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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Nationalismus

drohende Gefahr der Verdrängung unsrer Handarbeiter könnten wir den Chinesen
in großen Massen und zu gleichem Recht nicht unter uns dulden wegen der
Verschiedenheit in den sittlichen Grundlagen, die entweder zu einem Quell ver¬
giftenden Einflusses auf unser Volksbewußtsein oder zu einem Quell gewaltsamer
Reaktion unsers Vvlkskörpers werden müßte. Die nationale Verfolgung würde
sich notwendig einstellen. Ähnliche Gründe birgt anch der innere Widerspruch,
der sich in den indogermanischen Völkern Europas gegen die Juden zeigt.
Der Jude steht auf einem alten Kulturboden, der bereits vor anderthalb Jahr¬
tausend verdorrt ist und keine Früchte mehr zeitigt. Die Welt des Talmud
ist uns so fremd wie die des Buddha oder des Mahommed. Der talmudistische
Jude hat für uns eine Kultur hinter sich, die wir nicht anerkennen können,
oder er vertritt keine Kultur. Insoweit haben wir gutes Recht, ihm dieselbe
Stellung wie Chinesen oder Türken anzuweisen. Wenn wir uns gegen die
Anschauungen des Feudalismus oder des Papsttums ereifern, weil sie veraltet
sind, so siud wir noch viel mehr befugt, uus gegen Anschauungen zu sträube",
die nicht nur um vieles veralteter find, sondern zu keiner Zeit unserm Volke
nahe gestanden haben. Völker ohne alle eigne Kultur fügen sich oft leicht und
schnell der unsern ein, weit leichter und schneller, als solche, die eine alte,
aber der unsrigen fremde Kultur besitzen. Das scheu nur an den slawischen
Stämmen Osteuropas, die sich uns mit großer Leichtigkeit angliedern. Der
polnische, litauische, lettische, tschechische Bauer ist ein weit bildsamerer und
verschmelzbarerer Stoff für uus, als der Jude, der Chinese, der Araber oder
der Türke. Wir lernen oft erst dann den notwendigen Zusammenhang der
Kultur von Germanen, Romanen und Westslawen erkennen, wenn uns in Per¬
sonen oder Zustünde" bei Ostslawen, bei Türken oder Semiten die Fremdartig¬
keit anschaulich vor Augen tritt.

Die Kultureinheit der großen europäischen Nassen äußert sich nach außen
in großartigster Weise überall, wo der Europäer in fremden Weltteilen Fuß
gefaßt hat/ Überall pflanzt er die Keime für Sitten, Denkweise, Empfinden,
für Formen der Arbeit und des gesellschaftlichen Lebens, die nnter sich
wesentlich ähnlich, ja dieselben sind. Diese Einheit hat ihren mächtigsten Aus¬
druck gefunden in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo sich unter
angelsächsischer Führung alle Kulturvölker Europas ein Heim gegründet haben,
wo alle Zungen Europas geredet werden, alle religiösen Bekenntnisse ihre
Lehren predigen, die Sitten und Gebräuche aller Nationen Europas sich frei
entfalten, und dennoch die Gemeinsamkeit in dieser Mischung so groß ist, daß
sich das Volk der Vereinigten Staaten durchaus einheitlich fühlt, nicht bloß
gegenüber den fremden Nassen roter, gelber und schwarzer Hautfarbe, sondern
selbst den einzelnen Nationen Europas, aus deren Bruchteilen und Kindern es
selbst besteht. Was vor zweitausend Jahren Rom für den damaligen engen
Erdkreis war, ist jetzt Europa sür die Erdkugel; wie der Römer nach Afrika,


Der Nationalismus

drohende Gefahr der Verdrängung unsrer Handarbeiter könnten wir den Chinesen
in großen Massen und zu gleichem Recht nicht unter uns dulden wegen der
Verschiedenheit in den sittlichen Grundlagen, die entweder zu einem Quell ver¬
giftenden Einflusses auf unser Volksbewußtsein oder zu einem Quell gewaltsamer
Reaktion unsers Vvlkskörpers werden müßte. Die nationale Verfolgung würde
sich notwendig einstellen. Ähnliche Gründe birgt anch der innere Widerspruch,
der sich in den indogermanischen Völkern Europas gegen die Juden zeigt.
Der Jude steht auf einem alten Kulturboden, der bereits vor anderthalb Jahr¬
tausend verdorrt ist und keine Früchte mehr zeitigt. Die Welt des Talmud
ist uns so fremd wie die des Buddha oder des Mahommed. Der talmudistische
Jude hat für uns eine Kultur hinter sich, die wir nicht anerkennen können,
oder er vertritt keine Kultur. Insoweit haben wir gutes Recht, ihm dieselbe
Stellung wie Chinesen oder Türken anzuweisen. Wenn wir uns gegen die
Anschauungen des Feudalismus oder des Papsttums ereifern, weil sie veraltet
sind, so siud wir noch viel mehr befugt, uus gegen Anschauungen zu sträube»,
die nicht nur um vieles veralteter find, sondern zu keiner Zeit unserm Volke
nahe gestanden haben. Völker ohne alle eigne Kultur fügen sich oft leicht und
schnell der unsern ein, weit leichter und schneller, als solche, die eine alte,
aber der unsrigen fremde Kultur besitzen. Das scheu nur an den slawischen
Stämmen Osteuropas, die sich uns mit großer Leichtigkeit angliedern. Der
polnische, litauische, lettische, tschechische Bauer ist ein weit bildsamerer und
verschmelzbarerer Stoff für uus, als der Jude, der Chinese, der Araber oder
der Türke. Wir lernen oft erst dann den notwendigen Zusammenhang der
Kultur von Germanen, Romanen und Westslawen erkennen, wenn uns in Per¬
sonen oder Zustünde« bei Ostslawen, bei Türken oder Semiten die Fremdartig¬
keit anschaulich vor Augen tritt.

