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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Gttokar Lorenz

Trieb? >ab wie ist er beschaffen? wie stehts mit dem historischen Sinn? wie
mit den Methoden der Forschung? mit den Methoden des Unterrichts? u, s. w.

In diesen Wald von Fragen führt uns das geistsprühende und fesselnde
Werk von Ottoknr Lorenz: Die Geschichtswissenschaft in Haupt¬
richtungen und Aufgaben (Berlin, Hertz), dessen erster Teil (1886 erschienen)
die allgemeine Aufmerksamkeit der gelehrten Welt erregt und eine Flut von
Entgegnungen hervorgerufen hat, dessen zweiter Teil nun auch seit kurzem
unter dem Titel: Leopold von Ranke, die Generationslehre und
der Geschichtsunterricht vorliegt und vielleicht noch mehr Beachtung
verdient. Denn nachdem wir den starken Band mit größtem Interesse zu
Ende gelesen hatten, da war uns zu Mute, als hätten wir den Niedergang
eines mächtigen und prächtigen Gewitters erlebt, nach langer, schwüler, ver¬
dorrender und verderbender Sommerhitze, in der nichts gedeihen will. Nun
atmen wir erfrischt und gehoben mit leichter Vrnst wieder auf, uun fühlen
wir uns wieder als arbeitsfähige, fröhliche Menschen, wahrend wir bisher nur
vegetiren konnten. Das Buch von Lorenz bedeutet eine Abrechnung mit allen
Feinden der Wissenschaft in und außerhalb der Schule, mit jenen hochmütigen
Herren von der Naturwissenschaft, die alles, was nicht meßbar, wägbar und
tastbar ist, aus dem Reich der wissenschaftlichen Erkenntnis bannen, für die
alle Existenz, die nicht sinnlich beweisbar ist, aufhört, Existenz zu sein; eine
Abrechnung mit jenen einseitigen Menschen, die den Begriff Wissenschaft blos
von den Naturwissenschaften abziehen und sich nicht klar darüber werden
können, daß die Wissenschaften je nach der Verschiedenheit ihrer Objekte ver¬
schiedene Ziele und verschiedene Methoden verfolgen und verwenden müssen.
Lorenz wendet sich aber auch gegen diejenigen Feinde der Geschichtswissenschaft,
die ihr aus nähern und nächsten Gebieten und aus dem eignen Lager erwachsen
sind, und indem er deren Fehler und Irrtümer nachweist, kommt er zu seinen
eignen positiven Ausstellungen und Forderungen: seine Kritik ist schöpferisch.
Die Grundzüge seiner Anschauung von der Aufgabe der Geschichtsforschung
hat er schon im ersten Teil seines Werkes entworfen, aber man hat sie viel¬
fach bekämpft. Nun geht er von der Analyse des Meisters der Geschichts¬
forschung aus, deu die gesamte gelehrte Welt als den Führer verehrt: Leopold
von Ranke, und führt den Nachweis, daß seine gesamte Lehre von Ranke teils
andeutungsweise, teils ausdrücklich, teils praktisch stillschweigend anerkannt,
angeregt, vorweggenommen worden ist. Dieser Nachweis macht dem Verfasser
ein ganz besondres Vergnügen, ebenso die Aufdeckung einer andern seiner
Quellen, der geschichtsphilvsophischen Schriften des Franzosen Th, Ribot, die
keiner seiner Gegner gekannt zu haben scheint, und die er nicht genug zu preisen
weiß. Am nachdrücklichsten aber sührt er seinen Kampf gegen jene Vertreter
der Wissenschaft, die jedes Bewußtsein ihrer großen Ziele: der politischen
Bildung der Menschen und Erkenntnis des großen Zusammenhanges der Welt-'


Grenzbvwi II 1891 18
Gttokar Lorenz

Trieb? >ab wie ist er beschaffen? wie stehts mit dem historischen Sinn? wie
mit den Methoden der Forschung? mit den Methoden des Unterrichts? u, s. w.

