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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Windthorst

Wird nicht mich den bei dem Tode zu Tage getretenen augenblicklichen Ein¬
gebungen ihr Urteil fällen, sondern eine breitere Grundlage dafür suchen. In
diesem Sinne auch unserseits ein Scherflein zur geschichtlichen Würdigung
des Mannes beizutragen, ist der Zweck dieses Aufsatzes.

Windthorst war in seiner hannoverschen Heimat von Haus aus Advokat.
Im Jahre 1848 ging er in den höhern Staatsdienst über und wurde während
der fünfziger und sechziger Jahre zweimal hannöverscher Justizminister. Die
Katastrophe von 1866 traf ihn als Kronoberanwalt in Celle. Sein Nach¬
folger im Ministerium, Leonhardt, obwohl auch er seinem Könige zum Kriege
mit Preußen geraten hatte, hatte schnell mit Preußen seinen Frieden gemacht,
war bereits am 4. Dezember 1867 preußischer Justizminister und nahm als
solcher auch keinen Anstand, schon um 2. Mürz 1868 die Verordnung über
Beschlagnahme des Vermögens seines frühern Königs mit zu unterzeichnen.
Ob Windthorst jemals den Wunsch gehegt hat, in den preußischen Staats¬
dienst einzutreten, wissen wir nicht, glauben es aber kaum. Statt dessen
widmete er sich vom Jahre 1867 an der parlamentarischen Thätigkeit in Neichs-
und Landtage und blieb dieser treu bis zu seinein Tode.

Durch das ganze parlamentarische Leben Windthorsts zieht sich nnn ein
gewisser Grundzug hindurch. Das ist der Haß gegen Preußen und gegen
das von Preußen geschaffene deutsche Reich. Welche innern Beweggründe ihn
hierzu getrieben haben mögen, darüber urteilen wir nicht. Wir halten uns
nur an die äußern Thatsachen. Diese sprechen, wenn man sie in ihrer Ge¬
samtheit überblickt, eine so deutliche Sprache, daß kein Unbefangener sie ver¬
kennen kann.

Dem Reiche gegenüber äußert sich jener Grundzug in dein fortgesetzten
Streben, jede Entwicklung des Reiches zu hemmen. Preußen gegenüber aber
war Windthorst bemüht, alle Mängel des preußischen Staatslebens aufzu¬
decken und der preußischen Negierung möglichste Schwierigkeiten zu bereiten.
Dabei war Windthorst durchaus nicht immer im Unrechte. Daß das preußische
Staatsleben mit seinen bureaukratischen Einrichtungen vielfache Schwächen
darbietet, ist ja unleugbar. Mit seltnem Scharfblick wußte nun Windthorst
überall diese Schwächen aufzufinden und sie mit schlagenden Worten ans
Licht zu ziehen. Dadurch gewann er einen gewissen liberalen Schein. Dann
aber trat er auch wieder, seiner eigentlichen Natur entsprechend, für die reak¬
tionärsten Dinge in die Schranken. Natürlich erwarb er sich damit je den
Dank derjenigen Partei, die mit ihm sachlich übereinstimmte; und noch dank¬
barer war ihm diese, wenn er bei der Abstimmung ihr den Heerhaufen seiner
Fraktion zuführte. So reichte er bald dieser bald jener Partei die Freundes¬
hand und war uicht selten der ausschlaggebende Mann.

An den sachlichen Arbeiten von Reichstag und Landtag beteiligte sich
Windthorst so gut wie gar uicht. Überall spitzten sich seine Reden politisch


Windthorst

Wird nicht mich den bei dem Tode zu Tage getretenen augenblicklichen Ein¬
gebungen ihr Urteil fällen, sondern eine breitere Grundlage dafür suchen. In
diesem Sinne auch unserseits ein Scherflein zur geschichtlichen Würdigung
des Mannes beizutragen, ist der Zweck dieses Aufsatzes.

Windthorst war in seiner hannoverschen Heimat von Haus aus Advokat.
Im Jahre 1848 ging er in den höhern Staatsdienst über und wurde während
der fünfziger und sechziger Jahre zweimal hannöverscher Justizminister. Die
Katastrophe von 1866 traf ihn als Kronoberanwalt in Celle. Sein Nach¬
folger im Ministerium, Leonhardt, obwohl auch er seinem Könige zum Kriege
mit Preußen geraten hatte, hatte schnell mit Preußen seinen Frieden gemacht,
war bereits am 4. Dezember 1867 preußischer Justizminister und nahm als
solcher auch keinen Anstand, schon um 2. Mürz 1868 die Verordnung über
Beschlagnahme des Vermögens seines frühern Königs mit zu unterzeichnen.
Ob Windthorst jemals den Wunsch gehegt hat, in den preußischen Staats¬
dienst einzutreten, wissen wir nicht, glauben es aber kaum. Statt dessen
widmete er sich vom Jahre 1867 an der parlamentarischen Thätigkeit in Neichs-
und Landtage und blieb dieser treu bis zu seinein Tode.

