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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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und ihrer Beschaffenheit überzeugen. Die Geschichtsforschung kann daher auch
nur von großen und allseitig unterrichteten Meiischen und künstlerischen Naturen
gedeihlich betrieben werden, und ein solcher Genius war in diesem Jahrhundert
Leopold von Ranke.

In diesem Geiste hat Ranke die Geschichte betrieben. Er ging aus auf
das Verständnis der Menschen. Geschichte war ihm vor allem Geschichte der
Politik, er war der Meister künstlerischer Darstellung der Persönlichkeiten, er
hat seine besondre Frende am Studium der großen Meister der Politik auf
dem Stuhle Petri im ganzen Mittelalter gefunden, und der Ruf seiner viel¬
gerühmten und viel umstrittenen Objektivität stammt eben daher, daß er sich
so ganz in das nachfühlen der großen Thatmenschen der Politik versenken
konnte und mehr Nachdruck auf die Darstellung des reich verschlungenen und
tief motivirten Systems von politischen Handlungen, als auf die billigere
Beurteilung derselben von moralischen und religiösen Gesichtspnnktei, gelegt hat.
Wenn mau aber glaubt, daß sich Rankes Objektivität jeder Beurteilung des
sittlichen Wertes der Menschen und ihrer Handlungen enthalten habe, so weist
dies Ottokar Lorenz als kindlichen Aberglauben zurück. Denn schon in der
Auswahl der erzählten Dinge bekundet sich ja eine Wertbeurteilung; der
künstlerisch schöpferische Geschichtschreiber, der dort, wo die Quellen der Über¬
lieferung jede Aufklärung versagen, ans seinem eignen Geiste "synthetisch" den
Sachverhalt darstellt, kann ja gar nicht anders als subjektiv vorgehen; nur
daß diese Subjektivität Rankes sich uicht so aufdringlich äußert, wie bei den
doktrinären Historikern Schlosser, Dahlmann, Gervinus, sondern immer lieber
die Thatsachen als die eigne Meinung sprechen läßt. Ranke war eben Künstler
in der Geschichtschreibung. Und dazu kommt, daß er die Geschichte nicht vom
Standpunkte der Fvrtschrittsidee schrieb. Der Fortschritt in der Geschichte war
für ihn gar uicht so ausgemacht, wie für die liberalen Schulen. Zwar hat
er so wie Guizot auch einen Fortschritt der Zivilisation anerkannt in dein
Sinne, daß der Mensch im Lauf der Zeiten zu gesteigerter Herrschaft über die
Natur gelangt und sein Dasein dadurch vielfach bereichert, aber ob auch ein
sittlicher Fortschritt bestehe, war ihm keineswegs sicher. Für den Standpunkt
des religiös empfindenden llniversalhistorikers hat jedes menschliche Geschlecht
seinen im Auge Gottes gleichen Wert, der gewürdigt und anerkannt werden
muß, und das ist die berühmte nautische Objektivität: also eigentlich eine
kaum je dagewesene Höhe der Betrachtung menschlicher Dinge, die aber nichts
weniger als einen Verzicht ans die sittliche Wertbeurteilung der Menschen und
ihrer Thäte" bedeutet. Ranke glaubte so wenig nu einen Fortschritt in ge¬
wisse,, Dingen, daß er zweifelte, ob die Philosophie seit Plato, die Geschicht¬
schreibung seit Thukydides wirklich Fortschritte gemacht Hütte. Am aller¬
wenigsten aber ist in dem kleinlichen Kritizismus unsrer historischen Schulen
ein solcher Fortschritt zu erkennen. Wenn diese ihren ganzen Ehrgeiz in die


Vttokar Lorenz

und ihrer Beschaffenheit überzeugen. Die Geschichtsforschung kann daher auch
nur von großen und allseitig unterrichteten Meiischen und künstlerischen Naturen
gedeihlich betrieben werden, und ein solcher Genius war in diesem Jahrhundert
Leopold von Ranke.