In diesen Wald von Fragen führt uns das geistsprühende und fesselnde
Werk von Ottoknr Lorenz: Die Geschichtswissenschaft in Haupt¬
richtungen und Aufgaben (Berlin, Hertz), dessen erster Teil (1886 erschienen)
die allgemeine Aufmerksamkeit der gelehrten Welt erregt und eine Flut von
Entgegnungen hervorgerufen hat, dessen zweiter Teil nun auch seit kurzem
unter dem Titel: Leopold von Ranke, die Generationslehre und
der Geschichtsunterricht vorliegt und vielleicht noch mehr Beachtung
verdient. Denn nachdem wir den starken Band mit größtem Interesse zu
Ende gelesen hatten, da war uns zu Mute, als hätten wir den Niedergang
eines mächtigen und prächtigen Gewitters erlebt, nach langer, schwüler, ver¬
dorrender und verderbender Sommerhitze, in der nichts gedeihen will. Nun
atmen wir erfrischt und gehoben mit leichter Vrnst wieder auf, uun fühlen
wir uns wieder als arbeitsfähige, fröhliche Menschen, wahrend wir bisher nur
vegetiren konnten. Das Buch von Lorenz bedeutet eine Abrechnung mit allen
Feinden der Wissenschaft in und außerhalb der Schule, mit jenen hochmütigen
Herren von der Naturwissenschaft, die alles, was nicht meßbar, wägbar und
tastbar ist, aus dem Reich der wissenschaftlichen Erkenntnis bannen, für die
alle Existenz, die nicht sinnlich beweisbar ist, aufhört, Existenz zu sein; eine
Abrechnung mit jenen einseitigen Menschen, die den Begriff Wissenschaft blos
von den Naturwissenschaften abziehen und sich nicht klar darüber werden
können, daß die Wissenschaften je nach der Verschiedenheit ihrer Objekte ver¬
schiedene Ziele und verschiedene Methoden verfolgen und verwenden müssen.
Lorenz wendet sich aber auch gegen diejenigen Feinde der Geschichtswissenschaft,
die ihr aus nähern und nächsten Gebieten und aus dem eignen Lager erwachsen
sind, und indem er deren Fehler und Irrtümer nachweist, kommt er zu seinen
eignen positiven Ausstellungen und Forderungen: seine Kritik ist schöpferisch.
Die Grundzüge seiner Anschauung von der Aufgabe der Geschichtsforschung
hat er schon im ersten Teil seines Werkes entworfen, aber man hat sie viel¬
fach bekämpft. Nun geht er von der Analyse des Meisters der Geschichts¬
forschung aus, deu die gesamte gelehrte Welt als den Führer verehrt: Leopold
von Ranke, und führt den Nachweis, daß seine gesamte Lehre von Ranke teils
andeutungsweise, teils ausdrücklich, teils praktisch stillschweigend anerkannt,
angeregt, vorweggenommen worden ist. Dieser Nachweis macht dem Verfasser
ein ganz besondres Vergnügen, ebenso die Aufdeckung einer andern seiner
Quellen, der geschichtsphilvsophischen Schriften des Franzosen Th, Ribot, die
keiner seiner Gegner gekannt zu haben scheint, und die er nicht genug zu preisen
weiß. Am nachdrücklichsten aber sührt er seinen Kampf gegen jene Vertreter
der Wissenschaft, die jedes Bewußtsein ihrer großen Ziele: der politischen
Bildung der Menschen und Erkenntnis des großen Zusammenhanges der Welt-'


Grenzbvwi II 1891 18
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[0141] Gttokar Lorenz Trieb? >ab wie ist er beschaffen? wie stehts mit dem historischen Sinn? wie mit den Methoden der Forschung? mit den Methoden des Unterrichts? u, s. w. In diesen Wald von Fragen führt uns das geistsprühende und fesselnde Werk von Ottoknr Lorenz: Die Geschichtswissenschaft in Haupt¬ richtungen und Aufgaben (Berlin, Hertz), dessen erster Teil (1886 erschienen) die allgemeine Aufmerksamkeit der gelehrten Welt erregt und eine Flut von Entgegnungen hervorgerufen hat, dessen zweiter Teil nun auch seit kurzem unter dem Titel: Leopold von Ranke, die Generationslehre und der Geschichtsunterricht vorliegt und vielleicht noch mehr Beachtung verdient. Denn nachdem wir den starken Band mit größtem Interesse zu Ende gelesen hatten, da war uns zu Mute, als hätten wir den Niedergang eines mächtigen und prächtigen Gewitters erlebt, nach langer, schwüler, ver¬ dorrender und verderbender Sommerhitze, in der nichts gedeihen will. Nun atmen wir erfrischt und gehoben mit leichter Vrnst wieder auf, uun fühlen wir uns wieder als arbeitsfähige, fröhliche Menschen, wahrend wir bisher nur vegetiren konnten. Das Buch von Lorenz bedeutet eine Abrechnung mit allen Feinden der Wissenschaft in und außerhalb der Schule, mit jenen hochmütigen Herren von der Naturwissenschaft, die alles, was nicht meßbar, wägbar und tastbar ist, aus dem Reich der wissenschaftlichen Erkenntnis bannen, für die alle Existenz, die nicht sinnlich beweisbar ist, aufhört, Existenz zu sein; eine Abrechnung mit jenen einseitigen Menschen, die den Begriff Wissenschaft blos von den Naturwissenschaften abziehen und sich nicht klar darüber werden können, daß die Wissenschaften je nach der Verschiedenheit ihrer Objekte ver¬ schiedene Ziele und verschiedene Methoden verfolgen und verwenden müssen. Lorenz wendet sich aber auch gegen diejenigen Feinde der Geschichtswissenschaft, die ihr aus nähern und nächsten Gebieten und aus dem eignen Lager erwachsen sind, und indem er deren Fehler und Irrtümer nachweist, kommt er zu seinen eignen positiven Ausstellungen und Forderungen: seine Kritik ist schöpferisch. Die Grundzüge seiner Anschauung von der Aufgabe der Geschichtsforschung hat er schon im ersten Teil seines Werkes entworfen, aber man hat sie viel¬ fach bekämpft. Nun geht er von der Analyse des Meisters der Geschichts¬ forschung aus, deu die gesamte gelehrte Welt als den Führer verehrt: Leopold von Ranke, und führt den Nachweis, daß seine gesamte Lehre von Ranke teils andeutungsweise, teils ausdrücklich, teils praktisch stillschweigend anerkannt, angeregt, vorweggenommen worden ist. Dieser Nachweis macht dem Verfasser ein ganz besondres Vergnügen, ebenso die Aufdeckung einer andern seiner Quellen, der geschichtsphilvsophischen Schriften des Franzosen Th, Ribot, die keiner seiner Gegner gekannt zu haben scheint, und die er nicht genug zu preisen weiß. Am nachdrücklichsten aber sührt er seinen Kampf gegen jene Vertreter der Wissenschaft, die jedes Bewußtsein ihrer großen Ziele: der politischen Bildung der Menschen und Erkenntnis des großen Zusammenhanges der Welt-' Grenzbvwi II 1891 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/141>, abgerufen am 24.07.2024.