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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Gelo Ludwig in Leipzig

Mitten in "dieses himmlische Leben, das er gern um jede Entbehrung
kaufen würde, falls er es nicht hätte und es dafür zu haben wäre," mitten
in diese poetischen Träume, auf denen er gleichsam unbewußt und unmerklich
zur Litteratur hiuüberzngleiten begann, traten die Vorboten einer schweren
Krankheit. Er hatte unruhige und völlig schlaflose Nächte, es "lag ihm auf
der Brust," er litt an Unterleibsbeschwerden (kein Wunder bei der eingeschlos-
senen, beinahe ganz ans das Zimmer beschränkten Lebensweise, die er seit Mo¬
naten geführt hatte) und fühlte sich unfähig zu jeder Arbeit. Auch der un¬
gewöhnlich schöne Frühling des Jahres 1849, der ihn aus der Stadt in die
grünen Umgebungen lockte, brachte ihm keine Heilung. Am Ili, April bemerkt
er in seinem Tagebuch: "Wieder wuuderheiter draußen! Solchen wahrhaft
grüne" Donnerstag hab' ich in vielem Jahren nicht gesehen," kam aber doch
von dem Nachmittagsspaziergang nach Stötteritz "ganz marode" nach Haus
und fühlte sich in den nächsten Tagen so steif und matt, daß ihn Todes-
gedanken beschlichen. "Es wäre zwar jetzt nichts an mir verloren, meinen
beuten würd' es dnrch die Trennung, an die sie sich einmal gewöhnt, nnr halb
anfliegen. Mir wärs aber kaum recht. Es wäre doch vielleicht noch was
ans mir geworden." Am Ostersonntage, am 19. April, seufzt er: "Der Herr
ist erstände" -- mir aber gehts miserabel. Ein unverschämt dicker Backen
macht mir meine Osterandacht unmöglich, die ich bei schönem Wetter (und so
wie es heut ist, erinnere ich mich nicht, daß es je am ersten Osterfeiertag ge¬
wesen) in meinem Garten hielt und die mich allemal auf lange Zeit erhob.
Eine Nacht voll Fieberbilder und Angst, und nun wahrscheinlich ein Tag voll
Dusel und Langerweile." Aus diesen krankhaften Gedanken und Zuständen
raffte er sich gegen Ende April gewaltsam empor -- er hatte eine neue Woh¬
nung zu suchen und war nach mehreren Tagen mühseligen U in Hergehens und
Treppensteigens endlich so glücklich, ein bescheidenes Zimmer in einer verhältnis¬
mäßig stillen und von grünen Gurten umgebnen Straße einer Vorstadt, in der
Eiseubahnstraße in der Nähe des Tauchcier Thores zu finden. Er wohnte
hier Nummer 1479 bei einem kleinen Steuerbeamten Herrn Fritzsche und
dessen freundlicher Frau (sie entpuppte sich später als eine Schwestertvchter
Seumes), die beide für ihren Mieter eine menschlich warme Teilnahme
faßten, deren der Musiker und Dichter in den nächsten Wochen nur zu sehr
bedürfte.

Denn Ludwig hatte kaum am ersten Mai diese neue Wohnung bezogen
und den Unterschied zwischen seinen seitherigen Wirtsleuten und den neuen
recht empfunden ("diese sind so liebe Leute, daß ich noch nicht weiß, wie ich
daran bin, es ist mir immer, als n>üre ich in meine Heimat zurückgekehrt, die
mir schon manches Jahr gefehlt"), so wurde er ernstlich bettlägerig. Gleich¬
sam prophetisch für die Spätzeit seines Lebens hatte auch die Krankheit, die
ihn wochenlang niederstreckte und quälte, etwas Rätselvolles. Zu unerträg-


Gelo Ludwig in Leipzig

Mitten in „dieses himmlische Leben, das er gern um jede Entbehrung
kaufen würde, falls er es nicht hätte und es dafür zu haben wäre," mitten
in diese poetischen Träume, auf denen er gleichsam unbewußt und unmerklich
zur Litteratur hiuüberzngleiten begann, traten die Vorboten einer schweren
Krankheit. Er hatte unruhige und völlig schlaflose Nächte, es „lag ihm auf
der Brust," er litt an Unterleibsbeschwerden (kein Wunder bei der eingeschlos-
senen, beinahe ganz ans das Zimmer beschränkten Lebensweise, die er seit Mo¬
naten geführt hatte) und fühlte sich unfähig zu jeder Arbeit. Auch der un¬
gewöhnlich schöne Frühling des Jahres 1849, der ihn aus der Stadt in die
grünen Umgebungen lockte, brachte ihm keine Heilung. Am Ili, April bemerkt
er in seinem Tagebuch: „Wieder wuuderheiter draußen! Solchen wahrhaft
grüne» Donnerstag hab' ich in vielem Jahren nicht gesehen," kam aber doch
von dem Nachmittagsspaziergang nach Stötteritz „ganz marode" nach Haus
und fühlte sich in den nächsten Tagen so steif und matt, daß ihn Todes-
gedanken beschlichen. „Es wäre zwar jetzt nichts an mir verloren, meinen
beuten würd' es dnrch die Trennung, an die sie sich einmal gewöhnt, nnr halb
anfliegen. Mir wärs aber kaum recht. Es wäre doch vielleicht noch was
ans mir geworden." Am Ostersonntage, am 19. April, seufzt er: „Der Herr
ist erstände» — mir aber gehts miserabel. Ein unverschämt dicker Backen
macht mir meine Osterandacht unmöglich, die ich bei schönem Wetter (und so
wie es heut ist, erinnere ich mich nicht, daß es je am ersten Osterfeiertag ge¬
wesen) in meinem Garten hielt und die mich allemal auf lange Zeit erhob.
Eine Nacht voll Fieberbilder und Angst, und nun wahrscheinlich ein Tag voll
Dusel und Langerweile." Aus diesen krankhaften Gedanken und Zuständen
raffte er sich gegen Ende April gewaltsam empor — er hatte eine neue Woh¬
nung zu suchen und war nach mehreren Tagen mühseligen U in Hergehens und
Treppensteigens endlich so glücklich, ein bescheidenes Zimmer in einer verhältnis¬
mäßig stillen und von grünen Gurten umgebnen Straße einer Vorstadt, in der
Eiseubahnstraße in der Nähe des Tauchcier Thores zu finden. Er wohnte
hier Nummer 1479 bei einem kleinen Steuerbeamten Herrn Fritzsche und
dessen freundlicher Frau (sie entpuppte sich später als eine Schwestertvchter
Seumes), die beide für ihren Mieter eine menschlich warme Teilnahme
faßten, deren der Musiker und Dichter in den nächsten Wochen nur zu sehr
bedürfte.

