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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Iveitere Nandbenierkungi.-" zur Dozl)!ni>erke>nferenz

Abend desselben Tages, bei der Gründung des Gymnasialvereins zitterte die
tiefe Erregung noch bei allen anwesenden Konferenzmitgliedern nach. Am
Mittwoch sprach dann der Kaiser in der bekannten Kabinetsordre von einer
Regelung der äußern Verhältnisse des Lehrerstandes, was dann sogleich in
dem Danke, den die Versammlung dein hohen Herrn durch den Mund des
Fürstbischofs aussprach, einen schönen Wiederhall fand.

llngemein wichtig ist der Beschluß der Konferenz, "den Durchschnitt der
Gehälter der wissenschaftlichen Lehrer an den höhern Bürgerschule" (zukünftig
Realschulen geheißen), sonne der sechsstnfigen Anstalten überhaupt den: der
Lehrer an den nennstnfigen Anstalten gleichzustellen." Es giebt in Preußen
keinen Menschen, der über unser höheres Schulwesen nachgedacht hätte und
nicht überzeugt wäre, daß wir zu viel nennklassige und zu wenig sechsklassige
und durchaus zu viel lateintreibende und zu wenig lateinlose Anstalten haben.
Andre Staaten, Sachsen und besonders Würtemberg, sind hierin viel weiter.
Preußen hat sich da einer schweren Unterlassungssünde schuldig gemacht.
Nun, die soziale Gleichstellung der Neallehrer mit den Gymnasiallehrern und
die vorurteilsfreie Ausstattung der Real- und der Oberrealschulen mit staat¬
lichem Berechtigungen, das wäre" zu eiuer Besserung die ersten, die nötigsten
Schritte. Die ganze Gymnasialfrage, ob die Gymnasien verbessernngsbedürftig,
ob sie der Verbesserung fähig seien, geht dem Volke in allen seinen Schichten
nicht annähernd so zu Herzen, als die Frage der höhern Bürgerschulen. Laßt
die Gymnasien sich dreist etwas (nach eurer Meinung!) verschlechtern! Jetzt
dienen sie ja doch nur dazu, ungeeignete Köpfe zum Studiren zu verführen
und den geeigneten die Lust zu verderben, die erwerbtreibende Bürgerschaft
aber um eine zweckmäßige, eine gesunde Vorbildung zu betrügen! So etwa
sprach (S. 111 bis 115?) Geheimrat Thiel vom landwirtschaftlichen Ministerium,
und er sprach gewiß taufenden aus der Seele.

Wie ist nun zu helfen? Wir haben einen Lehrplan für sechsklassige
lateinlvse Schulen mit der Einjährigenberechtigung seit 1LW. Der Auf¬
schwung, den diese Schulen seit einige" Jahre" ge"omnem haben, entspricht
keineswegs de" Erwartungen und bei weiten" nicht dem Bedürfnis. Berlin
steht hier fast allein; und viele behaupten (andre bestreiten es freilich), diese
Bürgerschule" rekrutirten sich mehr aus de" Volksschule" als aus de"
Gymnasie".

Fragt man nun: Aus welchen Gründen mögen die andern Städte so
zaghaft vorgegangen sein mit der Errichtung dieser nützlichen Schulen, so sind
zuerst wohl allerlei Vorurteile zu nennein Bildnngsdünkel, Überschätzung einer
brockenhaften Lateiiikemituis, Unterschätzung einer nicht geaichten, einer unbe-
titelte" Bildung. Da"" waltete in kleine" Städten, die nnr eine höhere
Schule halten können, zweifellos die Rücksicht auf die bei ihre" Söhne"
nnr an Universitätsstudie", an die Militärlnufbahn und dergleichen denkende


Iveitere Nandbenierkungi.-» zur Dozl)!ni>erke>nferenz

Abend desselben Tages, bei der Gründung des Gymnasialvereins zitterte die
tiefe Erregung noch bei allen anwesenden Konferenzmitgliedern nach. Am
Mittwoch sprach dann der Kaiser in der bekannten Kabinetsordre von einer
Regelung der äußern Verhältnisse des Lehrerstandes, was dann sogleich in
dem Danke, den die Versammlung dein hohen Herrn durch den Mund des
Fürstbischofs aussprach, einen schönen Wiederhall fand.

llngemein wichtig ist der Beschluß der Konferenz, „den Durchschnitt der
Gehälter der wissenschaftlichen Lehrer an den höhern Bürgerschule» (zukünftig
Realschulen geheißen), sonne der sechsstnfigen Anstalten überhaupt den: der
Lehrer an den nennstnfigen Anstalten gleichzustellen." Es giebt in Preußen
keinen Menschen, der über unser höheres Schulwesen nachgedacht hätte und
nicht überzeugt wäre, daß wir zu viel nennklassige und zu wenig sechsklassige
und durchaus zu viel lateintreibende und zu wenig lateinlose Anstalten haben.
Andre Staaten, Sachsen und besonders Würtemberg, sind hierin viel weiter.
Preußen hat sich da einer schweren Unterlassungssünde schuldig gemacht.
Nun, die soziale Gleichstellung der Neallehrer mit den Gymnasiallehrern und
die vorurteilsfreie Ausstattung der Real- und der Oberrealschulen mit staat¬
lichem Berechtigungen, das wäre» zu eiuer Besserung die ersten, die nötigsten
Schritte. Die ganze Gymnasialfrage, ob die Gymnasien verbessernngsbedürftig,
ob sie der Verbesserung fähig seien, geht dem Volke in allen seinen Schichten
nicht annähernd so zu Herzen, als die Frage der höhern Bürgerschulen. Laßt
die Gymnasien sich dreist etwas (nach eurer Meinung!) verschlechtern! Jetzt
dienen sie ja doch nur dazu, ungeeignete Köpfe zum Studiren zu verführen
und den geeigneten die Lust zu verderben, die erwerbtreibende Bürgerschaft
aber um eine zweckmäßige, eine gesunde Vorbildung zu betrügen! So etwa
sprach (S. 111 bis 115?) Geheimrat Thiel vom landwirtschaftlichen Ministerium,
und er sprach gewiß taufenden aus der Seele.

Wie ist nun zu helfen? Wir haben einen Lehrplan für sechsklassige
lateinlvse Schulen mit der Einjährigenberechtigung seit 1LW. Der Auf¬
schwung, den diese Schulen seit einige» Jahre» ge»omnem haben, entspricht
keineswegs de» Erwartungen und bei weiten» nicht dem Bedürfnis. Berlin
steht hier fast allein; und viele behaupten (andre bestreiten es freilich), diese
Bürgerschule» rekrutirten sich mehr aus de» Volksschule» als aus de»
Gymnasie».

Fragt man nun: Aus welchen Gründen mögen die andern Städte so
zaghaft vorgegangen sein mit der Errichtung dieser nützlichen Schulen, so sind
zuerst wohl allerlei Vorurteile zu nennein Bildnngsdünkel, Überschätzung einer
brockenhaften Lateiiikemituis, Unterschätzung einer nicht geaichten, einer unbe-
titelte» Bildung. Da»» waltete in kleine» Städten, die nnr eine höhere
Schule halten können, zweifellos die Rücksicht auf die bei ihre» Söhne»
nnr an Universitätsstudie», an die Militärlnufbahn und dergleichen denkende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/138>, abgerufen am 24.07.2024.