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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Meitere Raubt'cmerkmigcn zur T>c^ni>ert>?nfereiiz

Eher einige lateinische als griechische Stunden drauzugeben rät der Direktor
der Gewerbeschule zu Hagen, Holzmüller (S. 270). Als verhaßten Zwang
das Griechische verwünsche" zu hören, dieser Schmerz blieb dein Nealgymnasial-
direktor Schauenburg vorbehalten. Aber der Schmerz war nicht sehr groß.
Deal mögen gute Oberprimaner auch mit hohem Genuß die Antigone lesen,
er findet einen Ersatz in Shakespeare; ja der erhabnen Frende gegenüber,
die bei der Kenntnis der Keplerschen Gesetze mathematisch geschulte Neal-
primaner erfüllt, verzichtet er gern auf den Genuß -- immer wieder nur
Genuß! --, "welchen Wohllaut und Rhythmus griechischer Verse gewährt."
In der Delegirtenversammlung der deutschen Nealschulmänner würde ihm dieser
"Schläger" ein mannhaftes Bravo! eingetragen haben.

Im März dieses Jahres hat Herman Grimm (Deutsche Rundschau,
S. 3W) eine freilich arg einseitige Geschichtsphilosophie verkündet, wonach
die römische Geschichte, "getragen in allen ihren Phasen von Leuten beschränkter
Art, wenn wir sie mit den Griechen vergleichen," bei uns einen zu breiten
Platz einnimmt. Grimm sieht "eine Konstruktion der Weltgeschichte voraus,
bei welcher die römische Republik und das römische Kaiserreich bis Diocletian
beinah entbehrlich sein werden." Dies ist nun so ernst nicht zu nehmen; es
mag hier den zukünftigen Lehrern der Voeckhschule zur Warnung aufgesteckt
sein. Doch wie Exerzierplatz und Mauöverfeld, ungeteiltes Aufmerken auf
wenige bestimmte Punkte und umfassendes kritisches Vermögen, Prosa und
Poesie, Technik und Kultur zusammengehören, so in der Vorbildung unsrer
akademischen Jugend Rom und Griechenland.

Wer freilich, wie Virchow (S. 117 bis 11!>), Sprach- nud Litteratur¬
studien, die nicht zum freien Gebrauch der Sprachen führen, für zwecklos hält,
der muß mit demselben Virchow (S. 761 bis 765!) sagen: eine lateinisch¬
griechische Schule, die zugleich den Medizinern genügte, giebt es nicht mehr.
Gegen eine völlig lateinlvse Schule erklärt sich Virchow nur der technischen
Ausdrücke und der lateinischen Rezepte wegen (S. 117 und 761). Es ist gut,
daß diese unerhört flache Auffassung des Gyinnasialunterrichts einmal ihren
klassischen Ausdruck gefunden hat.

Was ist also bisher das Ergebnis der Verhandlungen? Freiheit in
Einzelheiten des Lehrplans und, durch Beseitigung des Realgymnasiums, das
Leuchten der Sonne Homers über allen Schulen, die sich Gymnasien nennen
wollen.

Es giebt nnn wohl keine Seite des Gyinnasialunterrichts, die nicht
während der zehntägigen Beratungen einmal vorgekommen wäre und nicht dabei
auch eine neue Beleuchtung erfahren hätte. Die eigentlichen Beschlüsse, die
Mehrheitsvvta, sind ja in diesen Dingen von geringerer Bedeutung, als die
lebensvollen, aber doch nicht immer sofort und nicht in jeder noch so aus¬
gesuchten Versammlung auch lebenweckenden Gedanken, die ein Einzelner vorbringt


Meitere Raubt'cmerkmigcn zur T>c^ni>ert>?nfereiiz

Eher einige lateinische als griechische Stunden drauzugeben rät der Direktor
der Gewerbeschule zu Hagen, Holzmüller (S. 270). Als verhaßten Zwang
das Griechische verwünsche» zu hören, dieser Schmerz blieb dein Nealgymnasial-
direktor Schauenburg vorbehalten. Aber der Schmerz war nicht sehr groß.
Deal mögen gute Oberprimaner auch mit hohem Genuß die Antigone lesen,
er findet einen Ersatz in Shakespeare; ja der erhabnen Frende gegenüber,
die bei der Kenntnis der Keplerschen Gesetze mathematisch geschulte Neal-
primaner erfüllt, verzichtet er gern auf den Genuß — immer wieder nur
Genuß! —, „welchen Wohllaut und Rhythmus griechischer Verse gewährt."
In der Delegirtenversammlung der deutschen Nealschulmänner würde ihm dieser
„Schläger" ein mannhaftes Bravo! eingetragen haben.

Im März dieses Jahres hat Herman Grimm (Deutsche Rundschau,
S. 3W) eine freilich arg einseitige Geschichtsphilosophie verkündet, wonach
die römische Geschichte, „getragen in allen ihren Phasen von Leuten beschränkter
Art, wenn wir sie mit den Griechen vergleichen," bei uns einen zu breiten
Platz einnimmt. Grimm sieht „eine Konstruktion der Weltgeschichte voraus,
bei welcher die römische Republik und das römische Kaiserreich bis Diocletian
beinah entbehrlich sein werden." Dies ist nun so ernst nicht zu nehmen; es
mag hier den zukünftigen Lehrern der Voeckhschule zur Warnung aufgesteckt
sein. Doch wie Exerzierplatz und Mauöverfeld, ungeteiltes Aufmerken auf
wenige bestimmte Punkte und umfassendes kritisches Vermögen, Prosa und
Poesie, Technik und Kultur zusammengehören, so in der Vorbildung unsrer
akademischen Jugend Rom und Griechenland.

Wer freilich, wie Virchow (S. 117 bis 11!>), Sprach- nud Litteratur¬
studien, die nicht zum freien Gebrauch der Sprachen führen, für zwecklos hält,
der muß mit demselben Virchow (S. 761 bis 765!) sagen: eine lateinisch¬
griechische Schule, die zugleich den Medizinern genügte, giebt es nicht mehr.
Gegen eine völlig lateinlvse Schule erklärt sich Virchow nur der technischen
Ausdrücke und der lateinischen Rezepte wegen (S. 117 und 761). Es ist gut,
daß diese unerhört flache Auffassung des Gyinnasialunterrichts einmal ihren
klassischen Ausdruck gefunden hat.

Was ist also bisher das Ergebnis der Verhandlungen? Freiheit in
Einzelheiten des Lehrplans und, durch Beseitigung des Realgymnasiums, das
Leuchten der Sonne Homers über allen Schulen, die sich Gymnasien nennen
wollen.

Es giebt nnn wohl keine Seite des Gyinnasialunterrichts, die nicht
während der zehntägigen Beratungen einmal vorgekommen wäre und nicht dabei
auch eine neue Beleuchtung erfahren hätte. Die eigentlichen Beschlüsse, die
Mehrheitsvvta, sind ja in diesen Dingen von geringerer Bedeutung, als die
lebensvollen, aber doch nicht immer sofort und nicht in jeder noch so aus¬
gesuchten Versammlung auch lebenweckenden Gedanken, die ein Einzelner vorbringt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/134>, abgerufen am 24.07.2024.