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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Nationalismus

Gleichheit vor dein Gesetz brechen sollen, indem sie sich der Neger gewaltsam
durch Rücksendung nach Afrika entledigen. Der politisch-nationale Humanismus,
der vor hundert Jahren alle Menschen zu Brüdern erklärte, der nach dein
Bürgerkriege in den Vereinigten Staaten die Theorien von 178!) ans die
Neger anwendend vollkommene Gleichheit vor dein Gesetz zwischen Schwarzen
und Weißen dekretirte, hat da offenbar seine vernünftigen Grenzen über¬
schritten. Der politische und nationale Humanismus droht sich wieder zu
überschlagen, indem er sich anschickt, die Sklaverei auf der runden Erde ge¬
waltsam abzuschaffen aus dein unberechtigten Vorurteil heraus, daß alle
Menschen in politischem und nationalem Sinne zu Brüdern und zu gleichem
Recht geboren seien, und daß die Sklaverei als solche gegen Christentum oder
Humanität verstoße. Es ist dasselbe Vorurteil, dieselbe mißverständliche Auf¬
fassung der Aufgaben humaner Kultur, die einst die Amerikaner oder doch
viele derselben beherrschte in ihrem Verhalten gegenüber Nvthcinten, Chinesen
und Negern, und die sich durch harte Erfahrung bei ihnen umgesetzt hat
in die Erkenntnis, daß sie mit der roten, der gelben und der schwarzen Rasse
nicht gemeinsam unter einem Dache oder nicht unter gleichem Recht leben
können. Sie haben sich entschlossen, sich ans friedlichem oder wo nötig auf
gewaltsamen Wege von den Rothäuten wie von den Chinesen zu befreien, und
werden den nationalen, richtiger den Rassenkampf wohl auch gegen die Neger
aufnehmen müssen. Dieser Kampf ist, wenigstens für unsre Zeit, berechtigt,
aber im Geiste der Oberherrschaft der .Kultur, die wir die europäische
nennen. Es kaun keine Gleichheit vor dem Gesetz für uns bestehen gegenüber
jenen uns so sern stehenden Nassen, und wenn nur in unsern afrikanischen
Kolonien die Erfahrungen nicht beachten wollten, die in den Vereinigten
Staaten, in Indien, in Hapel, in Brasilien und anderwärts gemacht worden
sind, so werden wir das gewißlich büßen.

Vor unsern Thüren hätten wir längst beobachten können, wo die nationale
Gleichheit und Brüderlichkeit aufhört. Seit Jahrhunderten wandert der Zigeuner
uuter uns umher und bleibt ein Wilder. Nur seine geringe Zahl macht die
ihm gewährte Gleichberechtigung erträglich; sonst müßten wir ihn ans treiben,
weil er sich dem Kulturleben nicht einzufügen vermag. Wer auf keinem Kultur¬
boden steht, kaun nicht gleiches Recht mit uns genießen. Derselbe Gegensatz
trennt uns von Völkern mit fremder, nicht europäischer Kultur. Die chinesische
Kultur ist um vieles älter als die unsre, sie ist hoch entwickelt, sie birgt eine
unermeßliche Menge geistiger und körperlicher Arbeit in sich, sie ist die Frucht,
die oft überreife Frucht durch vier Jahrtausende fortgesetzter ununterbrochener
Erfahrungen auf allen Gebieten des menschlichen Denkens und Schaffens.
Aber sie ist eine im Innersten andre Kultur als die unsre, namentlich ver¬
schieden von der unsern in allein, was das geistige und sittliche Leben des
Menschen ausmacht. Auch ohne die durch eine chinesische Einwanderung


Grenzboten II 1891 16
Der Nationalismus

Gleichheit vor dein Gesetz brechen sollen, indem sie sich der Neger gewaltsam
durch Rücksendung nach Afrika entledigen. Der politisch-nationale Humanismus,
der vor hundert Jahren alle Menschen zu Brüdern erklärte, der nach dein
Bürgerkriege in den Vereinigten Staaten die Theorien von 178!) ans die
Neger anwendend vollkommene Gleichheit vor dein Gesetz zwischen Schwarzen
und Weißen dekretirte, hat da offenbar seine vernünftigen Grenzen über¬
schritten. Der politische und nationale Humanismus droht sich wieder zu
überschlagen, indem er sich anschickt, die Sklaverei auf der runden Erde ge¬
waltsam abzuschaffen aus dein unberechtigten Vorurteil heraus, daß alle
Menschen in politischem und nationalem Sinne zu Brüdern und zu gleichem
Recht geboren seien, und daß die Sklaverei als solche gegen Christentum oder
Humanität verstoße. Es ist dasselbe Vorurteil, dieselbe mißverständliche Auf¬
fassung der Aufgaben humaner Kultur, die einst die Amerikaner oder doch
viele derselben beherrschte in ihrem Verhalten gegenüber Nvthcinten, Chinesen
und Negern, und die sich durch harte Erfahrung bei ihnen umgesetzt hat
in die Erkenntnis, daß sie mit der roten, der gelben und der schwarzen Rasse
nicht gemeinsam unter einem Dache oder nicht unter gleichem Recht leben
können. Sie haben sich entschlossen, sich ans friedlichem oder wo nötig auf
gewaltsamen Wege von den Rothäuten wie von den Chinesen zu befreien, und
werden den nationalen, richtiger den Rassenkampf wohl auch gegen die Neger
aufnehmen müssen. Dieser Kampf ist, wenigstens für unsre Zeit, berechtigt,
aber im Geiste der Oberherrschaft der .Kultur, die wir die europäische
nennen. Es kaun keine Gleichheit vor dem Gesetz für uns bestehen gegenüber
jenen uns so sern stehenden Nassen, und wenn nur in unsern afrikanischen
Kolonien die Erfahrungen nicht beachten wollten, die in den Vereinigten
Staaten, in Indien, in Hapel, in Brasilien und anderwärts gemacht worden
sind, so werden wir das gewißlich büßen.

