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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zveitero Randbemerkungen zur Dezeinberk^nferenz

zwischen dein, was wird und war, geläuterten Überzeugung willen, und im
Herzen der Schüler, die nun einen Vorschmack genießen werden des höchsten
Erdenglückes, das ist: Aufgaben zu lösen, die den Kräften gemäß sind. Solche
Aufgaben stellt sich aber nicht einmal der Student selber -- wenn er klug ist --,
geschweige denn der Primaner. Soll sichs also wirklich um Studien, um ehr¬
liche, nicht gelehrte, aber für ein Primanergemüt lehrreiche Arbeit handeln,
so wird es einer Anleitung bedürfen, einer Leitung, die auf den zu leitenden
Rücksicht nimmt, die aber doch gewisse gemeinsame Ziele im Auge behält,
einer Leitung ferner, deren Hauptbürgschaft in der männlichen Sicherheit des
Leiters liegt, deren erzieherischer Erfolg aber doch an eine gewisse Herzeiuigkeit
der an einer Anstalt zusaunnenwirkenden Lehrer gebunden ist. Mit einem
Worte: es muß wieder Anstalten geben, die ein eignes Leben, einen eignen
Charakter haben.

Bei der so verstandenen Lern- und Lehrfreiheit auf den obersten Stufen
wird es nicht schwer fallen, sich ein Bild zu machen von gewissen Hanptthpen
nennklassiger Schulen, wie man sie sich nach den als Hauptfach in Betracht
kommenden Unterrichtsgegenständen und nach den thatsächlich vorhandenen
Lehrkräften unterschieden und nach örtlichein und landschaftlichen Bedarf über
das Reich verteilt zu denken hat. Allen gemeinsam sei (nach Güßfeldts Vor¬
schlag, S. 475) eine geringere Stundenzahl in den untern, und dann wieder
in den obern Klassen: der Sextaner mag herumlaufen, der Tertianer muß
straff gehalten werden, der Primaner soll studiren lernen.

Zuerst also läßt sich ein Gymnasium denken, das, oberflächlich betrachtet,
die größte Ähnlichkeit hat mit dem Ideal der alten Lateinschule: der Direktor
innigst vertraut mit altrömischem Wesen, römischem Leben, römischer Ver¬
fassung?'- und Rechtsgeschichte, vor allem aber mit den Eigenheiten, den seinen
und den groben Zügen der Sprache Roms. Vielleicht gelingt es ihm, be¬
geistert helfende und, wo es not thut, freundschaftlich das Gegengewicht
haltende Mitarbeiter zu gewinnen und so auch heute noch eine Schule zu
schassen, die keineswegs ausschließlich, doch soweit es die Gründlichkeit er¬
heischt und soweit es seine und seiner Kollegen Begabung rechtfertigen, über¬
wiegend am Lateinischen lehrt, was geistiges Leben sei -- und was nicht.
Hier könnte man jene hohe, den Geist zwar noch nicht befreiende, aber doch
schmeidigcnde Kunst des Andenkens aus dem Lateinischen ins Deutsche, aus
dein Deutschen ins Lateinische aufs Höchste steigern, hier ließe sich in größerm
Umfang und mit Aussicht auf Erfolg das betreiben, was ans allen Gymnasien
gleichmäßig, an Stelle des lateinischen Aufsatzes, als Zielleistung gefordert
(wie Vvlkmmitt will, S. 198), doch nur wieder zu Dressur nud Eselsbrücken,
zu Überbürdung und unfrohen Gestümper führen würde: Übersetzung deutscher
Originalstücke, etwa ans Schiller und Goethe, aus Mommsen und Treitschke.
In einer Großstadt würde man an einer solchen Anstalt getrost Deutsch oder


Zveitero Randbemerkungen zur Dezeinberk^nferenz

zwischen dein, was wird und war, geläuterten Überzeugung willen, und im
Herzen der Schüler, die nun einen Vorschmack genießen werden des höchsten
Erdenglückes, das ist: Aufgaben zu lösen, die den Kräften gemäß sind. Solche
Aufgaben stellt sich aber nicht einmal der Student selber — wenn er klug ist —,
geschweige denn der Primaner. Soll sichs also wirklich um Studien, um ehr¬
liche, nicht gelehrte, aber für ein Primanergemüt lehrreiche Arbeit handeln,
so wird es einer Anleitung bedürfen, einer Leitung, die auf den zu leitenden
Rücksicht nimmt, die aber doch gewisse gemeinsame Ziele im Auge behält,
einer Leitung ferner, deren Hauptbürgschaft in der männlichen Sicherheit des
Leiters liegt, deren erzieherischer Erfolg aber doch an eine gewisse Herzeiuigkeit
der an einer Anstalt zusaunnenwirkenden Lehrer gebunden ist. Mit einem
Worte: es muß wieder Anstalten geben, die ein eignes Leben, einen eignen
Charakter haben.

Bei der so verstandenen Lern- und Lehrfreiheit auf den obersten Stufen
wird es nicht schwer fallen, sich ein Bild zu machen von gewissen Hanptthpen
nennklassiger Schulen, wie man sie sich nach den als Hauptfach in Betracht
kommenden Unterrichtsgegenständen und nach den thatsächlich vorhandenen
Lehrkräften unterschieden und nach örtlichein und landschaftlichen Bedarf über
das Reich verteilt zu denken hat. Allen gemeinsam sei (nach Güßfeldts Vor¬
schlag, S. 475) eine geringere Stundenzahl in den untern, und dann wieder
in den obern Klassen: der Sextaner mag herumlaufen, der Tertianer muß
straff gehalten werden, der Primaner soll studiren lernen.