Die Kultureinheit der großen europäischen Nassen äußert sich nach außen
in großartigster Weise überall, wo der Europäer in fremden Weltteilen Fuß
gefaßt hat/ Überall pflanzt er die Keime für Sitten, Denkweise, Empfinden,
für Formen der Arbeit und des gesellschaftlichen Lebens, die nnter sich
wesentlich ähnlich, ja dieselben sind. Diese Einheit hat ihren mächtigsten Aus¬
druck gefunden in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo sich unter
angelsächsischer Führung alle Kulturvölker Europas ein Heim gegründet haben,
wo alle Zungen Europas geredet werden, alle religiösen Bekenntnisse ihre
Lehren predigen, die Sitten und Gebräuche aller Nationen Europas sich frei
entfalten, und dennoch die Gemeinsamkeit in dieser Mischung so groß ist, daß
sich das Volk der Vereinigten Staaten durchaus einheitlich fühlt, nicht bloß
gegenüber den fremden Nassen roter, gelber und schwarzer Hautfarbe, sondern
selbst den einzelnen Nationen Europas, aus deren Bruchteilen und Kindern es
selbst besteht. Was vor zweitausend Jahren Rom für den damaligen engen
Erdkreis war, ist jetzt Europa sür die Erdkugel; wie der Römer nach Afrika,


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[0126] Der Nationalismus drohende Gefahr der Verdrängung unsrer Handarbeiter könnten wir den Chinesen in großen Massen und zu gleichem Recht nicht unter uns dulden wegen der Verschiedenheit in den sittlichen Grundlagen, die entweder zu einem Quell ver¬ giftenden Einflusses auf unser Volksbewußtsein oder zu einem Quell gewaltsamer Reaktion unsers Vvlkskörpers werden müßte. Die nationale Verfolgung würde sich notwendig einstellen. Ähnliche Gründe birgt anch der innere Widerspruch, der sich in den indogermanischen Völkern Europas gegen die Juden zeigt. Der Jude steht auf einem alten Kulturboden, der bereits vor anderthalb Jahr¬ tausend verdorrt ist und keine Früchte mehr zeitigt. Die Welt des Talmud ist uns so fremd wie die des Buddha oder des Mahommed. Der talmudistische Jude hat für uns eine Kultur hinter sich, die wir nicht anerkennen können, oder er vertritt keine Kultur. Insoweit haben wir gutes Recht, ihm dieselbe Stellung wie Chinesen oder Türken anzuweisen. Wenn wir uns gegen die Anschauungen des Feudalismus oder des Papsttums ereifern, weil sie veraltet sind, so siud wir noch viel mehr befugt, uus gegen Anschauungen zu sträube», die nicht nur um vieles veralteter find, sondern zu keiner Zeit unserm Volke nahe gestanden haben. Völker ohne alle eigne Kultur fügen sich oft leicht und schnell der unsern ein, weit leichter und schneller, als solche, die eine alte, aber der unsrigen fremde Kultur besitzen. Das scheu nur an den slawischen Stämmen Osteuropas, die sich uns mit großer Leichtigkeit angliedern. Der polnische, litauische, lettische, tschechische Bauer ist ein weit bildsamerer und verschmelzbarerer Stoff für uus, als der Jude, der Chinese, der Araber oder der Türke. Wir lernen oft erst dann den notwendigen Zusammenhang der Kultur von Germanen, Romanen und Westslawen erkennen, wenn uns in Per¬ sonen oder Zustünde« bei Ostslawen, bei Türken oder Semiten die Fremdartig¬ keit anschaulich vor Augen tritt. Die Kultureinheit der großen europäischen Nassen äußert sich nach außen in großartigster Weise überall, wo der Europäer in fremden Weltteilen Fuß gefaßt hat/ Überall pflanzt er die Keime für Sitten, Denkweise, Empfinden, für Formen der Arbeit und des gesellschaftlichen Lebens, die nnter sich wesentlich ähnlich, ja dieselben sind. Diese Einheit hat ihren mächtigsten Aus¬ druck gefunden in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo sich unter angelsächsischer Führung alle Kulturvölker Europas ein Heim gegründet haben, wo alle Zungen Europas geredet werden, alle religiösen Bekenntnisse ihre Lehren predigen, die Sitten und Gebräuche aller Nationen Europas sich frei entfalten, und dennoch die Gemeinsamkeit in dieser Mischung so groß ist, daß sich das Volk der Vereinigten Staaten durchaus einheitlich fühlt, nicht bloß gegenüber den fremden Nassen roter, gelber und schwarzer Hautfarbe, sondern selbst den einzelnen Nationen Europas, aus deren Bruchteilen und Kindern es selbst besteht. Was vor zweitausend Jahren Rom für den damaligen engen Erdkreis war, ist jetzt Europa sür die Erdkugel; wie der Römer nach Afrika,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/126>, abgerufen am 24.07.2024.