In diesem Geiste hat Ranke die Geschichte betrieben. Er ging aus auf
das Verständnis der Menschen. Geschichte war ihm vor allem Geschichte der
Politik, er war der Meister künstlerischer Darstellung der Persönlichkeiten, er
hat seine besondre Frende am Studium der großen Meister der Politik auf
dem Stuhle Petri im ganzen Mittelalter gefunden, und der Ruf seiner viel¬
gerühmten und viel umstrittenen Objektivität stammt eben daher, daß er sich
so ganz in das nachfühlen der großen Thatmenschen der Politik versenken
konnte und mehr Nachdruck auf die Darstellung des reich verschlungenen und
tief motivirten Systems von politischen Handlungen, als auf die billigere
Beurteilung derselben von moralischen und religiösen Gesichtspnnktei, gelegt hat.
Wenn mau aber glaubt, daß sich Rankes Objektivität jeder Beurteilung des
sittlichen Wertes der Menschen und ihrer Handlungen enthalten habe, so weist
dies Ottokar Lorenz als kindlichen Aberglauben zurück. Denn schon in der
Auswahl der erzählten Dinge bekundet sich ja eine Wertbeurteilung; der
künstlerisch schöpferische Geschichtschreiber, der dort, wo die Quellen der Über¬
lieferung jede Aufklärung versagen, ans seinem eignen Geiste „synthetisch" den
Sachverhalt darstellt, kann ja gar nicht anders als subjektiv vorgehen; nur
daß diese Subjektivität Rankes sich uicht so aufdringlich äußert, wie bei den
doktrinären Historikern Schlosser, Dahlmann, Gervinus, sondern immer lieber
die Thatsachen als die eigne Meinung sprechen läßt. Ranke war eben Künstler
in der Geschichtschreibung. Und dazu kommt, daß er die Geschichte nicht vom
Standpunkte der Fvrtschrittsidee schrieb. Der Fortschritt in der Geschichte war
für ihn gar uicht so ausgemacht, wie für die liberalen Schulen. Zwar hat
er so wie Guizot auch einen Fortschritt der Zivilisation anerkannt in dein
Sinne, daß der Mensch im Lauf der Zeiten zu gesteigerter Herrschaft über die
Natur gelangt und sein Dasein dadurch vielfach bereichert, aber ob auch ein
sittlicher Fortschritt bestehe, war ihm keineswegs sicher. Für den Standpunkt
des religiös empfindenden llniversalhistorikers hat jedes menschliche Geschlecht
seinen im Auge Gottes gleichen Wert, der gewürdigt und anerkannt werden
muß, und das ist die berühmte nautische Objektivität: also eigentlich eine
kaum je dagewesene Höhe der Betrachtung menschlicher Dinge, die aber nichts
weniger als einen Verzicht ans die sittliche Wertbeurteilung der Menschen und
ihrer Thäte» bedeutet. Ranke glaubte so wenig nu einen Fortschritt in ge¬
wisse,, Dingen, daß er zweifelte, ob die Philosophie seit Plato, die Geschicht¬
schreibung seit Thukydides wirklich Fortschritte gemacht Hütte. Am aller¬
wenigsten aber ist in dem kleinlichen Kritizismus unsrer historischen Schulen
ein solcher Fortschritt zu erkennen. Wenn diese ihren ganzen Ehrgeiz in die


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[0144] Vttokar Lorenz und ihrer Beschaffenheit überzeugen. Die Geschichtsforschung kann daher auch nur von großen und allseitig unterrichteten Meiischen und künstlerischen Naturen gedeihlich betrieben werden, und ein solcher Genius war in diesem Jahrhundert Leopold von Ranke. In diesem Geiste hat Ranke die Geschichte betrieben. Er ging aus auf das Verständnis der Menschen. Geschichte war ihm vor allem Geschichte der Politik, er war der Meister künstlerischer Darstellung der Persönlichkeiten, er hat seine besondre Frende am Studium der großen Meister der Politik auf dem Stuhle Petri im ganzen Mittelalter gefunden, und der Ruf seiner viel¬ gerühmten und viel umstrittenen Objektivität stammt eben daher, daß er sich so ganz in das nachfühlen der großen Thatmenschen der Politik versenken konnte und mehr Nachdruck auf die Darstellung des reich verschlungenen und tief motivirten Systems von politischen Handlungen, als auf die billigere Beurteilung derselben von moralischen und religiösen Gesichtspnnktei, gelegt hat. Wenn mau aber glaubt, daß sich Rankes Objektivität jeder Beurteilung des sittlichen Wertes der Menschen und ihrer Handlungen enthalten habe, so weist dies Ottokar Lorenz als kindlichen Aberglauben zurück. Denn schon in der Auswahl der erzählten Dinge bekundet sich ja eine Wertbeurteilung; der künstlerisch schöpferische Geschichtschreiber, der dort, wo die Quellen der Über¬ lieferung jede Aufklärung versagen, ans seinem eignen Geiste „synthetisch" den Sachverhalt darstellt, kann ja gar nicht anders als subjektiv vorgehen; nur daß diese Subjektivität Rankes sich uicht so aufdringlich äußert, wie bei den doktrinären Historikern Schlosser, Dahlmann, Gervinus, sondern immer lieber die Thatsachen als die eigne Meinung sprechen läßt. Ranke war eben Künstler in der Geschichtschreibung. Und dazu kommt, daß er die Geschichte nicht vom Standpunkte der Fvrtschrittsidee schrieb. Der Fortschritt in der Geschichte war für ihn gar uicht so ausgemacht, wie für die liberalen Schulen. Zwar hat er so wie Guizot auch einen Fortschritt der Zivilisation anerkannt in dein Sinne, daß der Mensch im Lauf der Zeiten zu gesteigerter Herrschaft über die Natur gelangt und sein Dasein dadurch vielfach bereichert, aber ob auch ein sittlicher Fortschritt bestehe, war ihm keineswegs sicher. Für den Standpunkt des religiös empfindenden llniversalhistorikers hat jedes menschliche Geschlecht seinen im Auge Gottes gleichen Wert, der gewürdigt und anerkannt werden muß, und das ist die berühmte nautische Objektivität: also eigentlich eine kaum je dagewesene Höhe der Betrachtung menschlicher Dinge, die aber nichts weniger als einen Verzicht ans die sittliche Wertbeurteilung der Menschen und ihrer Thäte» bedeutet. Ranke glaubte so wenig nu einen Fortschritt in ge¬ wisse,, Dingen, daß er zweifelte, ob die Philosophie seit Plato, die Geschicht¬ schreibung seit Thukydides wirklich Fortschritte gemacht Hütte. Am aller¬ wenigsten aber ist in dem kleinlichen Kritizismus unsrer historischen Schulen ein solcher Fortschritt zu erkennen. Wenn diese ihren ganzen Ehrgeiz in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/144>, abgerufen am 24.07.2024.