Durch das ganze parlamentarische Leben Windthorsts zieht sich nnn ein
gewisser Grundzug hindurch. Das ist der Haß gegen Preußen und gegen
das von Preußen geschaffene deutsche Reich. Welche innern Beweggründe ihn
hierzu getrieben haben mögen, darüber urteilen wir nicht. Wir halten uns
nur an die äußern Thatsachen. Diese sprechen, wenn man sie in ihrer Ge¬
samtheit überblickt, eine so deutliche Sprache, daß kein Unbefangener sie ver¬
kennen kann.

Dem Reiche gegenüber äußert sich jener Grundzug in dein fortgesetzten
Streben, jede Entwicklung des Reiches zu hemmen. Preußen gegenüber aber
war Windthorst bemüht, alle Mängel des preußischen Staatslebens aufzu¬
decken und der preußischen Negierung möglichste Schwierigkeiten zu bereiten.
Dabei war Windthorst durchaus nicht immer im Unrechte. Daß das preußische
Staatsleben mit seinen bureaukratischen Einrichtungen vielfache Schwächen
darbietet, ist ja unleugbar. Mit seltnem Scharfblick wußte nun Windthorst
überall diese Schwächen aufzufinden und sie mit schlagenden Worten ans
Licht zu ziehen. Dadurch gewann er einen gewissen liberalen Schein. Dann
aber trat er auch wieder, seiner eigentlichen Natur entsprechend, für die reak¬
tionärsten Dinge in die Schranken. Natürlich erwarb er sich damit je den
Dank derjenigen Partei, die mit ihm sachlich übereinstimmte; und noch dank¬
barer war ihm diese, wenn er bei der Abstimmung ihr den Heerhaufen seiner
Fraktion zuführte. So reichte er bald dieser bald jener Partei die Freundes¬
hand und war uicht selten der ausschlaggebende Mann.

An den sachlichen Arbeiten von Reichstag und Landtag beteiligte sich
Windthorst so gut wie gar uicht. Überall spitzten sich seine Reden politisch


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[0013] Windthorst Wird nicht mich den bei dem Tode zu Tage getretenen augenblicklichen Ein¬ gebungen ihr Urteil fällen, sondern eine breitere Grundlage dafür suchen. In diesem Sinne auch unserseits ein Scherflein zur geschichtlichen Würdigung des Mannes beizutragen, ist der Zweck dieses Aufsatzes. Windthorst war in seiner hannoverschen Heimat von Haus aus Advokat. Im Jahre 1848 ging er in den höhern Staatsdienst über und wurde während der fünfziger und sechziger Jahre zweimal hannöverscher Justizminister. Die Katastrophe von 1866 traf ihn als Kronoberanwalt in Celle. Sein Nach¬ folger im Ministerium, Leonhardt, obwohl auch er seinem Könige zum Kriege mit Preußen geraten hatte, hatte schnell mit Preußen seinen Frieden gemacht, war bereits am 4. Dezember 1867 preußischer Justizminister und nahm als solcher auch keinen Anstand, schon um 2. Mürz 1868 die Verordnung über Beschlagnahme des Vermögens seines frühern Königs mit zu unterzeichnen. Ob Windthorst jemals den Wunsch gehegt hat, in den preußischen Staats¬ dienst einzutreten, wissen wir nicht, glauben es aber kaum. Statt dessen widmete er sich vom Jahre 1867 an der parlamentarischen Thätigkeit in Neichs- und Landtage und blieb dieser treu bis zu seinein Tode. Durch das ganze parlamentarische Leben Windthorsts zieht sich nnn ein gewisser Grundzug hindurch. Das ist der Haß gegen Preußen und gegen das von Preußen geschaffene deutsche Reich. Welche innern Beweggründe ihn hierzu getrieben haben mögen, darüber urteilen wir nicht. Wir halten uns nur an die äußern Thatsachen. Diese sprechen, wenn man sie in ihrer Ge¬ samtheit überblickt, eine so deutliche Sprache, daß kein Unbefangener sie ver¬ kennen kann. Dem Reiche gegenüber äußert sich jener Grundzug in dein fortgesetzten Streben, jede Entwicklung des Reiches zu hemmen. Preußen gegenüber aber war Windthorst bemüht, alle Mängel des preußischen Staatslebens aufzu¬ decken und der preußischen Negierung möglichste Schwierigkeiten zu bereiten. Dabei war Windthorst durchaus nicht immer im Unrechte. Daß das preußische Staatsleben mit seinen bureaukratischen Einrichtungen vielfache Schwächen darbietet, ist ja unleugbar. Mit seltnem Scharfblick wußte nun Windthorst überall diese Schwächen aufzufinden und sie mit schlagenden Worten ans Licht zu ziehen. Dadurch gewann er einen gewissen liberalen Schein. Dann aber trat er auch wieder, seiner eigentlichen Natur entsprechend, für die reak¬ tionärsten Dinge in die Schranken. Natürlich erwarb er sich damit je den Dank derjenigen Partei, die mit ihm sachlich übereinstimmte; und noch dank¬ barer war ihm diese, wenn er bei der Abstimmung ihr den Heerhaufen seiner Fraktion zuführte. So reichte er bald dieser bald jener Partei die Freundes¬ hand und war uicht selten der ausschlaggebende Mann. An den sachlichen Arbeiten von Reichstag und Landtag beteiligte sich Windthorst so gut wie gar uicht. Überall spitzten sich seine Reden politisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/13>, abgerufen am 24.07.2024.