Zuerst also läßt sich ein Gymnasium denken, das, oberflächlich betrachtet,
die größte Ähnlichkeit hat mit dem Ideal der alten Lateinschule: der Direktor
innigst vertraut mit altrömischem Wesen, römischem Leben, römischer Ver¬
fassung?'- und Rechtsgeschichte, vor allem aber mit den Eigenheiten, den seinen
und den groben Zügen der Sprache Roms. Vielleicht gelingt es ihm, be¬
geistert helfende und, wo es not thut, freundschaftlich das Gegengewicht
haltende Mitarbeiter zu gewinnen und so auch heute noch eine Schule zu
schassen, die keineswegs ausschließlich, doch soweit es die Gründlichkeit er¬
heischt und soweit es seine und seiner Kollegen Begabung rechtfertigen, über¬
wiegend am Lateinischen lehrt, was geistiges Leben sei — und was nicht.
Hier könnte man jene hohe, den Geist zwar noch nicht befreiende, aber doch
schmeidigcnde Kunst des Andenkens aus dem Lateinischen ins Deutsche, aus
dein Deutschen ins Lateinische aufs Höchste steigern, hier ließe sich in größerm
Umfang und mit Aussicht auf Erfolg das betreiben, was ans allen Gymnasien
gleichmäßig, an Stelle des lateinischen Aufsatzes, als Zielleistung gefordert
(wie Vvlkmmitt will, S. 198), doch nur wieder zu Dressur nud Eselsbrücken,
zu Überbürdung und unfrohen Gestümper führen würde: Übersetzung deutscher
Originalstücke, etwa ans Schiller und Goethe, aus Mommsen und Treitschke.
In einer Großstadt würde man an einer solchen Anstalt getrost Deutsch oder


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[0131] Zveitero Randbemerkungen zur Dezeinberk^nferenz zwischen dein, was wird und war, geläuterten Überzeugung willen, und im Herzen der Schüler, die nun einen Vorschmack genießen werden des höchsten Erdenglückes, das ist: Aufgaben zu lösen, die den Kräften gemäß sind. Solche Aufgaben stellt sich aber nicht einmal der Student selber — wenn er klug ist —, geschweige denn der Primaner. Soll sichs also wirklich um Studien, um ehr¬ liche, nicht gelehrte, aber für ein Primanergemüt lehrreiche Arbeit handeln, so wird es einer Anleitung bedürfen, einer Leitung, die auf den zu leitenden Rücksicht nimmt, die aber doch gewisse gemeinsame Ziele im Auge behält, einer Leitung ferner, deren Hauptbürgschaft in der männlichen Sicherheit des Leiters liegt, deren erzieherischer Erfolg aber doch an eine gewisse Herzeiuigkeit der an einer Anstalt zusaunnenwirkenden Lehrer gebunden ist. Mit einem Worte: es muß wieder Anstalten geben, die ein eignes Leben, einen eignen Charakter haben. Bei der so verstandenen Lern- und Lehrfreiheit auf den obersten Stufen wird es nicht schwer fallen, sich ein Bild zu machen von gewissen Hanptthpen nennklassiger Schulen, wie man sie sich nach den als Hauptfach in Betracht kommenden Unterrichtsgegenständen und nach den thatsächlich vorhandenen Lehrkräften unterschieden und nach örtlichein und landschaftlichen Bedarf über das Reich verteilt zu denken hat. Allen gemeinsam sei (nach Güßfeldts Vor¬ schlag, S. 475) eine geringere Stundenzahl in den untern, und dann wieder in den obern Klassen: der Sextaner mag herumlaufen, der Tertianer muß straff gehalten werden, der Primaner soll studiren lernen. Zuerst also läßt sich ein Gymnasium denken, das, oberflächlich betrachtet, die größte Ähnlichkeit hat mit dem Ideal der alten Lateinschule: der Direktor innigst vertraut mit altrömischem Wesen, römischem Leben, römischer Ver¬ fassung?'- und Rechtsgeschichte, vor allem aber mit den Eigenheiten, den seinen und den groben Zügen der Sprache Roms. Vielleicht gelingt es ihm, be¬ geistert helfende und, wo es not thut, freundschaftlich das Gegengewicht haltende Mitarbeiter zu gewinnen und so auch heute noch eine Schule zu schassen, die keineswegs ausschließlich, doch soweit es die Gründlichkeit er¬ heischt und soweit es seine und seiner Kollegen Begabung rechtfertigen, über¬ wiegend am Lateinischen lehrt, was geistiges Leben sei — und was nicht. Hier könnte man jene hohe, den Geist zwar noch nicht befreiende, aber doch schmeidigcnde Kunst des Andenkens aus dem Lateinischen ins Deutsche, aus dein Deutschen ins Lateinische aufs Höchste steigern, hier ließe sich in größerm Umfang und mit Aussicht auf Erfolg das betreiben, was ans allen Gymnasien gleichmäßig, an Stelle des lateinischen Aufsatzes, als Zielleistung gefordert (wie Vvlkmmitt will, S. 198), doch nur wieder zu Dressur nud Eselsbrücken, zu Überbürdung und unfrohen Gestümper führen würde: Übersetzung deutscher Originalstücke, etwa ans Schiller und Goethe, aus Mommsen und Treitschke. In einer Großstadt würde man an einer solchen Anstalt getrost Deutsch oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/131>, abgerufen am 24.07.2024.