Vor unsern Thüren hätten wir längst beobachten können, wo die nationale
Gleichheit und Brüderlichkeit aufhört. Seit Jahrhunderten wandert der Zigeuner
uuter uns umher und bleibt ein Wilder. Nur seine geringe Zahl macht die
ihm gewährte Gleichberechtigung erträglich; sonst müßten wir ihn ans treiben,
weil er sich dem Kulturleben nicht einzufügen vermag. Wer auf keinem Kultur¬
boden steht, kaun nicht gleiches Recht mit uns genießen. Derselbe Gegensatz
trennt uns von Völkern mit fremder, nicht europäischer Kultur. Die chinesische
Kultur ist um vieles älter als die unsre, sie ist hoch entwickelt, sie birgt eine
unermeßliche Menge geistiger und körperlicher Arbeit in sich, sie ist die Frucht,
die oft überreife Frucht durch vier Jahrtausende fortgesetzter ununterbrochener
Erfahrungen auf allen Gebieten des menschlichen Denkens und Schaffens.
Aber sie ist eine im Innersten andre Kultur als die unsre, namentlich ver¬
schieden von der unsern in allein, was das geistige und sittliche Leben des
Menschen ausmacht. Auch ohne die durch eine chinesische Einwanderung


Grenzboten II 1891 16
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[0125] Der Nationalismus Gleichheit vor dein Gesetz brechen sollen, indem sie sich der Neger gewaltsam durch Rücksendung nach Afrika entledigen. Der politisch-nationale Humanismus, der vor hundert Jahren alle Menschen zu Brüdern erklärte, der nach dein Bürgerkriege in den Vereinigten Staaten die Theorien von 178!) ans die Neger anwendend vollkommene Gleichheit vor dein Gesetz zwischen Schwarzen und Weißen dekretirte, hat da offenbar seine vernünftigen Grenzen über¬ schritten. Der politische und nationale Humanismus droht sich wieder zu überschlagen, indem er sich anschickt, die Sklaverei auf der runden Erde ge¬ waltsam abzuschaffen aus dein unberechtigten Vorurteil heraus, daß alle Menschen in politischem und nationalem Sinne zu Brüdern und zu gleichem Recht geboren seien, und daß die Sklaverei als solche gegen Christentum oder Humanität verstoße. Es ist dasselbe Vorurteil, dieselbe mißverständliche Auf¬ fassung der Aufgaben humaner Kultur, die einst die Amerikaner oder doch viele derselben beherrschte in ihrem Verhalten gegenüber Nvthcinten, Chinesen und Negern, und die sich durch harte Erfahrung bei ihnen umgesetzt hat in die Erkenntnis, daß sie mit der roten, der gelben und der schwarzen Rasse nicht gemeinsam unter einem Dache oder nicht unter gleichem Recht leben können. Sie haben sich entschlossen, sich ans friedlichem oder wo nötig auf gewaltsamen Wege von den Rothäuten wie von den Chinesen zu befreien, und werden den nationalen, richtiger den Rassenkampf wohl auch gegen die Neger aufnehmen müssen. Dieser Kampf ist, wenigstens für unsre Zeit, berechtigt, aber im Geiste der Oberherrschaft der .Kultur, die wir die europäische nennen. Es kaun keine Gleichheit vor dem Gesetz für uns bestehen gegenüber jenen uns so sern stehenden Nassen, und wenn nur in unsern afrikanischen Kolonien die Erfahrungen nicht beachten wollten, die in den Vereinigten Staaten, in Indien, in Hapel, in Brasilien und anderwärts gemacht worden sind, so werden wir das gewißlich büßen. Vor unsern Thüren hätten wir längst beobachten können, wo die nationale Gleichheit und Brüderlichkeit aufhört. Seit Jahrhunderten wandert der Zigeuner uuter uns umher und bleibt ein Wilder. Nur seine geringe Zahl macht die ihm gewährte Gleichberechtigung erträglich; sonst müßten wir ihn ans treiben, weil er sich dem Kulturleben nicht einzufügen vermag. Wer auf keinem Kultur¬ boden steht, kaun nicht gleiches Recht mit uns genießen. Derselbe Gegensatz trennt uns von Völkern mit fremder, nicht europäischer Kultur. Die chinesische Kultur ist um vieles älter als die unsre, sie ist hoch entwickelt, sie birgt eine unermeßliche Menge geistiger und körperlicher Arbeit in sich, sie ist die Frucht, die oft überreife Frucht durch vier Jahrtausende fortgesetzter ununterbrochener Erfahrungen auf allen Gebieten des menschlichen Denkens und Schaffens. Aber sie ist eine im Innersten andre Kultur als die unsre, namentlich ver¬ schieden von der unsern in allein, was das geistige und sittliche Leben des Menschen ausmacht. Auch ohne die durch eine chinesische Einwanderung Grenzboten II 1891 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/125>, abgerufen am 24.07.2024.