika gegangen. Dort trifft er
Hagebucher und kauft ihn los. Dieser Hagebncher hat sich aber inzwischen
noch mehr den herrschenden Sitten und Vorurteilen der deutschen Heimat ent¬
fremdet, und dieser Gegensatz zwischen seiner Urwüchsigkeit, Wahrhaftigkeit,
Salonunfähigkeit und deu Ansprüchen der sogenannten guten Gesellschaft ist
das Thema des Romans. Raabe hat da Gelegenheit, seinen Hohn auf die
Ängstlichkeit und Beschränktheit der Kleinstaaterei und Pvlizeiwirtschaft des
damaligen Deutschlands den weitesten Spielraum zu geben. Schon in der


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[0155] Der Tübinger Exstiftler und Zeitungsschreiber Christoph Pensum gehört in die Reihe von Racibes humoristischen Lieblingen, die die Philister beherrschen. Er ist ein prächtiger Mensch in der untersetzten Festigkeit seines Leibes und seiner Unverwüstlichkeit der Geduld, mit der er den langweiligen Pantoffelhelden Ferdinand von Rippgen erträgt. Als ihm zum Schluß das Malheur passirt (hier darf man die Fremdwörter brauchen, denn „das Unglück begegnet" wäre etwas ganz andres), sich mit einer abenteuerlichen Engländerin zu verloben, deren Vergangenheit er zu spät erkennt, da empfinden wir einiges Bedauern, daß der heitere und witzige Mann so viel Pech haben muß. Die Erzählung ist reich an lustigen Episoden, im ganzen aber erscheint sie uns doch zu aus¬ gesponnen — selbst mit Raabischem Maße gemessen. Die satirischen Ge¬ stalten des Ehepaares Nippgen können uns doch nicht so lange fesseln; man bekommt sie schließlich satt, und das ist doch nicht die vom Dichter beabsichtigte Wirkung. Der Roman „Abu Telfan" gehört zu den Hauptwerken Rciabes, die mau kennen muß, wenn mau von dem Dichter sprechen will; denn hier hat er sein großes Liebliugsmvtiv, die Philisterei und ihr Gegenteil, recht eigentlich zum Thema der Dichtung gemacht. Er halt der konventionellen und unliebens- würdigen Gegenwart mit allen ihren Schwächen den Spiegel vor, und die Schwierigkeiten, denen der Held, der ans dem Mondgebirge heimgekehrte Deutsche, begegnet, gereichen nicht diesem, sondern nach des Dichters Meinung der .'.eil zur Schmach. Leonhard Hagebncher ist ein ans der theologischen Fakultät entlaufener Student, der nach vielen Abenteuern in Italien und Ägypten zu Ende der fünfziger Jahre bei den Mohren von Abu Telfau in Gefangenschaft geraten ist. Zehn Jahre schmachtet Hagebucher in der abscheu¬ lichen Sklaverei, bis ihn ein glücklicher Zufall rettet. Der Leutnant Wiktor von Fehleysen ist aus Empörung über das ungerechte Schicksal seines ehrlichen Vaters aus Deutschland entflohen. Dieser Vater hat den Fehler begangen, in seiner Stellung als Militärrichter nicht Rücksicht ans Wünsche von oben zu nehmen und einen adlichen Schuft zu schönen, sondern zu Gunsten eines gemeine» Soldaten Recht zu sprechen; infolge dessen ist er von seinen Verufs- und Amtsgenossen förmlich bohkottirt worden und ist aus Gram darüber ge¬ storben. In vhiunächtiger Wut hat Viktor den Dienst verlassen und ist als holländischer Leutnant van der Mook uach Afrika gegangen. Dort trifft er Hagebucher und kauft ihn los. Dieser Hagebncher hat sich aber inzwischen noch mehr den herrschenden Sitten und Vorurteilen der deutschen Heimat ent¬ fremdet, und dieser Gegensatz zwischen seiner Urwüchsigkeit, Wahrhaftigkeit, Salonunfähigkeit und deu Ansprüchen der sogenannten guten Gesellschaft ist das Thema des Romans. Raabe hat da Gelegenheit, seinen Hohn auf die Ängstlichkeit und Beschränktheit der Kleinstaaterei und Pvlizeiwirtschaft des damaligen Deutschlands den weitesten Spielraum zu geben. Schon in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/155>, abgerufen am 24.07.2024.