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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Gelo Ludwig in Leipzig

für die weichern Stimmungen, die ihn in diesen Soimnermvnateu beschlichen,
musikalischen Ausdruck? Schon lvährcud der schlimmsten Tage seiner Krank¬
heit hatte er wieder den Plan zu einer Oper "Blaubart" entworfen und
schrieb zu den Grundzügen des Textes - "Wenn man nun wirklich eine neue
Form der Oper versuchte, eine eng dramatische, rvuladeu- und tiradenfremd,
nicht aufhaltend am unrechten Orte, sodaß am Ende der Zuschauer uicht
wüßte, was ihn eigentlich ergriffe, daß er nicht wüßte, ob er ein Drama oder
eine Oper gesehen. Nur dann retardirend, wenn es der Text ist. Aber
freilich mit der Aussprache der Säuger!" Diese Annäherung an die spätern
Theorien Richard Wagners (der wenige Jahre vor Ludwigs Eintreffen in
seiner Vaterstadt Leipzig den umgekehrten Weg zurückgelegt und sich aus dem
Dichter in den Musiker verwandelt hatte) sollte bei Ludwig keine künstlerischen
Folgen haben, sie zeigt aber, wie der Gedanke einer entschiednen Umgestaltung
und Reform der Oper in der Luft lag. Als Ludwig im Juni seinen Fuß
wieder über den Hausgarten des Herrn Fritzsche Hinanssetzen und zunächst
am Stocke weitere Gehversuche machen konnte, betrieb er die Miete eines
Klaviers im Einklang mit dein Vorsatz, den er während der Krankheit (am
28. Mai) ins Tagebuch verzeichnet: "Diesen Sommer will ich hauptsächlich
aufs Studini" der musikalischen Formen verwenden, in Sonaten, kurz in allen
diesen Formen mich versuchen. Damit kauu das Klavierspiel Hand in Hand
gehen." Ani 13. Juni bereite kam das Klavier in seiner Wohnung an, er
fand zwar das Spielen bei dein noch fortdauernden Schwächezustand anfangs
ermüdend, kam aber doch wieder "in das rechte Klavierfeuer" und hielt sich
wochenlang Wort, täglich mehrere Stunden zu üben. Gleichzeitig schaffte er
sich Marx großes "Lehrbuch der musikalischen Komposition" an und studirte
es ebenso eifrig als eingehend. Der erste erneute Kvmpositivnsversuch am
18. Juni fiel zwar nicht glücklich aus ("War nichts, kein Gedanke kommt mir
mehr- Werde die Agnes Bernauer wieder vornehmen"), aber er übte jetzt
einen gewissen Zwang gegen sich aus. Er komponirte einige Lieder, arbeitete
an einem Kyrie, "fühlte einigen Kompositivnstrieb," dachte daran, eine
Messe zu versuchen, und verzeichnete, sich Goethes Elsenhvchzeit (Oberons
und Titanins goldne Hochzeit) als Programm zu einer Kvnzertouverture.

So brauchte er, als er am 2". Juli im Waldschloßchen zu Gohlis
Mendelssohn wieder begegnete, sich minder bedrückt zu fühlen, als wenn er
inzwischen der Musik schon völlig Valet gesagt hätte. Er war noch immer
"ein halber Tragitüs, ein halber Musikus." Man sieht aus allen Aufzeich-
nungen dieser Zeit (die leider mit dem Beginn des August abbrechen), daß die
Poetischen Neigungen sich wieder mächtig regten, und daß er lungekehrt beim
K'lavierspielen immer wieder "eine Art Mattigkeit in den Fingern, die nichts
recht ans dem Klavier gelingen läßt," verspürte. Doch klammerte er sich noch
ganz entschlossen an den Vorsatz, Musiker zu bleibe", obschon ihm vor einem


Greiizboicil 1 1891 12
Gelo Ludwig in Leipzig

für die weichern Stimmungen, die ihn in diesen Soimnermvnateu beschlichen,
musikalischen Ausdruck? Schon lvährcud der schlimmsten Tage seiner Krank¬
heit hatte er wieder den Plan zu einer Oper „Blaubart" entworfen und
schrieb zu den Grundzügen des Textes - „Wenn man nun wirklich eine neue
Form der Oper versuchte, eine eng dramatische, rvuladeu- und tiradenfremd,
nicht aufhaltend am unrechten Orte, sodaß am Ende der Zuschauer uicht
wüßte, was ihn eigentlich ergriffe, daß er nicht wüßte, ob er ein Drama oder
eine Oper gesehen. Nur dann retardirend, wenn es der Text ist. Aber
freilich mit der Aussprache der Säuger!" Diese Annäherung an die spätern
Theorien Richard Wagners (der wenige Jahre vor Ludwigs Eintreffen in
seiner Vaterstadt Leipzig den umgekehrten Weg zurückgelegt und sich aus dem
Dichter in den Musiker verwandelt hatte) sollte bei Ludwig keine künstlerischen
Folgen haben, sie zeigt aber, wie der Gedanke einer entschiednen Umgestaltung
und Reform der Oper in der Luft lag. Als Ludwig im Juni seinen Fuß
wieder über den Hausgarten des Herrn Fritzsche Hinanssetzen und zunächst
am Stocke weitere Gehversuche machen konnte, betrieb er die Miete eines
Klaviers im Einklang mit dein Vorsatz, den er während der Krankheit (am
28. Mai) ins Tagebuch verzeichnet: „Diesen Sommer will ich hauptsächlich
aufs Studini» der musikalischen Formen verwenden, in Sonaten, kurz in allen
diesen Formen mich versuchen. Damit kauu das Klavierspiel Hand in Hand
gehen." Ani 13. Juni bereite kam das Klavier in seiner Wohnung an, er
fand zwar das Spielen bei dein noch fortdauernden Schwächezustand anfangs
ermüdend, kam aber doch wieder „in das rechte Klavierfeuer" und hielt sich
wochenlang Wort, täglich mehrere Stunden zu üben. Gleichzeitig schaffte er
sich Marx großes „Lehrbuch der musikalischen Komposition" an und studirte
es ebenso eifrig als eingehend. Der erste erneute Kvmpositivnsversuch am
18. Juni fiel zwar nicht glücklich aus („War nichts, kein Gedanke kommt mir
mehr- Werde die Agnes Bernauer wieder vornehmen"), aber er übte jetzt
einen gewissen Zwang gegen sich aus. Er komponirte einige Lieder, arbeitete
an einem Kyrie, „fühlte einigen Kompositivnstrieb," dachte daran, eine
Messe zu versuchen, und verzeichnete, sich Goethes Elsenhvchzeit (Oberons
und Titanins goldne Hochzeit) als Programm zu einer Kvnzertouverture.

So brauchte er, als er am 2». Juli im Waldschloßchen zu Gohlis
Mendelssohn wieder begegnete, sich minder bedrückt zu fühlen, als wenn er
inzwischen der Musik schon völlig Valet gesagt hätte. Er war noch immer
„ein halber Tragitüs, ein halber Musikus." Man sieht aus allen Aufzeich-
nungen dieser Zeit (die leider mit dem Beginn des August abbrechen), daß die
Poetischen Neigungen sich wieder mächtig regten, und daß er lungekehrt beim
K'lavierspielen immer wieder „eine Art Mattigkeit in den Fingern, die nichts
recht ans dem Klavier gelingen läßt," verspürte. Doch klammerte er sich noch
ganz entschlossen an den Vorsatz, Musiker zu bleibe», obschon ihm vor einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/97>, abgerufen am 23.07.2024.