Denn Ludwig hatte kaum am ersten Mai diese neue Wohnung bezogen
und den Unterschied zwischen seinen seitherigen Wirtsleuten und den neuen
recht empfunden („diese sind so liebe Leute, daß ich noch nicht weiß, wie ich
daran bin, es ist mir immer, als n>üre ich in meine Heimat zurückgekehrt, die
mir schon manches Jahr gefehlt"), so wurde er ernstlich bettlägerig. Gleich¬
sam prophetisch für die Spätzeit seines Lebens hatte auch die Krankheit, die
ihn wochenlang niederstreckte und quälte, etwas Rätselvolles. Zu unerträg-


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[0095] Gelo Ludwig in Leipzig Mitten in „dieses himmlische Leben, das er gern um jede Entbehrung kaufen würde, falls er es nicht hätte und es dafür zu haben wäre," mitten in diese poetischen Träume, auf denen er gleichsam unbewußt und unmerklich zur Litteratur hiuüberzngleiten begann, traten die Vorboten einer schweren Krankheit. Er hatte unruhige und völlig schlaflose Nächte, es „lag ihm auf der Brust," er litt an Unterleibsbeschwerden (kein Wunder bei der eingeschlos- senen, beinahe ganz ans das Zimmer beschränkten Lebensweise, die er seit Mo¬ naten geführt hatte) und fühlte sich unfähig zu jeder Arbeit. Auch der un¬ gewöhnlich schöne Frühling des Jahres 1849, der ihn aus der Stadt in die grünen Umgebungen lockte, brachte ihm keine Heilung. Am Ili, April bemerkt er in seinem Tagebuch: „Wieder wuuderheiter draußen! Solchen wahrhaft grüne» Donnerstag hab' ich in vielem Jahren nicht gesehen," kam aber doch von dem Nachmittagsspaziergang nach Stötteritz „ganz marode" nach Haus und fühlte sich in den nächsten Tagen so steif und matt, daß ihn Todes- gedanken beschlichen. „Es wäre zwar jetzt nichts an mir verloren, meinen beuten würd' es dnrch die Trennung, an die sie sich einmal gewöhnt, nnr halb anfliegen. Mir wärs aber kaum recht. Es wäre doch vielleicht noch was ans mir geworden." Am Ostersonntage, am 19. April, seufzt er: „Der Herr ist erstände» — mir aber gehts miserabel. Ein unverschämt dicker Backen macht mir meine Osterandacht unmöglich, die ich bei schönem Wetter (und so wie es heut ist, erinnere ich mich nicht, daß es je am ersten Osterfeiertag ge¬ wesen) in meinem Garten hielt und die mich allemal auf lange Zeit erhob. Eine Nacht voll Fieberbilder und Angst, und nun wahrscheinlich ein Tag voll Dusel und Langerweile." Aus diesen krankhaften Gedanken und Zuständen raffte er sich gegen Ende April gewaltsam empor — er hatte eine neue Woh¬ nung zu suchen und war nach mehreren Tagen mühseligen U in Hergehens und Treppensteigens endlich so glücklich, ein bescheidenes Zimmer in einer verhältnis¬ mäßig stillen und von grünen Gurten umgebnen Straße einer Vorstadt, in der Eiseubahnstraße in der Nähe des Tauchcier Thores zu finden. Er wohnte hier Nummer 1479 bei einem kleinen Steuerbeamten Herrn Fritzsche und dessen freundlicher Frau (sie entpuppte sich später als eine Schwestertvchter Seumes), die beide für ihren Mieter eine menschlich warme Teilnahme faßten, deren der Musiker und Dichter in den nächsten Wochen nur zu sehr bedürfte. Denn Ludwig hatte kaum am ersten Mai diese neue Wohnung bezogen und den Unterschied zwischen seinen seitherigen Wirtsleuten und den neuen recht empfunden („diese sind so liebe Leute, daß ich noch nicht weiß, wie ich daran bin, es ist mir immer, als n>üre ich in meine Heimat zurückgekehrt, die mir schon manches Jahr gefehlt"), so wurde er ernstlich bettlägerig. Gleich¬ sam prophetisch für die Spätzeit seines Lebens hatte auch die Krankheit, die ihn wochenlang niederstreckte und quälte, etwas Rätselvolles. Zu unerträg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/95>, abgerufen am 01.10.2024.