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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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jedoch ohne Scheu, daß unter seinen eignen Schulleistnngen der lateinische Aufsatz
immer die schwächste gewesen sei (S. 205 bis 207).

Nicht in die Form der Klage, sondern des Wunsches kleidet seine Be¬
merkungen der militärische Vertreter des Kriegsministers, Major Fleck. Der
Offizier muß des Wortes mächtig sein, wenn er der Erzieher der Mannschaft
sein soll! In den höhern Stäben und in der Kriegsakademie muß es Offiziere
geben, die imstande sind, kriegswissenschaftliche Dinge "in knapper, fesselnder
und überzeugender Form" darzustellen! Endlich hat der Führer im Felde,
heute mehr als vordem, selber zu urteilen, selber zu entscheiden. Da gilt es,
meist in kurzer Zeit, seiue Anordnungen kundzugeben, und das muß wiederum
in knapper, erschöpfender und jeden Zweifel ausschließender Weise geschehen!
(S. 227 bis 228).

Das sind einleuchtende, doch in weiten Kreisen ziemlich unbekannte Ge¬
sichtspunkte. Was den meisten als guter Stil erscheint, das ist ja in Wahr¬
heit oft nur verblümter Unsinn. Diesem Aberglauben zu steuern ist dem
Gymnasium bis jetzt nicht sonderlich gelungen; ja man hat es angeklagt, hie
und da den Unrat noch künstlich vermehrt zu haben. Genug, was hat nun¬
mehr zu geschehen, damit sich der Schüler den: Ideal eines guten Stils
"knapp, fesselnd und überzeugend" -- es ist ein männliches Ideal -- möglichst
nähere und sich von den Ungezogenheiten des Zeitnngsstiles und fügen wir
hinzu: des parlamentarischen Jargons, von dem auch die Verhandlungen recht
ansehnliche Proben geben, nicht anstecken lasse: "Auf den Unterricht im
Deutschen ist unter allen Umständen der größte Nachdruck zu legen, die
Stundenzahl, soweit thunlich, zu vermehren, vor allem aber die Vervollkomm¬
nung des deutschen Ausdrucks in allen Lehrstunden und insbesondre bei den
Übersetzungen aus den fremden Sprachen zu erstreben." Daß eine bloße Ver¬
mehrung der deutschen Unterrichtsstunden geradezu vom Übel sein könne, hat
mit Recht Uhlig betont (S. 171). "Über nichts läßt sich leichter sprechen,
kein Unterricht aber läßt sich schwieriger erteilen," so Matthias (S. 282), der
auf der letzten rheinischen Direktorenkonferenz bewiesen hat, daß ihm ein Urteil
hierüber zusteht. Alle Sprachlehrer an Gymnasien, auch die Lateiner, die
Griechen, die Franzosen, sollten germanistische Vorlesungen gehört haben! eine
hochbedeutsame Forderung Uhligs (S. 614). Jedes Unterrichtsfach müßte seinen
deutschen Aufsatz haben, wie es in kleinerm Umfange hie und da schon geschieht
is. 425 und 524); es leuchtet ein, daß die freier gestalteten Gymnasien der
Zukunft, in denen nicht mehr Schüler und Lehrer an dem unbarmherzigen
Nebeneinander von lateinischen und deutschen Aufsätzen, von lateinischen,
griechischen, frauzöstscheu und mathematischen Extemporalien und Exerzitien
ersticken werden, daß also dort der Herzschlag jedes Unterrichts deutsch sein
und Deutsch im Mittelpunkte des gesamten Unterrichts stehen kann, anch wenn
in Prima keine Stunde deutschen Unterrichts gegeben werden sollte. Hier


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jedoch ohne Scheu, daß unter seinen eignen Schulleistnngen der lateinische Aufsatz
immer die schwächste gewesen sei (S. 205 bis 207).

Nicht in die Form der Klage, sondern des Wunsches kleidet seine Be¬
merkungen der militärische Vertreter des Kriegsministers, Major Fleck. Der
Offizier muß des Wortes mächtig sein, wenn er der Erzieher der Mannschaft
sein soll! In den höhern Stäben und in der Kriegsakademie muß es Offiziere
geben, die imstande sind, kriegswissenschaftliche Dinge „in knapper, fesselnder
und überzeugender Form" darzustellen! Endlich hat der Führer im Felde,
heute mehr als vordem, selber zu urteilen, selber zu entscheiden. Da gilt es,
meist in kurzer Zeit, seiue Anordnungen kundzugeben, und das muß wiederum
in knapper, erschöpfender und jeden Zweifel ausschließender Weise geschehen!
(S. 227 bis 228).

Das sind einleuchtende, doch in weiten Kreisen ziemlich unbekannte Ge¬
sichtspunkte. Was den meisten als guter Stil erscheint, das ist ja in Wahr¬
heit oft nur verblümter Unsinn. Diesem Aberglauben zu steuern ist dem
Gymnasium bis jetzt nicht sonderlich gelungen; ja man hat es angeklagt, hie
und da den Unrat noch künstlich vermehrt zu haben. Genug, was hat nun¬
mehr zu geschehen, damit sich der Schüler den: Ideal eines guten Stils
„knapp, fesselnd und überzeugend" — es ist ein männliches Ideal — möglichst
nähere und sich von den Ungezogenheiten des Zeitnngsstiles und fügen wir
hinzu: des parlamentarischen Jargons, von dem auch die Verhandlungen recht
ansehnliche Proben geben, nicht anstecken lasse: „Auf den Unterricht im
Deutschen ist unter allen Umständen der größte Nachdruck zu legen, die
Stundenzahl, soweit thunlich, zu vermehren, vor allem aber die Vervollkomm¬
nung des deutschen Ausdrucks in allen Lehrstunden und insbesondre bei den
Übersetzungen aus den fremden Sprachen zu erstreben." Daß eine bloße Ver¬
mehrung der deutschen Unterrichtsstunden geradezu vom Übel sein könne, hat
mit Recht Uhlig betont (S. 171). „Über nichts läßt sich leichter sprechen,
kein Unterricht aber läßt sich schwieriger erteilen," so Matthias (S. 282), der
auf der letzten rheinischen Direktorenkonferenz bewiesen hat, daß ihm ein Urteil
hierüber zusteht. Alle Sprachlehrer an Gymnasien, auch die Lateiner, die
Griechen, die Franzosen, sollten germanistische Vorlesungen gehört haben! eine
hochbedeutsame Forderung Uhligs (S. 614). Jedes Unterrichtsfach müßte seinen
deutschen Aufsatz haben, wie es in kleinerm Umfange hie und da schon geschieht
is. 425 und 524); es leuchtet ein, daß die freier gestalteten Gymnasien der
Zukunft, in denen nicht mehr Schüler und Lehrer an dem unbarmherzigen
Nebeneinander von lateinischen und deutschen Aufsätzen, von lateinischen,
griechischen, frauzöstscheu und mathematischen Extemporalien und Exerzitien
ersticken werden, daß also dort der Herzschlag jedes Unterrichts deutsch sein
und Deutsch im Mittelpunkte des gesamten Unterrichts stehen kann, anch wenn
in Prima keine Stunde deutschen Unterrichts gegeben werden sollte. Hier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/136>, abgerufen am 24.07.2024.